Süddeutsche Zeitung

Banker im Dilemma:Eine verhängnisvolle Affäre

Tricks, Irrglaube, falsche Sicherheit und Gier: Die Finanzkrise ist ein eindrückliches Lehrstück dafür, wie ausgerechnet das Streben nach mehr Sicherheit zu einem gigantischen Scherbenhaufen führte.

Hans von der Hagen

Unvorstellbare Summen haben sich in den vergangenen zwölf Monaten rund um den Globus in Nichts aufgelöst: 400 Milliarden Dollar, vielleicht auch eine halbe Billion Dollar. Niemand weiß es genau. Es scheint auch kaum noch einen Unterschied zu machen.

Für die Banken übersetzen sich diese Zahlen allerdings in bisher nicht gekannte Lasten: In den USA drohen zahlreiche Banken zu kollabieren. Die weltgrößte Vermögensverwalterin, die UBS, die unmittelbar vor Ausbruch der Finanzkrise vor Kraft nur so strotzte, ist nur noch ein Schatten ihrer selbst und sogar Deutschlands Biederinstitute wie die IKB oder einige Landesbanken können die Krise nicht mehr aus eigener Kraft bewältigen.

Ihre enorme Wucht unterscheidet die Krise von frühen Katastrophen am Finanzmarkt. Und noch etwas ist anders: Vielen Banken wähnten sich bis unmittelbar vor Ausbruch der Krise in Sicherheit.

Ein Ausfall in 1000 Jahren

Darum ist es jetzt nicht damit getan, den ganzen Irrsinn der Kreditkrise auf die Gier einer Branche zu reduzieren. Dass Gier eine treibende Kraft war, streiten nicht einmal Banker ab. Doch die Krise belegt, dass in diesem Fall ein ganzes Investmentsystem den Beteiligten über den Kopf gewachsen ist: Es herrschte blinder Glaube an Modelle voller verheerender Fehler.

Darum ist die Finanzkrise mehr als eine Hypothekenkrise. In ihr steckt auch eine Systemkrise. Sie hat die sicher geglaubte Ordnung an den Finanzmärkten durcheinandergerüttelt.

Für die Ordnung sorgt eigentlich das Notensystem der Wirtschaft - über sogenannte Ratings, die von Gesellschaften wie Moody's, Standard & Poor's oder Fitch vergeben werden.

Die Regel lautet vereinfacht: Wertpapiere und Unternehmen, die ein geringes Ausfallrisiko besitzen, bekommen eine gute Note, riskante Papiere eine schlechtere. Im besten Fall lautet die Note AAA, also "Triple-A", im schlechtesten Fall ist es ein D. Konkrete Ausfallwahrscheinlichkeiten nennen die Ratingagenturen zwar nicht, doch eine Faustregel besagt: Eine AAA-Anlage hat eine Ausfallwahrscheinlichkeit von 0,1 Prozent, sprich: ein Ausfall in 1000 Jahren.

Diese Ratings lenken den Strom des Geldes, weil sie die Unterscheidung zwischen sicher und unsicher ermöglichen und damit zwischen renditearm und chancenträchtig.

Lange Zeit war die Welt ganz einfach: Experten schätzen, dass maximal ein Prozent aller Anlagen und Institutionen ein AAA-Rating hatte - Unternehmen wie Exxon Mobile und Staaten wie Deutschland gehören zum Klub der Auserwählten.

Doch in den letzten Jahren ist das Angebot von Anlagen mit dem Dreifach-A förmlich explodiert - man hat einfach synthetische Wertpapiere entwickelt, die scheinbar so ausfallsicher waren, dass sie ein Triple-A-Rating bekommen durften.

Ratings dominieren Bankgeschäft

Mit dem Angebot reagierte der Finanzmarkt auf die rasant wachsende Nachfrage nach diesen Wertpapieren. Zuvor waren Regeln eingeführt worden, die die Welt der Banken revolutioniert hatten: die Eigenkapitalvorschriften des Basel-II-Abkommens. Ein sperriger Name für einen einfachen Vorgang: Das Bankgeschäft sollte sicherer gemacht werden, indem die Banken intern mehr Geld für riskante Anlagen zurücklegten. Den Maßstab für das Risiko wiederum sollte das Rating liefern. Darum ist mittlerweile das gesamte Bankgeschäft von diesen Ratings dominiert: Selbst Privatkunden bekommen eine Risikoeinstufung dieser Art.

Das Bizarre ist, dass ausgerechnet die Regeln, die das Bankgeschäft sicherer machen sollten, ganz entscheidend die Kreditkrise begünstigt haben. Da riskante Investments durch den Zwang zu mehr Eigenkapital teurer werden, setzten die Banken alles daran, intern vor allem Papiere mit besten Ratings im Bestand zu haben: Für sie muss die Bank besonders wenig Eigenkapital vorhalten.

Die Unterschiede sind enorm: Schon für Anlagen mit einem einfachen A musste ein Vielfaches mehr Eigenkapital vorgehalten werden als für ein AAA.

Das Triple A versprach den Banken ein hohes Maß an Sicherheit: "Selbst wenn jemand lieber ein gut einschätzbares herkömmliches Papier mit schlechterem Rating gekauft hätte - er griff zum Triple A, sparte viel Geld und kein Prüfer auf dieser Welt würde ihm ein Problem machen", sagt ein Bankinsider.

Auf der nächsten Seite: Wie die Triple-A-Blase entstand.

Es passierte, was passieren musste: Die Nachfrage nach Triple-A-Anlagen schnellte nach oben. Die Banken schufen künstliche Triple-A-Anlagen aus allem, was der Markt hergab, eben auch aus den berüchtigten Papieren des Immobilienmarktes. Und so hat sich seit 2003 das Angebot Jahr für Jahr nahezu verdoppelt.

Das funktionierte, weil das Ausfallrisiko künstlich reduziert wurde: Gleich einem Küstenabschnitt, der durch mehrere hintereinander liegende Dämme geschützt wird, sollte in der Welt der Kredite ebenfalls ein Schichtprinzip gelten: Tausende Darlehen wurden zusammengeschnürt und dann in mehrere Lagen aufgeteilt.

Triple-A-Blase entsteht

Mögliche Zahlungsausfälle sollten von den riskanteren Schichten absorbiert werden. Darum galt die beste Schicht - von den Bankern die "Super-Seniortranche" genannt - als so sicher, dass sie mit dem dreifachen A benotet wurde. Man konnte sich nicht vorstellen, dass die Flut sämtliche Dämme brechen würde. Anschließend schufen die Banken aus den schlechteren Schichten wieder neue Papiere, die dann ebenfalls das Triple-A trugen. Das System wurde total ausgereizt - die Triple-A-Blase entstand.

Als sich dann noch zeigte, dass die künstlichen Papiere eine bessere Rendite abwarfen als herkömmliche Anleihen, gab es für die Banken kein Halten mehr: Bestes Rating, ordentliche Erträge und geringere Kosten - die Hypothekenpapiere versprachen die beste aller Welten. Die Geldhäuser standen oft auf beiden Seiten: Sie verkauften und kauften diese gefährlich schönen Papiere.

Wer Bedenken äußerte, galt als Zauderer. Dabei gab es viele Gründe, stutzig zu werden. Vor allem: War ein Triple A immer ein Triple A, ganz gleich, welcher Wertpapierkategorie es galt? Viele Banker beantworteten das für sich mit einem "Ja". Dabei gab es einen wichtigen Hinweis darauf, dass es nicht so war: die ungewöhnlich hohe Rendite. Höhere Rendite bedeutet immer höheres Risiko. Wie konnte es also sein, dass ein synthetisches AAA-Papier eine bessere Rendite abwarf als etwa eine Anleihe mit A-Rating?

Diese Frage wurde durchaus gestellt, doch die Verkäufer solcher Wertpapiere hatten stets Argumente gegen das Unbehagen parat. Etwa: "Die riskanteren Papiere ließen sich besonders teuer verkaufen - darum kann ich Ihnen für die beste Tranche einen besonders guten Preis machen", zitiert ein Händler ein typisches Verkäuferargument. Man habe sich dann immer wie ein Gewinner gefühlt - die Dummen waren die anderen.

Falsche Argumente

Die komplexen Wertpapierstrukturen hätten die Wahrheit verwischt und alles plausibel gemacht. Ein weitere typische Rechtfertigung für höhere Renditen war, dass die Papiere weniger liquide seien, und sich darum am Markt nicht so leicht verkaufen ließen. Außerdem seien sie weniger transparent.

Diese Aussagen seien aber lächerlich, kritisiert ein Marktkenner: "Es kann nicht mehr rauskommen als reingesteckt wird. Wenn ich Kartoffeln kaufe und anschließend wieder verkaufe, bleibt der Preis auf ähnlichem Niveau. Wenn ich aber Kartoffelchips daraus mache, werden die Kartoffeln erheblich teurer, weil ich einen großen Aufwand damit habe." So sei es auch am Kreditmarkt: "Nehme ich den hohen Aufwand auf mich und strukturiere Wertpapiere komplett neu, soll die Arbeit einen Ertrag abwerfen. Das funktioniert aber nicht, wenn ich am Ende auch noch mehr Zinsen zahle."

Wenn einer es genauer wissen wollte, tauchte er plötzlich tief in eine Welt voller Modelle ein, die von Mathematikern und Physikern dominiert wurde. "Betriebswirte habe ich da nicht mehr getroffen", erinnert sich ein Kreditexperte. "Stattdessen wurde ich schwindelig gerechnet."

Genau das war das Problem: Weil viele nicht mehr verstanden haben, was passiert, gab es eine Kette billigen Vertrauens. Die Käufer verließen sich auf die Verkäufer, die Ratingagenturen auf die Banken, und die Banken auf die Ratingagenturen.

Die Geldhäuser ließen ihr ureigenstes Geschäft, die Kreditanalyse, extern von den Ratingagenturen erledigen. Das war die günstigste Lösung: Annahmen, Daten und Wahrscheinlichkeiten, mit denen Kredite in großer Zahl schnell beurteilt werden können, kosten weit weniger als eine herkömmliche Kreditprüfung.

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Ansonsten hätte das Geschäft nicht mehr funktioniert - es wäre nicht mehr effizient gewesen. "300 Seiten Dokumentation durcharbeiten und das ganze Portfolio kontrollieren - das kostet viel Geld. Es ist nicht möglich, erst eine aufwändige Kreditanalyse zu machen, dann brauchen sie diese Papiere gar nicht mehr zu kaufen: Der Renditevorteil ist dahin", sagt ein Bankenvertreter.

Zu viel Transparenz

Warum auch kontrollieren: Das Geschäft funktionierte über Jahre hinweg erfolgreich. Es gab nirgends Widerspruch, nicht am Markt und nicht bei den Aufsichtsbehörden.

Der kranke US-Hypothekenmarkt, dessen Risiken die Banken schon lange kannten, war weit weg: Die Modellwelt hatte den Blick auf die Wirklichkeit verstellt. Selbst als die Hauspreise in den USA ins Rutschen kamen, investierten viele Banken weiter - manche bis in den Herbst 2007 hinein, als die erste Welle der Kreditkrise längst über die Finanzmärkte gerollt war. Sie witterten immer noch Chancen: Sie kauften ja AAA-Anlagen.

Es war eben wie im kleinen Alltag: Wer möchte sich endlos durch Produktbeschreibungen kämpfen, wenn die Stiftung Warentest bereits ein "Sehr gut" vergeben hat.

Längst haben auch die Ratingagenturen eingeräumt, dass in ihren Modellen vieles falsch lief: Sie haben sich auf historische Daten verlassen und deren Gültigkeit nicht hinterfragt. Sie haben alte Kreditkrisen angeschaut, doch die Sicherheitspuffer zu niedrig angesetzt. Sie haben die Dynamik der neuen Wertpapiertypen unterschätzt. Sie hatten gedacht, die US-Immobilienbesitzer würden alles daran setzen, wenigstens die Raten für das Haus zu bezahlen - und stellten dann fest, dass die Häuslebauer lieber die Raten für Kreditkarte und Auto beglichen. Sie wussten auch nicht, dass Hausbesitzer zunehmend dazu übergingen, Hypothekenschulden mit der Kreditkarte zu tilgen.

Am Ende aber wurden die Ratingagenturen Opfer ihrer eigenen Politik: Lange hatte man ihnen Intransparenz vorgehalten, die Entstehung von Ratings sei nicht nachvollziehbar.

In den letzten Jahren hat sich daran viel geändert: Einerseits, weil die Banken eifrig Personal der Ratinggesellschaften rekrutierten. Anderseits, weil die Agenturen ihre Spielregeln offenlegten. Die Banken können sich im Internet spielend selbst ausrechnen, mit welchen Papieren sie die Schichten anfüttern müssen, um am Ende einen möglichst hohen Anteil an Triple-A-Papieren zu bekommen. Dabei gibt es viel Spielraum für Tricksereien.

"Wenn die eine Seite ihre Spielregeln offenlegt, die andere nicht, werden die Lücken des Systems gnadenlos ausgenutzt", sagt ein Insider. Das haben die Investmentbanken getan. "Sie haben die Ratingagenturen überrannt."

Mittlerweile wird überall an neuen Regeln gefeilt, um die Mängel des Systems auszubessern - bei den Banken, bei den Ratingagenturen und bei der Finanzaufsicht. Und die Banken wissen, dass die neuen Regeln sie teuer zu stehen kommen werden.

Wie am Schwarzen Montag

Das Schwierigste wird aber sein, nicht wieder in die gleiche Falle zu tappen: Den Markt mit Maßnahmen, die ihn eigentlich sicherer machen sollten, zu destabilisieren und negative Entwickungen zu beschleunigen.

Ein solcher Fehler hat schon einmal eine dramatische Krise an den Finanzmärkten ausgelöst, am "Schwarzen Montag" an der Wall Street im Oktober 1987: Damals wurden erstmals "Agenten" eingesetzt - also Computersoftware, die selbständig an der Börse handelt und Verluste begrenzen soll. Das sind die sogenannten Stop-Loss-Systeme.

Alle waren fasziniert. Bis zum Schwarzen Montag. Als die Kurse plötzlich ins Rutschen kamen, wurden der Abwärtstrend durch die Agenten immer weiter beschleunigt, denn dummerweise nutzten alle die gleichen, wenig ausgefeilten Algorithmen. Darum verkauften alle gleichzeitig. Die Kurse fanden keinen Halt mehr.

Die Systeme werden immer noch genutzt, sind aber mittlerweile weit intelligenter. Genauso dürfte es nach der Kreditkrise kommen. Finanzmarktexperten sind trotz der Krise vom Nutzen der vielfältigen Wertpapierkonstruktionen überzeugt. Mit ihnen lassen sich Risiken viel breiter streuen. Nur waren die Papiere bisher eben nicht ausgereift genug.

Und genau dieser kleine Irrtum hat unermesslich viel Geld gekostet.

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