Außenwände:Mehr als Fassade

Verschattung, Belüftung, Energielieferant: Außenwände sind heute oft mit allerlei High Tech hochgerüstet. Forscher der TU München arbeiten nun an Bauteilen, die auch ohne komplizierte Technik viel Komfort bieten.

Von Ralph Diermann

Was die Architektur betrifft, hat sich im Grunde gar nicht so viel verändert, seit die Menschen in der Jungsteinzeit die ersten festen Bauten errichteten: Wie wohl man sich im Innern fühlt, hängt in hohem Maße von der Gestaltung der Fassade ab. Sie hält Wind und Wetter draußen und lässt Licht hinein. Zugleich prägt sie das Erscheinungsbild der Gebäude. Sie gibt den Häusern ein Gesicht - kein Zufall, dass das englische Wort "face" die gleiche Wurzel hat wie unser Begriff Fassade.

Doch nun, nach 10 000 Jahren Baugeschichte, haben Ingenieure und Architekten damit begonnen, den Fassaden neue, zusätzliche Funktionen zu geben. Ihr Ziel ist es, dem Stein und Glas, Stahl und Beton ein wenig Leben einzuhauchen: Fassaden sollen selbsttätig auf ihre Umwelt reagieren, um den Komfort für die Nutzer des Gebäudes zu verbessern, um Energie zu sparen oder Strom zu erzeugen. Das geschieht üblicherweise unter Zuhilfenahme von allerlei Technik.

Sensoren messen Sonneneinstrahlung und Lufttemperatur, Elektromotoren bewegen Verschattungselemente und Lüftungsklappen, integrierte Photovoltaik-Zellen liefern Energie. Die technische Aufrüstung hat einiges dazu beigetragen, dass sich Komfort und Klimabilanz von Neubauten heute sehen lassen kann. Doch der Fortschritt hat seinen Preis: Die Technik macht das Bauen teurer. Dazu kommen die Folgekosten, da Anlagen gewartet und repariert werden müssen.

Außenwände: Die Fassade der Schule "Centre professionel" im Schweizerischen Fribourg kann Wärme aufnehmen und bei Bedarf wieder abgeben.

Die Fassade der Schule "Centre professionel" im Schweizerischen Fribourg kann Wärme aufnehmen und bei Bedarf wieder abgeben.

(Foto: GLASSX/PR)

"Für einfache Aufgaben wie Belüftung oder Verschattung werden heute häufig komplexe Lösungen eingesetzt", kritisiert Moritz Mungenast vom Lehrstuhl für "Entwerfen und Gebäudehülle" der Technischen Universität München. Der Forscher, selbst Architekt und zuvor unter anderem beim renommierten Münchner Büro Auer Weber sowie bei Shigeru Ban in Paris tätig, setzt dem einen ganz anderen Ansatz entgegen: Zusammen mit seinem Team hat Mungenast Fassadenelemente entwickelt, die Funktionen wie Dämmung, Belüftung, Sonnen- oder Schallschutz übernehmen, ohne dass dafür Sensoren, Motoren oder Steuerungen nötig sind. "All diese Funktionen sind in unser Bauteil integriert. Möglich macht das dessen besondere Geometrie", sagt der Architekt.

Wie ein schmelzender Eisblock sieht das Bauteil aus, das Mungenast in der TU präsentiert - ein wässrig schimmernder, weißlicher Kunststoffblock, durch den diffuses Licht fällt. Unregelmäßig geformte Wellen überziehen die Oberfläche, als wäre ein See erstarrt, in den zuvor ein Stein geworfen wurde. Am Beispiel dieser Wellen erläutert Mungenast, was diese spezielle Geometrie der Fassade leisten kann. "Die Wellenstruktur ist so gestaltet, dass sie im Sommer bei steil stehender Sonne Schatten spendet. Damit gelangt weniger Wärme ins Gebäude. Steht im Winter die Sonne dann tiefer, stellen die Wellen keine Barriere mehr dar, sodass möglichst viel der Solarstrahlung einfallen kann", erklärt der Forscher. Ähnlich funktioniert der Schallschutz: Die Oberflächen sind so strukturiert, dass der Schall gebrochen wird. Das mindert die Lärmbelastung in den Räumen wie auf der Straße. Integrierte Lüftungskanäle bringen Frischluft in die Gebäude. Das Innere des Bauteils besteht aus wenige Zentimeter großen, luftgefüllten Zellen, die das Gebäude dämmen. Auf ein Wärmedämmverbundsystem könne man damit verzichten, so Mungenast.

Doch wie stellt man ein solch ungewöhnliches Bauelement her? Das zeigt ein Gang in das Untergeschoss der Hochschule, wo ein 3D-Drucker vor sich hin surrt. Gefüttert mit recycelbarem Kunststoff, setzt der Drucker hauchfeine Schichten übereinander, sodass binnen einer guten Woche ein Fassadenelement von einem knappen Quadratmeter Größe heranwächst. Die neueste Generation von 3D-Druckern für die Industrie kann laut Mungenast aber deutlich größere Elemente fertigen - und das in einem Bruchteil der Zeit. "Nur ein 3D-Drucker ist in der Lage, diese komplexen Geometrien herzustellen. Selbst bewegliche Bauteile wie autoreaktive, temperatursensible Lüftungsklappen lassen sich drucken", sagt der Forscher.

Illustration: Fassade der TUM München

Noch Vision ist die Entwicklung der Technischen Universität München: Die lichtdurchlässigen Elemente sollen mit 3D-Druckern produziert werden.

(Foto: TU München)

Wie die Strukturen genau aussehen sollen, entwerfen die Architekten mit Hilfe von CAD-Modellen individuell für jedes Fassadenelement. "Sie passen die Gestaltung maßgeschneidert an die Nutzung der Gebäude, die Klimazone, die Orientierung und andere Anforderungen an."

Mungenast sieht die Elemente vor allem für Sonderbauten wie Museen, Bibliotheken, Konzerthäuser oder Einkaufszentren, wo sie besondere ästhetische Akzente setzen könnten. Hier spielt auch keine Rolle, dass sie nicht transparent wie ein Fenster sind, sondern nur transluzent, also lichtdurchlässig. "Das durchscheinende Licht erzeugt eine ganz eigene, reizvolle Atmosphäre", so Mungenast.

Doch zunächst muss das Team der TU erst einmal erforschen, ob sich die Elemente auch in der Praxis bewähren. Dazu werden sie jetzt auf dem Dach der Hochschule ein Jahr lang Wind und Wetter ausgesetzt. Bis die ersten Gebäude mit einer solchen Fassade entstehen, wird also noch einige Zeit vergehen.

Ein paar Türen weiter arbeitet ein Architektenteam der Universität ebenfalls an einem Fassaden-Bauteil, das ohne komplizierte Technik auskommt: Philipp Molter und sein Team haben ein Belüftungssystem für doppelt verglaste Fassaden mit integriertem Sonnenschutz entwickelt, das sich mit dem Ansteigen der Temperatur selbsttätig öffnet und wieder schließt, wenn es kühler wird. "Unser Vorbild ist die menschliche Haut. Sie schützt uns vor Überhitzung, indem sich die Poren öffnen. Das geschieht automatisch, ohne dass wir darüber nachdenken müssen", sagt Molter.

Herzstück des Systems sind mit Paraffin gefüllte Thermozylinder. Das Wachs-Öl-Gemisch dehnt sich aus, wenn die Außentemperatur über 23 Grad steigt. Dabei werden die Zylinder wie Teleskope auseinander geschoben, so dass die äußere Glasfront nach außen gedrückt wird. Die eindringende Außenluft verhindert eine Überhitzung des Raums zwischen den Scheiben. In der Folge heizen sich auch die Innenräume nicht so stark auf. Um bis zu fünfzig Prozent soll sich der Energiebedarf für das Kühlen der Gebäude auf diese Weise reduzieren lassen.

Während sich die Produkte von Mungenast und Molter noch in der Entwicklung befinden, werden die Low-Tech-Fassadenelemente der Schweizer Firma GlassX bereits in der Praxis eingesetzt. Die transluzenten Bauteile können Wärme aufnehmen und bei Bedarf wieder abgeben. "Das spart Energie und schafft Behaglichkeit", erklärt Jessica Stelljes von GlassX. Sie sind mit einem sogenannten Phasenwechselmaterial gefüllt, das als Wärmespeicher dient - Salze, deren Zustand von der Umgebungstemperatur abhängt. Wenn das Thermometer über 26 Grad klettert, schmelzen sie und absorbieren dabei Wärme. Dabei heizt sich das Material selber nicht auf, sodass das Klima im Innern des Gebäudes angenehm bleibt. Sobald es draußen kühler wird, kristallisieren die Salze. Dabei geben sie die Wärme wieder ab. Laut Stelljes lässt sich der Energiebedarf für das Heizen und Kühlen eines Gebäudes so um zwanzig bis vierzig Prozent reduzieren. "In sehr gut gedämmten Neubauten kann man damit sogar ganz auf eine Heizung verzichten", erklärt sie. Mehrere Dutzend Gebäude in Deutschland und der Schweiz - Bürogebäude und Seniorenheime zum Beispiel - sind bereits mit solchen Wärmespeichern ausgestattet.

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