Bankenkrise:Das Ende der Wall Street

In der Finanzkrise hat sich das Modell der Investmentbank überholt: Die Zukunft gehört wieder ganz der altmodischen Geschäftsbank.

Nikolaus Piper

Ein Video sagt mehr aus als tausend Worte. An diesem Montag, der Verkauf der 97 Jahre alten Investmentbank Merrill Lynch an die Bank of America war gerade besiegelt, sah man auf den Fernsehschirmen zwei Männer bei einer Pressekonferenz. Links den Chef von Merrill Lynch, John Thain, rechts neben ihm sein künftiger Chef, Kenneth Lewis, der Boss der Bank of America (BoA). Thain ist einer der bisher unbestrittenen Stars der Wall Street.

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(Foto: Foto: AFP)

Vor seinem Wechsel zur Merrill Lynch hatte der Harvard-Absolvent die New Yorker Börse in ein profitables Unternehmen umgebaut. Sein Maßanzug sitzt perfekt, er hat kein Gramm Körpergewicht zu viel, seine Gestik ist zurückhaltend und vornehm. Lewis dagegen kommt aus der Provinz. Er ist in Mississippi geboren, seine Bank sitzt in North Carolina. Der Banker gestikuliert ziemlich unelegant, er trägt etliche Pfunde zu viel mit sich herum und pflegt seinen Südstaaten-Akzent.

Grundstürzende Veränderung

Es ist der Provinzler Lewis, nicht Thain, der künftig bestimmen wird, wie die Dinge im amerikanischen Finanzsystem zu laufen haben. Der soeben eröffnete, ökologisch vorbildliche Wolkenkratzer der Bank of America mitten in Manhattan wird zum neuen Machtzentrum der amerikanischen Finanzwelt.

Der Aufstieg der Bank of America zur Retterin der Wall Street illustriert besser als alles andere, welche grundstürzende Veränderung in New York gerade stattgefunden hat. In gerade einmal einem halben Jahr sind drei der einstmals respektabelsten Investmentbanken vom Kurszettel der New York Stock Exchange verschwunden: Bear Stearns, Lehman Brothers und Merrill Lynch. Zurück bleiben noch zwei: Goldman Sachs und Morgan Stanley.

Die Kategorie der "Wall-Street-Bank", die einst den Puls des Finanzplatzes New York bestimmte, gibt es nicht mehr. Die Zukunft gehört der normalen, altmodischen Geschäftsbank.

Lesen Sie weiter, wie der Glamour abhanden kam - und ein Drama entstand.

Das Ende der Wall Street

Die Folgen für die gesamte Wirtschaft werden gewaltig sein. Jede Bank auf der Welt hat eine Grundfunktion: Sie transferiert Geld von Leuten, die es haben, zu solchen, die es brauchen. Die Art, wie dies geschieht, unterscheidet Geschäfts- und Investmentbanken.

Die ersteren nehmen Sicht- und Spareinlagen von Kunden in ihre Bücher, um Kredite vergeben zu können, die letzteren verschulden sich auf dem Kapitalmarkt. Investmentbanken sind wesentlich weniger reguliert als Geschäftsbanken, deshalb können sie entsprechend höhere Risiken eingehen. Wenn es gut läuft, verdienen sie phantastische Renditen, wenn es schlecht läuft, sind sie schnell am Ende.

Riskante Strategie

Das hat früher den Glamour der Wall Street ausgemacht, das ist jetzt ihr Drama. Noch vor zwei Jahren schienen Investmentbanker wie die Herren des Universums. Mancher smarte 30-Jährige in einem Handelsraum der Wall Street verdiente mehr Geld als ein altgedienter Bankvorstand. All dies ist erst einmal vorbei. Dass das Modell der unabhängigen Investmentbank einmal überholt sein könnte, ahnten manche schon 1999.

Damals hob Präsident Bill Clinton das noch aus der Weltwirtschaftskrise stammende Glass-Steagall-Gesetz auf, das Investment- und Geschäftsbanken strikt trennte. Der Umbau begann: Chase Manhattan erwarb JP Morgan, europäische Universalbanken wie Deutsche Bank, UBS und Credit Suisse wurden zu wichtigen Mitspielern in New York. Auf die wachsende Konkurrenz reagierten die Institute durch eine noch riskantere Strategie: Sie investierten nicht nur das Geld ihrer Kunden, sondern ihr eigenes.

Damit entwickelten sie sich zu einer Art Hedgefonds, hochprofitabel aber extrem gefährdet. Sie ähnelten Weinhändlern, die immer mehr von ihrem eigenen Produkt trinken. Aber auch die Universalbanken drehten ein großes Rad, die riskantesten Geschäfte wurden aus der Bilanz in sogenannte Zweckgesellschaften ausgelagert. Dies leitete den Niedergang der Citigroup ein, dies besiegelte in Deutschland das Schicksal von IKB und SachsenLB.

Künftig werden kleine Brötchen gebacken. Merrill Lynch wird zu einer Art Privatkundenabteilung der Bank of America. Die Reste von Lehman werden an die britische Barclays-Gruppe verkauft. Bei der Deutschen Bank verschieben sich die Gewichte dramatisch: Die Bank, die sich sehr weit auf das Feld des Investmentbanking gewagt hatte, erwirbt die praktisch nur auf Kundeneinlagen bauende Postbank. Ein Blick zurück zeigt, was für ein gewaltiger Einschnitt dies ist. Vor gerade einmal vier Jahren überwarf sich Bankchef Josef Ackermann mit Aufsichtsrat Ulrich Cartellieri, weil der damals schon die Postbank kaufen wollte und Ackermanns Strategie missbilligte.

Irgendwann wird die Finanzkrise überwunden sein. Dann gibt es die Wall Street immer noch, aber sie wird ihren Charakter verändert haben. Mit dem Investment-Boom ist es wie mit jedem Exzess im Kapitalismus: Das Nützliche bleibt. Als die Räuberbarone im 19. Jahrhundert ihre Eisenbahnkriege austrugen, wurden unzählige Anleger um ihr Geld gebracht, aber die Vereinigten Staaten bekamen ein effizientes Schienennetz. In der jetzigen Krise wurden Milliardenvermögen vernichtet, aber es bleiben wichtige Innovationen, vor allem neue Techniken der Verbriefung von Krediten und Finanzderivate, die, wenn sie in einem richtig regulierten Markt gehandelt werden, Gutes bewirken können.

Auch künftig werden Anleger ihr Geld in Hypothekenanleihen stecken, aber eben nicht mehr in undurchsichtige Konstrukte, sondern in konservative Covered Bonds, die in den entscheidenden Punkten den guten alten deutschen Pfandbriefen ähneln. Insgesamt wird das Geschäft mit Geld weniger riskant, weniger profitabel, strenger reguliert und viel langweiliger werden. Provinziell eben.

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