Süddeutsche Zeitung

Aufarbeitung der Finanzkrise:Schwarze Löcher

Mehrere Banken in Deutschland haben viel Geld verschlungen. Banker wollen, dass das als natürlicher Vorgang betrachtet wird.

Heribert Prantl

Die bizarrsten Objekte des Universums sind die schwarzen Löcher: Sie saugen alles in sich auf, können ganze Planeten und Sterne verschlingen. Alles, was sie sich einverleiben, wird zusammengepresst; so wird das Loch noch schwerer und gefräßiger. Das klingt gefährlich. Aber die Astrophysik kann die Menschen beruhigen: Man muss keine Angst haben, dass die Welt verschluckt wird; in unserer Nähe gibt es kein schwarzes Loch.

Wirklich nicht? Der Verlauf der Finanzkrise hat gezeigt, dass das globale Finanzsystem offenbar so ähnlich funktioniert. Die schwarzen Löcher tragen hier die Namen von Banken. In Deutschland heißen sie WestLB, Hypo Real Estate, HSH Nordbank, IKB, BayernLB oder SachsenLB. Sie haben unvorstellbar viel Geld verschlungen.

Bankvorstände, Aufsichts- und Verwaltungsräte haben aber ein Interesse daran, dass dies als quasi natürlicher Vorgang betrachtet wird: Das sei systemimmanent. Es sei daher unsinnig, Fragen nach Schuld und Verantwortlichkeit zu stellen, es sei verfehlt, nach Schadenersatz oder Strafe zu rufen. Die Banker tun so, als seien auch sie selbst vom schwarzen Loch angesaugt worden, als hätten sie nicht anders handeln können, als sie gehandelt haben. Bisher hatten sie mit dieser Argumentation Erfolg.

Bei den echten schwarzen Löchern ist es so, dass auch die Zeit verschluckt wird: Wenn man eine Uhr hineinwirft und sie dann von außen beobachtet, tickt sie langsamer und bleibt schließlich stehen. Bei den Pleite-Banken wird anscheinend das Recht verschluckt: Hie und da haben zwar strafrechtliche Ermittlungen mit Bohei begonnen, sie werden aber langsamer und bleiben schließlich stecken. Festnahmen: keine. Schuldsprüche: keine. Schadenersatzzahlungen: null. Die Verantwortung verkrümelt sich wohl mit der Größe des Schadens.

Diese angebliche Verkrümelung, diese angebliche Nichtgreifbarkeit persönlicher Schuld ist ein GAU für das Rechtsbewusstsein, eine Verhöhnung des Rechts. Jeder Chef eines Handwerksbetriebs muss für die Beachtung der Arbeitsschutzvorschriften einstehen. Warum soll das für Bankvorstände nicht gelten? Der Verfassungsgerichtshof Sachsen hat in einem Urteil vom 28. August 2009 über das Geschäftsgebaren der Landesbank festgestellt: "Die...Betätigung der Sachsen LB auf den Kapitalmärkten war von ihren gesetzlichen Aufgaben nicht mehr gedeckt." Nicht gedeckt: An sieben sehr markanten Stellen im Urteil werden solche Gesetzesverstöße festgestellt. Warum sollen dann pflichtvergessene Vorstände und fahrlässige Aufsichtsorgane nicht auf Schadenersatz haften?

Die Landesbanken haben sich, wie andere Banken auch, irrwitzig viel Geld für absurd hohe Wertpapierkäufe geliehen - für Spekulationsgeschäfte ohne wirtschaftlichen Hintergrund. Sie haben hochriskante Geschäfte ins Ausland ausgelagert, sich so der Bankenaufsicht entzogen. Sie haben, so der Wirtschaftsrechtler Marcus Lutter, "wissen- und willentlich die Bremsen aus ihrem Wagen ausgebaut". Wer das beim Auto macht und einen furchtbaren Unfall baut, weiß, was ihm blüht. Die Finanzwirtschaft aber verweist darauf, dass sie sich künftig einem freiwilligen TÜV unterwerfen wolle. Soll es damit wirklich getan sein?

Derzeit ist es so, dass im Hinblick auf strafrechtliche Ermittlungen zivilrechtliche Schadenersatzansprüche kaum geltend gemacht werden. Banken, Aufsichtsorgane und Finanzminister wollen offenbar das Ergebnis der Strafermittlungen abwarten.

Das ist ein grober Fehler, das ist eine neuerliche Pflichtverletzung. Für die Schadenersatzpflicht im Zivilrecht reicht grobe Pflichtverletzung, es muss nicht, wie bei der Untreue im Strafrecht, ein Schädigungsvorsatz nachgewiesen werden. Wenn nun die Geschädigten erst das Ergebnis strafrechtlicher Ermittlungen abwarten, können sie lange warten. Derweilen verjähren die Schadenersatzansprüche. Das wäre eine neue Katastrophe - rechtlich, politisch und moralisch.

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SZ vom 23.12.2009/hgn
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