Armut in den USA:Das passt schon

In Amerika geht den Menschen das Geld aus. Nur ein paar werden immer reicher. Wie man das nennt? Eine Wiederholung.

Nikolaus Piper

Daniel Drew war ein armer Bauernjunge. Seine ersten 100 Dollar verdiente er, indem er für einen reichen New Yorker in den spanisch-amerikanischen Krieg von 1812 zog. Danach machte er Karriere als Viehtreiber. Er brachte Herden von 1000 Rindern und mehr den Hudson hinunter nach New York und verkaufte sie dort weiter.

Armut in den USA: Bill Gates: Der reichste Amerikaner - doch die Kluft zwischen arm und reich in den USA wird immer größer.

Bill Gates: Der reichste Amerikaner - doch die Kluft zwischen arm und reich in den USA wird immer größer.

(Foto: Foto: Getty Images)

Seinen Gewinn verbesserte er durch einen kleinen Trick: Er gab den Rindern Salz zu fressen; dadurch bekamen die Tiere Durst, tranken Unmengen Wasser und wurden entsprechend schwer. Das zusätzliche Wasser wurde von den Metzgern bezahlt, und Drew wurde dabei reich.

Einer der ersten "Räuberbarone"

Er kaufte erst einen Viehhof in Manhattan, dann eine Fähre über den Hudson. Die veräußerte er später und widmete sich fortan Finanzgeschäften an der Wall Street. 1879 starb Drew steinreich und als einer der ersten "Räuberbarone" des amerikanischen Kapitalismus.

Drew hinterließ der Nachwelt das schöne Wort von der "Verwässerung" von Kapital. So sagt man bis heute, zum Beispiel wenn eine Firma ihr Kapital erhöht und dadurch alte Aktien an Wert verlieren.

Aber nicht nur deshalb ist Daniel Drew hochmodern. Während der vergangenen 25 Jahre ähnelte der Kapitalismus in Amerika dem Zeitalter der Räuberbarone zum Teil verblüffend.

Soziale Gegensätze

Wie damals veränderten Industriekapitäne, Investoren und Spekulanten das Gesicht der Wirtschaft mit atemberaubendem Tempo, die meisten hielten sich an die Gesetze, einige nicht. Wie damals wurden sie dabei unfassbar reich, wie damals wuchsen die sozialen Gegensätze.

Und erst in der jetzigen Krise zeigt sich, wie außergewöhnlich diese Zeit in der Entwicklung des Kapitalismus war und wie sehr sie der anderen großen Ausnahmeepoche ähnelt, eben der Zeit der Räuberbarone.

In der amerikanischen Geschichtsschreibung heißt die fragliche Zeit - nach einem Roman von Mark Twain - "Gilded Age": "Vergoldetes Zeitalter". Und mehr und mehr Amerikaner deuten die jüngste Gegenwart als ein zweites Gilded Age.

Das erste begann nach dem amerikanischen Bürgerkrieg um das Jahr 1870 und endete mit dem Ersten Weltkrieg. Die letzten Ausläufer zeigten sich in den wilden zwanziger Jahren und führten schließlich in den Börsenkrach von 1929.

Beispiellose Innovationswelle

Den Beginn des zweiten markiert der 8.Januar 1982, als das amerikanische Justizministerium den Telefon-Monopolisten AT&T zerschlug und damit eine beispiellose Innovationswelle auslöste.

Die Bedeutung des ersten Gilded Age für die Geschichte ist kaum zu über-schätzen. Es war die Zeit, in der die USA aus einem Verbund von Siedlerrepubliken zur führenden Industrienation der Erde wurden.

Die Bevölkerung verdoppelte sich in nur 50 Jahren. Millionen Schwarze verließen das Elend im Süden und versuchten ihr Glück in Chicago, New York und Detroit. In den Straßen Manhattans wuchsen die Wohnpaläste der Reichen und die ersten Wolkenkratzer.

Reichster Amerikaner aller Zeiten

Nie zuvor und nie danach wurden so große Vermögen in so kurzer Zeit gebildet wie in den Jugendjahren des amerikanischen Kapitalismus. John D. Rockefeller, der legendäre Herrscher über Standard Oil, ist bis heute der reichste Amerikaner aller Zeiten geblieben.

Sein Vermögen machte zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Vierundvierzigstel des US-Sozialprodukts aus und entsprach in heutiger Kaufkraft 192 Milliarden Dollar. Der Schiffs- und Eisenbahnkönig Cornelius Vanderbilt kam auf 143 Milliarden Dollar, der Stahlmagnat Andrew Carnegie auf 75 Milliarden Dollar. Ganze 30 Familien geboten über fünf Prozent der amerikanischen Wirtschaftsleistung.

Das passt schon

Solche Dimensionen wurden im 20.Jahrhundert zwar nicht mehr erreicht. Doch der reichste Amerikaner der Gegenwart, Microsoft-Gründer Bill Gates, kommt mit 60 Milliarden Dollar schon ziemlich dicht an Andrew Carnegie heran.

Und das Tempo, mit dem sich die Schere zwischen Arm und Reich in den Vereinigten Staaten geöffnet hat, ist beeindruckend. Ein Prozent der Haushalte an der Spitze der Gesellschaft verdient heute 21,8 Prozent des gesamten Volkseinkommens der USA - der Anteil hat sich seit 1970 verdoppelt. Der durchschnittliche Chef eines Großunternehmens verdient das 411-Fache eines normalen Arbeitnehmers. Vor 15 Jahren war es das 107-Fache.

In nur zehn Jahren hat sich die Zahl der Amerikaner, die mehr als 25 Millionen Dollar im Jahr verdienen, auf 110.000 verdoppelt. Das Einkommen eines Durchschnittsarbeiters ging leicht zurück.

Ähnliche Ursachen

Unternehmerischer Erfolg und soziale Ungleichheit haben im ersten wie im zweiten Vergoldeten Zeitalter ähnliche Ursachen: Innovation, Wettbewerb und günstige staatliche Rahmenbedingungen. Die Rockefellers, Carnegies und Vanderbilts nutzten die neuen Möglichkeiten von Eisenbahn, Stahl, Kohle und Öl für sich. Zugute kam ihnen, dass es keine Einkommensteuer und nur sehr wenig allgemein akzeptierte staatliche

Regeln gab. Das zweite Gilded Age wurde durch Telekommunikation, Computer, Internet, Innovation auf den Finanzmärkten und Globalisierung angetrieben, außerdem durch Steuersenkungen und den Abbau staatlicher Regulierung. Wenn sich die Welt schnell verändert, wird der Unterschied zwischen richtigen und falschen Entscheidungen größer. Deshalb verdienen Entscheidungsträger mehr. Wenn es mehr Möglichkeiten gibt, wird derjenige belohnt, der sie zu nutzen versteht.

Modernisierer

Und es ist schwer, jemanden zu verdammen. John Rockefeller drängte seine Konkurrenten brutal zur Seite, aber er modernisierte und sanierte auch die Öl-industrie Pennsylvanias, die zuvor hauptsächlich aus Hinterhoffirmen mit miserablen Arbeitsbedingungen und hohem Unfallrisiko bestand.

Bill Gates hatte gewiss nicht immer die besten Produkte, und er ist in seinem Monopolstreben kaum weniger rigoros als Rockefeller. Aber er setzte mit Windows einen Industriestandard, der aus dem PC ein Produkt für jeden Haushalt machte.

Das Gilded Age wurde immer wieder von Spekulationsblasen und Börsenkrächen heimgesucht, aber am Ende jeder Spekulation war das Eisenbahnsystem des Landes ein Stück besser.

Das Muster wiederholte sich hundert Jahre später beim Internetboom und dessen Zusammenbruch. Viele Anleger verloren sehr viel Geld, aber am Ende blieben Glasfasernetze, die heute der ganzen Welt nutzen. Selbst nach der jetzigen Kreditkrise werden Finanzinstrumente übrigbleiben, die die Kapitalmärkte stabiler und effizienter machen.

Unglaublicher Luxuskonsum

Die Neureichen des 19. Jahrhunderts schwelgten in unglaublichem Luxuskonsum. Rockefeller baute sich ein Schloss über dem Hudson, Cornelius Vanderbilt ließ jedes Mal ein Feuerwerk abbrennen, wenn er sich mit Frau, Kindern und unzähligen Bediensteten auf Europareise begab.

Eine Dame der gehobenen Gesellschaft von Manhattan gab einmal eine Dinner-Party zu Ehren ihres Hundes, der bei dieser Gelegenheit ein Diamant-Collier für 15.000 Dollar trug. "Amerika ist vom Stadium der Barbarei in das der Dekadenz übergegangen, ohne in der Zwischenzeit eine Zivilisation entwickelt zu haben", sagte der französische Premierminister Georges Clemenceau nach einem Besuch.

Auch die Reichen dieser Tage tun sich durch Yachten, Privatjets, Villen und anderen demonstrativen Konsum hervor. Eine gewisse Starrolle in dieser Hinsicht hat der Firmenaufkäufer Stephen Schwarzman übernommen, der über seine Firma Blackstone ein Milliardenvermögen anhäufen konnte. Voriges Jahr feierte er seinen 60. Geburtstag mit 500 Gästen in einem historischen Gebäude an Manhattans Park Avenue. Die Party soll drei Millionen Dollar gekostet haben, allein Stargast Rod Stewart bekam eine Million. Auf Long Island erwarb Schwarzman für

"Ich sammle nun mal Häuser"

34 Millionen Dollar einen Palast, an der Park Avenue gehört ihm eine 35-Zimmer-Wohnung, die einst - was Wunder - Rockefeller bewohnte. Weitere Villen in Florida und St. Tropez kommen dazu. "Ich sammle nun mal Häuser, ich weiß auch nicht warum", sagte Schwarzman einem Reporter.

Das passt schon

Das alte und das neue Gilded Age zeichnen sich aber nicht nur durch Gier, sondern auch durch Großzügigkeit aus. Dass die New Yorker heute die Schönheiten des Hudson-Tales genießen können, haben sie im Wesentlichen John Rockefeller und dessen Erben zu verdanken.

Die Familie kaufte riesige Ländereien im Norden New Yorks auf und ließ sie in Landschaftsschutzgebiete umwandeln. Andrew Carnegie war der Meinung, dass er im Leben Glück hatte und dass er der Gesellschaft etwas schuldete. Am Ende seines Lebens hatte er fast sein gesamtes Vermögen weggegeben für wohltätige Zwecke, für die Förderung von Kultur und Wissenschaft. Die Carnegie Hall in Manhattan ist bis heute einer der wichtigsten Tempel der klassischen Musik.

Milliarden für die Dritte Welt

Zumindest einige der Reichen von heute tun es Andrew Carnegie nach. Bill Gates bringt den größten Teil seines Vermögens in eine Stiftung für Bildung und Gesundheit in der Dritten Welt ein.

Der zweitreichste Mann Amerikas, der Investor Warren Buffett, hat sich ihm angeschlossen. Und der Medienunternehmer Michael Bloomberg (Vermögen: elf Milliarden Dollar) arbeitet für das symbolische Gehalt von einem Dollar als Bürgermeister von New York.

Das erste Gilded Age erzeugte auch mächtige Gegenkräfte: militante Gewerkschaften, die Bewegung der Populisten und vor allem die Anti-Trust-Bewegung, die zu einer strengen Kartellgesetzgebung führte. Im Jahr 1911 zerschlug die amerikanische Regierung Standard Oil. Die sozialen Gegensätze der Ära ließen den Wunsch nach Regulierung und Schutz wachsen. Als Spätfolge des Gilded Age errichtete Präsident Franklin D. Roosevelt in der Weltwirtschaftskrise die Grundlagen des, im Vergleich zu Europa immer noch schwachen, US-Sozialstaates.

Lex Schwarzmann

Heute wachsen in der amerikanischen Mittelschicht die Frustrationen und die Sorge vor der Zukunft. Sie finden ihr Echo im laufenden Vorwahlkampf. Hillary Clinton hat immerhin schon eine Begrenzung der Manager-Gehälter gefordert. Im Kongress ist eine Lex Schwarzman anhängig, ein Gesetz, nach dem Finanzfirmen schärfer besteuert werden.

Ob das zweite Gilded Age in der jetzigen Krise wirklich zu Ende geht, ist offen. Es wird aber so kommen, wenn zu viele Amerikaner ihren amerikanischen Traum nicht mehr erfüllen können.

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