Architektur:"Wir müssen anders bauen"

Architektur: Für Werner Sobek sehen die meisten Häuser aus Fertigmodulen aus wie Container. Er stellt höhere Ansprüche.

Für Werner Sobek sehen die meisten Häuser aus Fertigmodulen aus wie Container. Er stellt höhere Ansprüche.

(Foto: Tillman)

Häuser sollten wie Autos produziert werden - in einem Werk, präzise und sauber, sagt der Ingenieur und Architekt Werner Sobek.

Interview von Elisabeth Dostert

Bauen ist einer der größten Verursacher von Müll in Deutschland. Das will Werner Sobek ändern. Schon beim Bauen müsse der Verbrauch an Material und Energie gesenkt werden. Häuser müssten wie Autos in Produktionshallen produziert werden, sagt der Professor.

SZ: Herr Sobek, was haben Sie im Studium über Fertighäuser gelernt?

Werner Sobek: Nichts. Fertighäuser waren verpönt. Als ich studierte, in den 70er-Jahren, waren das typischerweise Einfamilienhäuser, die nach dem Gleichteileprinzip gebaut wurden. Diese Häuser sahen fast alle auch identisch aus und hießen "Erika" oder "Alpenblick". Mit so etwas beschäftigte sich ein Architekt von Welt damals nicht.

Wann änderte sich Ihre Haltung?

Mitte der 90er-Jahre. Damals erkannte ich, dass die alleinige Fokussierung auf das Thema Energieeffizienz ein Irrweg ist. Mir wurde klar, dass es doch in erster Linie nicht darum geht, Energie einzusparen, sondern um eine Reduktion unserer CO₂-Emissionen! Es gibt genügend Alternativen zu fossilen und nuklearen Energieträgern. Die Sonne strahlt 10 000-mal mehr Energie auf die Erde, als die Menschheit in toto benötigt. Wir nutzen diese solare Energie bislang aber nur unzureichend, da es einfacher und bequemer ist, beim Verbrennen fossiler Rohstoffe zu verharren.

Gab es einen Auslöser für Ihren Sinneswandel?

Bereits Ende der 80er-Jahre wurde in der Politik ausführlich über die Einführung einer Recyclingquote für Autos gesprochen. Ich habe mich gefragt, warum die Bundesregierung eine Recyclingquote für Autos einführen will, aber nicht für das Bauwesen. Ich habe damals begonnen, mich verstärkt mit den Masseverbräuchen und den im Bauwesen eingesetzten Materialien zu beschäftigen. Für deren Gewinnung muss auch Energie eingesetzt werden, etwa um das Erz für das Eisen zu gewinnen und um Stahl zu produzieren.

Was war das Ergebnis?

Es war am Anfang nicht ganz einfach, weil es kaum Daten gab. Ich habe festgestellt, dass etwa die Hälfte der Energie, die ein Haus in seiner gesamten Lebenszeit benötigt, bereits für die Herstellung der Baustoffe und den Bau verbraucht wird. Das heißt: Eine Senkung des Energieverbrauchs in der Nutzungsphase um zehn bis 20 Prozent hört sich zwar hübsch an, hat aber bei Weitem nicht die Wirkung wie eine Senkung des Materialverbrauchs beim Bau.

Was haben Sie aus Ihren Erkenntnissen gemacht?

Ich war 1992 der erste Professor, der eine Vorlesungsreihe über recyclinggerechte Architektur gehalten hat. Mir war schon damals klar: Wenn wir unsere Gebäude tatsächlich recyceln - also komplett in den Stoffkreislauf zurückführen - wollen, müssen wir auf bestimmte Methoden beim Bauen komplett verzichten.

Auf was denn, zum Beispiel?

Toleranzen, also Abweichungen zwischen verschiedenen Bauteilen und Gewerken, werden heute in der Regel mit Polyurethan-schaum ausgeglichen. Das Ganze wird dann mit mehreren Schichten Putz versehen, damit niemand den Mangel sieht. Fugen im Bad und in der Küche werden mit Silikon verschlossen. Hierdurch werden große Teile unserer Gebäude letztlich zum Sondermüll, da man die verbauten Werkstoffe nie mehr sortenrein voneinander trennen kann. Von solchen Methoden müssen wir weg. Wir müssen anders bauen.

Und wie?

Indem wir Häuser wie Autos produzieren: in einer Produktionshalle, in der man wesentlich präziser und sauberer als auf der Baustelle selbst arbeiten kann und in der die Qualität des Produkts nicht von der Witterung abhängt. Man kann doch nicht erwarten, dass ein schlecht bezahlter Bauarbeiter aus Anatolien, der im November auf der Baustelle knietief im Dreck steht, irgendein Bauteil auf einen Millimeter genau betoniert.

Warum haben Sie nicht einfach einen der Fertighaushersteller angerufen, um ihn für Ihre Idee zu gewinnen? Die stellen ihre Häuser doch in der Fabrik her.

Ich habe niemanden gesehen, der wirklich fortschrittlich dachte. Das mussten wir, also mein Büro und ich, schon selbst machen. Es gab ja mehrere Postulate, die wir alle gleichzeitig erfüllen wollten: weniger Material, weniger Emissionen, vollkommen recycelbar. Wir haben mehrere Modelle entwickelt und versucht, jedes Jahr ein Experimentalhaus zu bauen. Im Jahr 2000 haben wir das erste gebaut, mein privates Wohnhaus R128: Dieses viergeschossige Gebäude ist auf allen Seiten vollkommen verglast - und wiegt nur ein Sechstel dessen, was ein vergleichbares Haus herkömmlicher Bauart wiegen würde.

Wie viel wiegt denn ein Einfamilienhaus?

250 bis 300 Tonnen. Überschlagsmäßig rechnet man 1500 bis 2000 Kilogramm pro Quadratmeter. R128 hat keinen Schornstein, die Energiebilanz ist aufs Jahr gesehen neutral, weil das Haus jede Menge Energie selbst produziert - über die Photovoltaik-Anlage auf dem Dach und über Absorber, die Wärme aus der Umgebungsluft gewinnen. Die bei R128 gewonnenen Erkenntnisse haben wir in den darauffolgenden Jahren stetig ausgebaut. D10, ein Einfamilienhaus, das wir vor zehn Jahren erstellt haben, erzeugt schon 140 Prozent seines Energiebedarfs selbst.

Was kam dann?

Ein Haus für die Bundesregierung. Das Haus F87 liefert 170 Prozent seiner Energie und ist komplett recycelbar. Dies war auch das erste Haus, das mit einem Elektroauto kommuniziert. Wenn das Auto keinen Strom braucht, kann der verkauft, in der Hausbatterie gespeichert oder für ein Aufheizen des Warmwasserspeichers verwendet werden. 2014 kam dann in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung unser Projekt B10. Es produziert 200 Prozent seines Stroms, redet mit dem Auto, kommuniziert aber auch - zum ersten Mal in der Welt - mit einem Nachbarhaus, einem denkmalgeschützten 90 Jahre alten Haus von Le Corbusier, das natürlich einen sehr hohen Energiebedarf hat, den es nie selbst aus nachhaltigen Quellen decken kann. Für B10 haben wir mit Alpha Inside eine wirklich wegweisende Software entwickelt, die eine prädiktive Steuerung von Häusern erlaubt.

So eine Art Smart Home?

Smart Home in unseren Häusern bedeutet etwas anderes, als nur einen Heidelbeerjoghurt nachzubestellen, wenn keiner mehr im Kühlschrank ist. Unser Haus lernt von seinen Nutzern, wertet Standortfaktoren aus und orientiert sein energetisches Verhalten an den Prognosen des Deutschen Wetterdienstes.

Wie arbeitet das B10?

Der Rechner des Hauses verbindet sich mit der nächsten Station des Deutschen Wetterdienstes. Mehrere Sensoren im Haus messen Helligkeit, Feuchte und Temperatur et cetera. Der Rechner beobachtet und sammelt Stunde für Stunde, Tag für Tag alle bauphysikalischen Daten - etwa darüber, wie die Außentemperatur steigt und mit welcher Verzögerung die Innentemperatur in den einzelnen Räumen nachzieht.

Gab es Leute, die sagten: Genau so ein Haus möchte ich?

Viele. Deshalb habe ich mit Klaus Fischer von den Fischerwerken und zwei anderen Unternehmern 2015 die Firma Aktivhaus gegründet. In den vergangenen drei Jahren haben wir die Technologie zur Produktion von Fertighäusern nach dem Gleich-Füge-Prinzip weiterentwickelt.

War Ihnen das, was die etablierten Anbietern liefern, nicht gut genug?

Der heutige Standard genügt weder meinen energetischen noch meinen formalen noch meinen produktionstechnischen Ansprüchen. Die meisten Häuser aus Fertigmodulen sehen doch aus wie Container. Wir stellen andere Ansprüche: Das Haus muss mit möglichst wenig Material errichtet werden. Das Haus muss mehr Energie aus nachhaltigen Quellen gewinnen, als es selbst braucht. Und das Haus muss vollkommen rezyklierbar sein. Wir liefern in zwölf Wochen ab Bestellung - und zwar nicht nur schlüsselfertig, sondern nutzungsfertig. Das ist Bauen 2.0. Wir sind so schnell, weil wir die Häuser aus einer Hand planen und bauen.

Was bauen Sie denn - Einfamilienhäuser?

Nein. Nahezu ausschließlich mehrgeschossige Mehrfamilienhäuser. Aber wir reihen nicht einfach Module wie Container aneinander. Die Module haben unterschiedliche Fenster, es gibt 25 unterschiedliche Fassadentypen.

Wo liegt der Preis?

Ohne Grundstück und Erschließung bei etwa 1500 Euro pro Quadratmeter.

Worin liegt die Kunst, günstig zu bauen?

Ich will jetzt nicht alle Geheimnisse verraten. Wir haben viel Geld in die Entwicklung gesteckt. Das muss die Konkurrenz nicht wissen.

Zumindest ein Geheimnis können Sie doch lüften!

Nehmen wir die Recyclingfähigkeit: Man kann ein Haus mit einer Vielzahl unterschiedlicher Verbindungsmittel wie Schrauben, Nägeln, Klammern zusammenbauen - oder nur mit zwei oder drei. Beim Abbau benötigt man dann nur wenige Werkzeuge. Und wir befestigen die Verbindungsmittel so, dass sie gut zugänglich sind und somit bei einem Rückbau des Gebäudes auch wieder leicht entfernt werden können. Die Kunst, günstig zu bauen, besteht aus sehr vielen solcher Kleinigkeiten.

Werner Sobek wurde 1953 in Aalen geboren. Er studierte Bauingenieurwesen und Architektur an der Universität Stuttgart. Er lehrte an den Unis in Hannover, Stuttgart und Chicago. 1992 gründete Sobek sein eigenes Ingenieurbüro mit 300 Mitarbeitern. Er hat weltweit in Zusammenarbeit mit Architekten wie Norman Foster, Zaha Hadid oder Helmut Jahn Projekte realisiert, darunter das Sony Center in Berlin.

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