Bankchef kritisiert Banker:Zweiarmige Banditen

An der Wall Street beginnt die Boni-Saison. Mit erstaunlich offenen Worten meldet sich nun ausgerechnet Morgan Stanley-Chef Gorman zu Wort und verurteilt die Un-Kultur der Händlerriege.

Moritz Koch, New York

Hochnäsig und überbezahlt - so lautet das Verdikt, das Amerika über seine Finanzelite gefällt hat. Mit erstaunlich offenen Worten hat sich nun einer der mächtigsten Männer der Wall Street der öffentlichen Meinung angeschlossen.

Morgan Stanley-Chef James P. Gorman kritisiert die Finanzelite der Wall Street.

Morgan Stanley-Chef James P. Gorman kritisiert die Finanzelite der Wall Street.

(Foto: AP)

In Manhattan herrsche ein "Heldenkult", der Händler dazu treibe, "übermäßige Risiken einzugehen", sagte Morgan-Stanley-Chef James Gorman bei einer Konferenz des Finanzbranchen-Verbandes Securities Industry and Financial Markets Association in New York. Die Gehaltspolitik der Finanzbranche verstärke das Problem. Leute, "die vielfach offen gesagt ziemlich durchschnittlich sind", verdienten an der Wall Street zehnmal mehr als Angestellte in anderen Branchen.

Bankchef Gorman stört sich vor allem daran, wie Angestellte die finanziellen Risiken, die sie eingehen, an das Institut abwälzen, für das sie arbeiten. "Wenn du ein waghalsiges Geschäft eingehst und es geht auf, hast du Erfolg wie ein Bandit", sagte er. "Und wenn es nicht aufgeht, wirst du gefeuert, aber du musst nichts zurückzahlen." Die Verluste tragen andere, die Aktionäre der Banken oder die Steuerzahler.

Dass Gorman jetzt auf das Thema zu sprechen kommt, ist kein Zufall. An der Wall Street beginnt die Bonussaison. Die Erinnerungen der Amerikaner an die Finanzkrise sind noch frisch - und daran, wie Bonus-Banker die Kapitalpolster ihrer Unternehmen zerfledderten. Gorman, der Anfang des Jahres die Führung der Investmentbank Morgan Stanley übernommen hat, ist nicht der erste Bankchef, der versucht, sich mit Selbstkritik in Szene zu setzen. So bekannten sich etwa Lloyd Blankfein von Goldman Sachs und Josef Ackermann von der Deutschen Bank zur Verantwortung der Finanzbranche für die große Krise.

Dennoch sind Gormans Worte bemerkenswert. Deutlich wie kein anderer Banker vor ihm stellt der 52-Jährige heraus, dass die großen Finanzkonzerne Amerikas nicht im Interesse ihrer Eigentümer, der Aktionäre, geschweige denn im Interesse der Gesellschaft handeln. Gorman räumt ein, dass die Banken meist nur den Bankern dienen.

So konnte eine Kultur aus Raffgier und Gleichgültigkeit entstehen. Banker seien enorm flexibel, sagt die Anthropologin Karen Ho, die früher selbst an der Wall Street gearbeitet hat und nun an der University of Minnesota lehrt. "Daher nehmen sie, was sie kriegen können, und ziehen dann weiter."

Gorman selbst als bestes Beispiel

Versuche, das Interesse der Banker für das langfristige Wohl ihres Unternehmens zu wecken, indem Gehälter in Aktien ausgezahlt werden, scheiterten bisher. Der Aktienbesitz verstärkte allenfalls den Anreiz, die Lage ihres Unternehmens zu beschönigen oder sogar zu verfälschen - wie der Untergang der Investmentbanken Lehman Brothers und Bear Stearns gezeigt hat.

Gorman will daher einen Schritt weiter gehen. Er spricht sich dafür aus, dass sich Banken die Bonuszahlungen zurückholen können, wenn sich später herausstellt, dass riskante Finanzwetten nicht aufgegangen sind. Die Idee ist nicht neu. Die meisten Banken haben entsprechende Gehaltsklauseln bereits in ihre Arbeitsverträge eingebaut, auch Morgan Stanley. Doch es ist zweifelhaft, ob sie effektiv sind. Denn oft kann nur ein Teil des Gehalts zurückgeholt werden. Der Rest ist, gerade bei Spitzenmanagern und besonders erfolgreichen Händlern, immer noch enorm hoch.

Gorman selbst ist das beste Beispiel dafür. Er bekam 2009 insgesamt 15,1 Millionen Dollar. 8,6 Millionen sind erfolgsabhängig. Selbst im schlimmsten Fall bleiben also 6,5 Millionen Dollar. In keiner anderen Branche wird Versagen so sehr honoriert. Nach wie vor.

Es wird ein Geheimnis der amerikanischen Politiker bleiben, warum ihre Finanzreform keine Kompensationsvorschriften enthält, außer der windelweichen Klausel, nach der Aktionäre künftig ein nicht-bindendes Votum über die Gehaltspolitik abgeben können. Dabei wären staatliche Eingriffe leicht zu rechtfertigen. Die jährliche Bonus-Bonanza kann als Form von Marktversagen gewertet werden.

Die Banken wissen, dass ihre Gehaltspraktiken ruinös sind, aber sie können sie nicht ändern, weil sie befürchten müssen, dass ihre besten Mitarbeiter ansonsten von der Konkurrenz abgeworben werden. Schon die vorsichtigen Gehaltsreduzierungen, die führende Investmentbanken für dieses Jahr planen, nutzen kleinere Investmenthäuser aus. Sie locken die erfolgreichsten Händler mit hohen Ablösesummen und führen so die Bonuskultur fort.

Die Finanzspezialisten dürfen sich daher wieder einmal auf ein Rekordjahr einstellen. Insgesamt 144 Milliarden Dollar wird die Branche ausschütten, schätzt das Wall Street Journal.

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