Avantgarde-Altbau:Alte Hütte wird zum Musterhaus

Calcium-Silikat-Platten und Sonnenkollektoren - ein Gründerzeitbau in München erfüllt moderne Energiestandards.

Von Martin Thurau

Wer heute in den Hausgang der Nummer 28 tritt, kann sich nicht mehr vorstellen, wie es noch vor einigen Monaten hier an der Westermühlstraße aussah. Werner Fischers Powerpoint-Folien jedenfalls zeigen eingerissene Gauben, aufgebrochenes Mauerwerk, ausgewaidete Kabelschächte und einen ausgeschachteten Innenhof. Kein Vergleich zu heute, selbst wenn auch jetzt noch längst nicht alles fertig ist.

altbausanierung in der westermühlstraße; heddergott

Die Sanierung des denkmalgeschützten Gründerzeitbaus war ein ziemlicher Akt - und eine harte Zeit für die verbliebenen Mieter.

(Foto: Foto: Andreas Heddergott, SZ)

Die Sanierung des denkmalgeschützten Gründerzeitbaus muss ein ziemlicher Akt gewesen sein und eine harte Zeit für die verbliebenen Mieter - das mag auch Werner Fischer nicht beschönigen. Sein Augsburger Architektenbüro Team-A-3 hat den Umbau geplant und begleitet. Doch das eigentlich Spannende an dem Sanierungsprojekt ist nicht der Baufortschritt an sich, nicht das neue Erscheinungsbild im Gegensatz zum alten, auch nicht die propere Straßenfassade. Was das Haus zu einem Modell macht, ist der deutlich verbesserte Energiehaushalt. Denn darin ist der Münchner Altbau Avantgarde.

Gemessen an den einschlägigen Kenngrößen, übertrifft das 1890 gebaute fünfgeschossige Wohnhaus nun deutlich die Anforderungen, die die Energieeinsparverordnung an Neubauten stellt. Beim sogenannten spezifischen Transmissionswärmeverlust, einem Maß dafür, wie gut die Gebäudehülle gedämmt ist, liegt der Wert 33 Prozent unter dem Mindeststandard für Neubauten, beim Bedarf an Primärenergie für Heizung und Warmwasser bleibt das Haus jetzt gar 60 Prozent darunter. Heute macht dieser Bedarf nur noch 13 Prozent der vor der Sanierung eingesetzten Heizenergie aus, rund 30 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr.

Staatliche Förderung inklusive

Dabei sei das Haus auch vor dem Umbau "nicht wirklich eine Energieschleuder" gewesen, sagt Fischer, sondern sozusagen Altbau-Durchschnitt. Nun erreicht es sogar den Standard eines modernen Niedrigenergiehauses, und was den Energiebedarf angeht, kommt es sogar an das noch strengere Niveau für sogenannte Passivhäuser heran.

Und so ist nicht verwunderlich, dass auf der üppig dimensionierten Bautafel vor dem Haus die Bezeichnung "Dena" auftaucht. Die Abkürzung steht für die bundeseigene Deutsche EnergieAgentur, die Modellvorhaben wie das an der Westermühlstraße fördert. "Niedrigenergiehaus im Bestand" heißt das Programm, das gerade in einer dritten Phase läuft. An bislang 140 Sanierungsprojekten bundesweit kann die Agentur nachweisen, dass eine umfassende Instandsetzung der Bausubstanz einen bedeutenden Beitrag zum Energiesparen und damit zum Klimaschutz leisten kann.

Auch das Freiburger Öko-Institut hat in einem Gutachten für die Stadt München die energietechnische Altbausanierung als vorrangiges Ziel ausgewiesen, um den klimaschädlichen Kohlendioxid-Ausstoß deutlich herunterzufahren. Drei Projekte hat die Dena bis dato in München mit ihrem Programm unterstützt, neben dem in der Westermühlstraße im Glockenbachviertel die Sanierung eines Fünfziger-Jahre-Wohnhauses an der Fouquéstraße in Pasing, sowie die eines Mehrparteienblocks aus den sechziger Jahren am Hundertpfundweg in der Nähe des Westparks.

Alte Hütte wird zum Musterhaus

Wie also lässt sich eine alte Hütte aus der Gründerzeit auf moderne Energiestandards bringen? Das Haus hat nicht die Opulenz Schwabinger Großbürgerbauten, es ist eingepasst in die dichte Zeilenbebauung der Isarvorstadt, die Wohnungen, zwei pro Stockwerk, haben im Schnitt 75 Quadratmeter. Das Erscheinungsbild des Hauses sei ursprünglich "katastrophal" gewesen, erinnert sich Architekt Fischer. Das Haus sei zwar schon einmal saniert worden, aber mit viel Stückwerk. So stand die Instandsetzung ohnehin an - unter erschwerten Bedingungen, denn einige der Wohnungen blieben während der Umbauten belegt.

Avantgarde-Altbau: Aufs Dach gestiegen: der Architekt Werner Fischer hinter Sonnenkollektoren fürs Warmwasser

Aufs Dach gestiegen: der Architekt Werner Fischer hinter Sonnenkollektoren fürs Warmwasser

(Foto: Foto: Andreas Heddergott)

"Sehr, sehr zufrieden"

Eine harte Zeit für die Mieter. Für ein paar Monate sei sie sogar ausgezogen, erzählt Inge Zaus aus dem vierten Stock, bei ihr sei wohl auch am meisten umgebaut worden. Andere Parteien seien ebenfalls ausgewichen. Großteils wurden die Grundrisse der Wohnungen umgedreht, Durchbrüche gemacht, Außenklos nach innen verlegt, Bäder neu zugeschnitten, Balkone erneuert. Die Wohnbereiche liegen nun an der Rückseite, nach Südwesten. Mit dem Ergebnis, sagt jedenfalls Inge Zaus, sei sie "sehr, sehr zufrieden".

Und das Projekt Energiesparen? Was möglich ist, ließen die Hausbesitzer, eine kirchliche Stiftung, erst einmal vom Team-A-3 ermitteln. Eine solche Bestandsaufnahme, ein Spezialfeld des Büros, wird vom Bund gefördert. Anfangs, so erzählt Fischer, habe der Niedrigenergiehaus-Standard als Zielgröße nicht zur Debatte gestanden. Erst mit der Beratung habe sich herausgestellt, dass sich der Mehraufwand gegenüber einer herkömmlichen Sanierung lohnt und sogar einen kleinen Gewinn von 240 Euro im Jahr abwirft, berichtet Fischer.

Alte Hütte wird zum Musterhaus

Drüben, auf dem Dachboden des Hinterhauses, liegt der Stoff, aus dem das Sparen ist, offen zutage. Dort ist die Dämmung sichtbar, Matten von Mineralfasern, insgesamt 20 Zentimeter dick. Generell, so erklärt Fischer, gehe es darum, die gesamte Hülle des Gebäudes möglichst gut abzudichten. Im Vorderhaus ist die Rückfassade mit einem 16 Zentimeter dicken Verbundsystem gedämmt, innen mit sieben Zentimeter dicken Calcium-Silikat-Platten. Die Außenmauer zur Straße ist wegen der Denkmalschutzauflagen nur auf der Innenseite gedämmt.

Dämmung fast ohne Ende

Gegen die Wärmebrücken sind die Fenster dreifachverglast, die Laibungen ebenfalls mit einer dünnen Dämmung ausgekleidet. Die Dachgauben sind außen dick bepackt, weswegen die Architekten mitunter zwei nahe beieinanderliegende zusammenfassen mussten. Fischer sieht in dem damit dazugewonnenen Raum ebenso einen Zusatznutzen der energetischen Sanierung wie im Bau der neuen Balkone. Der war nötig geworden, um die damals nachträglich eingefügten Stahlträger der alten Balkone entfernen zu können, weil sie für große Wärmeverluste verantwortlich waren.

Obendrein haben die Planer die Haustechnik erneuert. Die alten Etagenheizungen haben sie ausgebaut, im Keller eine - effektivere - Zentralheizung installiert, die mit Holzpellets befeuert wird. Auf dem Dach befinden sich Sonnenkollektoren zur Warmwasserbereitung. Das zusätzlich neue Lüftungssystem sei, meint Fischer, ein "deutlicher Komfortgewinn", zumal die Frischluftventile mit Pollenfiltern versehen seien.

Oberstes Ziel der Sanierung, so unterstreicht der Augsburger Architekt, sei es eben, die Wohnqualität zu verbessern und gleichzeitig den Wert des Gebäudes zu erhalten. Auch wenn die Mieter so wenig fürs Heizen verbrauchen wie sonst selten im Altbau: "Wir sind", so sagt Fischer, "keine betriebsblinden Energieoptimierer."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: