Banken und Wirtschaftsethik:"Viele Banken handeln verantwortungslos"

Warum das Spekulieren von Banken auf eine maximale Rendite moralisch verwerflich ist und warum der variable Vergütungsanteil an Managergehältern gedeckelt werden muss, erklärt Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann.

Konrad Fischer

Ulrich Thielemann ist Vizedirektor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität von St. Gallen (HSG). Der 46-Jährige studierte Wirtschaftswissenschaften in Wuppertal und promovierte zum Thema "Das Prinzip Markt". Auch seine Habilitation beschäftigt sich mit den konzeptuellen Gesichtspunkten des Wettbewerbs. Zuletzt veröffentlichte er ein Buch zum Thema "Brennpunkt Markt", in St. Gallen betreut er das Projekt "Markt als Gerechtigkeitskonzept".

Ulrich Thielemann

"Der Markt muss Teil unserer Zivilgesellschaft werden", sagt der St. Galler Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann.

(Foto: Foto: Daniel Ammann)

sueddeutsche.de: Herr Thielemann, durch Spekulationen im US-Immobilienmarkt sind viele renommierte Kreditinstitute in Probleme geraten und schreiben jetzt hohe Verluste - dabei wurde seit langem davor gewarnt, dass der Markt große Risiken birgt. Wie sind die riskanten Manöver vieler Banken und Investoren zu erklären?

Ulrich Thielemann: Dahinter steckt zum einen die persönliche Bereicherung, ermöglicht durch die Bonussysteme der Finanzhäuser. Aber dieses in der Öffentlichkeit oft beschworene Motiv spielt aus meiner Sicht nur eine untergeordnete Rolle. Wichtiger ist das mit dem vielen Geld verbundene Machtgefühl. Je mehr Geld jemand bewegen kann, desto stärker wächst sein Selbstwertgefühl. Das gilt insbesondere auf dem Finanzmarkt, wo die Belohnungen besonders hoch sind. Denn hier wurden Manager explizit dafür belohnt, dass sie solche Risiken eingingen. Besonders bedenklich ist das, da Missgeschicke sie selbst nur teilweise treffen - denn die Kosten tragen andere.

sueddeutsche.de: Wieso wird es von der Branche nicht in Frage gestellt, dass so leichtfertig Geld verbrannt wird?

Thielemann: Das liegt vor allem an einem naiven Irrglauben an die wohltätige Wirkung des Markts. Der aktuellen Managergeneration wird das schon an den Universitäten eingeflößt. Viele Manager glauben: Wenn ich etwas Gutes für mich und den Firmengewinn tue, dann dient dies letztlich auch dem Wohle aller. Dieser simplifizierende Glaube wird derzeit allerdings widerlegt.

sueddeutsche.de: Ist die Höhe des Börsenkurses zum einzigen Ideal der Spitzenmanager unserer Zeit geworden?

Thielemann: Der Marktglaube gibt ihnen aus ihrer Sicht den Freifahrtschein, sich allein am Erfolg zu orientieren - ablesbar am Börsenkurs oder auch am eigenen Kontostand. Der Markterfolg ist dabei ein Zeichen dafür, dass man das Richtige tut. Und er zeigt den eigenen Beitrag an, den sie zum allgemeinen Wohlstand beigesteuert haben. Sie vermengen dabei allerdings die eigene Leistung mit dem in Zahlen messbaren Erfolg. Dabei wird wirtschaftlicher Erfolg oft durch eine viel banalere Variable ausgelöst: durch den Zufall. Oder durch unlautere Praktiken. Viele Banken haben bis vor kurzem doch vor allem deswegen so hohe Gewinne eingefahren, weil andere Investoren die Risiken nicht gesehen haben.

sueddeutsche.de: Setzen die großen Banken ihre Macht verantwortungsvoll ein? Oder nutzen sie diese nur, um Risiken für immense Renditeziele an andere weiterzugeben?

Thielemann: In Bezug auf die momentane Lage muss man leider konstatieren: Viele Banken setzen ihre Macht vollkommen verantwortungslos ein. Denn da ist kein Hauch einer anderen Orientierung zu spüren als der an der Erzielung höchstmöglicher Renditen - was ethisch vollkommen inakzeptabel ist. Die renditeorientierte Motivationslage des Topmanagements hat zu einer Radikalisierung der Akteure geführt. Wenn man 25 Prozent Rendite erzielen kann, und man erzielt lediglich 12 Prozent, dann gilt das als Wertvernichtung.

sueddeutsche.de: Die Bankenkrise offenbart, dass die Abläufe auf den Finanzmärkten auch für Manager immer undurchschaubarer werden. Haben sich die Investoren von ihren Produkten und den Arbeitnehmern entfremdet?

Thielemann: Banken waren früher viel näher an der Realwirtschaft, da sie fast ausschließlich im Kreditgeschäft tätig waren. Inzwischen wird anonym mit Titeln gehandelt, von denen keiner mehr so genau weiß, was eigentlich dahintersteht. Dabei verliert man aus dem Auge, dass es bei den Markttransaktionen immer auch um Fairness gehen sollte. Diese muss - Erfolgsstreben hin oder her - letztlich den Ausschlag geben. In der radikalisierten Ökonomie ist das vorbei. Da interessieren Unternehmen nur noch als Instrumente der Renditesteigerung. Für die Akteure, die die Wertschöpfung letztlich betreiben, also für Beschäftigte und Unternehmer, stellt sich da zunehmend die Sinnfrage. Sie können sich in ihrer täglichen Arbeit wohl kaum als ein bloßes Objekt der Renditesteigerung verstehen.

sueddeutsche.de: Welche Lösungsansätze gibt es, um den unverantwortlichen Umgang mit Anlegerkapital in den Griff zu bekommen?

Thielemann: Der Anteil der variablen Vergütung an Managergehältern muss begrenzt werden. Das würde die uneingeschränkte Renditeorientierung zumindest abschwächen. Das Problem ist hierbei, dass eine solche Regelung global gelten müsste. Sonst würden diejenigen Unternehmen, die nach wie vor der ökonomischen Radikalität frönen, die anderen vom Markt verdrängen.

An diesem Problem zeigt sich, warum der Kapitalismus zunehmend unbeschränkt abläuft und die Demokratien entmachtet hat: Die Wirtschaftsströme laufen längst global ab, während die Politik noch größtenteils auf den Nationalstaat begrenzt betrieben wird. Sie beschränkt sich darauf, auf die Zwänge des Marktes zu reagieren, also ihnen zu gehorchen. Es käme aber darauf an, diese selbst zu gestalten und auch zu begrenzen.

sueddeutsche.de: Was muss dafür passieren?

Thielemann: Der Markt muss wieder als Ort der ethischen Gestaltung und Moderierung betrachtet werden. Das gilt nicht nur für die staatliche Politik, sondern etwa auch für Investoren, denen es nicht egal sein sollte, wo ihr Kapital angelegt ist. Der Markt muss wieder ein Teil unserer Zivilgesellschaft werden.

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