Architektur:"Mit Leerstand ist niemandem geholfen"

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Für die einen Idylle pur, für die anderen ein schwieriger Fall: Mittelalterliche Fachwerkhäuser - hier im nordhessischen Fritzlar - sind oft schwer zu vermieten. (Foto: Uwe Zucchi/dpa)

Fachwerkhäuser sind bei Touristen beliebt, beim Handel und bei Mietern weniger. Wie Kommunen das ändern wollen.

Von Joachim Göres

Jahrhundertealte Fachwerkgebäude findet man in den Zentren vieler Kleinstädte, vor allem in Hessen und Niedersachsen. Galten sie in den Sechziger- und Siebzigerjahren oft als Symbol für Spießigkeit und wurden im größeren Stil abgerissen, erfreuen sie sich heute großer Beliebtheit. Von den historischen Fassaden fühlen sich zahlreiche Touristen angezogen. Dagegen ist die Vermietung der Wohnungen dort oder die Suche nach einem Nachfolger für freie Läden nicht einfach - das zeigte sich auch auf einem Treffen von Vertretern aus 80 deutschen Fachwerkstädten, das vor Kurzem anlässlich des 40-jährigen Bestehens der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Fachwerkstädte (ADF) im niedersächsischen Celle stattfand.

Wenn Verwaltungen großzügig Neubaugebiete ausweisen, bluten die Innenstädte aus

"Es stehen bei uns einige Läden in der Altstadt leer. Das liegt aber nicht an den Fachwerkbauten, sondern an der Orientierung hin zu größeren Städten beim Einkauf", sagt Claus Peter Poppe, Bürgermeister aus Quakenbrück im Oldenburger Münsterland, wo in der Innenstadt 100 Fachwerkgebäude stehen. Doch es gibt auch andere Stimmen. Kleine Läden in verwinkelten Bauten seien für den Handel nicht interessant, heißt es dann. Als Reaktion darauf wird zunehmend versucht, verschiedene Gebäude zusammenzulegen, um so größere Flächen anbieten zu können. Das Hotel Eisenbart in Hannoversch Münden hat dies zum Beispiel getan - und bekam den deutschen Fachwerkpreis. Das Hotel besteht aus fünf Fachwerkhäusern.

Viele Wohnungen in den oberen Stockwerken können nicht genutzt werden, weil es nur einen Zugang durch das Geschäft im Erdgeschoss gibt. "Die Besitzer müssen erst investieren, um sie zugänglich zu machen. Bei größeren Wohnungen ist die Vermietung kein Problem, aber enge, niedrige und kleinteilige Wohnungen in der Innenstadt ohne Balkon, Garten und Parkplatz sind nicht so beliebt", sagt Ulrich Kinder, Stadtbaurat von Celle. Die Stadt bildet mit 500 denkmalgeschützten Fachwerkhäusern das größte geschlossene Ensemble in Europa - und hat trotz der finanziellen Förderung von Fachwerkrenovierungen mit sinkenden Bewohnerzahlen in der Altstadt zu kämpfen. Celle zählt mit seinen 70 000 Einwohnern neben Marburg zu den größten Fachwerkstädten. Viele kleinere Fachwerkstädte abseits der Zentren sind mit erheblich stärkeren Einwohnerverlusten konfrontiert.

Stefan Winghart, Präsident des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege, gibt sich selbstkritisch. "Die Denkmalpflege ist Teil des Problems. Es muss bei einer Sanierung nicht immer die historische Fensterfarbe oder das historisch gegliederte Fenster sein. Man darf nicht auf formale Vorschriften aus Prinzip bestehen, denn dann droht Leerstand und damit ist niemandem geholfen."

Heinz Wionski, Hauptkonservator des Hessischen Landesamtes für Denkmalpflege, sieht viele hausgemachte Probleme. Wenn Verwaltungen großzügig Neubaugebiete ausweisen, dürften sie sich über die Abwanderung aus der Innenstadt nicht wundern. Er blickt dennoch optimistisch in die Zukunft - nicht zuletzt wegen der vielen älteren Menschen, die ihr Haus am Stadtrand zugunsten einer Wohnung in der Altstadt angesichts kurzer Wege und einer guten Infrastruktur aufgeben. "Im Gegensatz zu den Großstädten sind in den meisten Fachwerkstädten die Mieten bezahlbar, die Nachbarschaft ist eng, man wohnt zentral und der Verkehr ist beruhigt. Gegen den Sog der Metropolen muss man Nischen suchen, und das schöne Fachwerkhaus ist so eine Nische", sagt Wionski. Letztlich sei meist die Initiative von engagierten Einzelpersonen der Schlüssel zum Erfolg für die Belebung der Fachwerkstädte. Wionski: "Herborn nutzt sein Fachwerkpotenzial und prosperiert, ganz in der Nähe in Dillenburg sind die Bedingungen ähnlich und es fehlt die Nachfrage nach alten Bauobjekten."

Die Nutzung der oft engen Hinterhöfe durch Zusammenlegung und Abriss von alten Schuppen ist nach Ansicht von ADF-Präsident Manfred Gerner ein weiteres Mittel, das Wohnen in der Altstadt attraktiver zu machen: "Die Fläche kann dann als Spielplatz oder als Garten von den Bewohnern genutzt werden. Es hängt alles von den Eigentümern ab. In Eschwege ist so ein Projekt an der Ablehnung der Besitzer gescheitert, in Einbeck konnte es verwirklicht werden." In Wernigerode bieten sich nach der Umgestaltung heute zahlreiche Hinterhöfe für Veranstaltungen und als Treffpunkt an. Für die energetische Sanierung nennt Gerner als positive Beispiele etwa die Nutzung der Erdwärme für ein Haus von 1692 in Kirchheim unter Teck und den Fernwärmeanschluss für die Altstadt von Bietigheim-Bissingen. Der Dämmung von Fachwerkhäusern sind dagegen Grenzen gesetzt - von außen würde der Charakter der Häuser verloren gehen, bei einer Innendämmung müssen Feuchtschäden verhindert werden.

Peter Thalmann, Bürgermeister von Eppingen, setzt auf den Neubau. In der 21 000 Einwohner zählenden Stadt in Baden-Württemberg waren in der Vergangenheit zahlreiche Geschäfte, Ärzte und Behörden aus der Altstadt an den Rand abgewandert. "Um etwas gegen diesen Trend zu tun, haben wir uns das Rathaus mit seiner Verwaltung wieder ins alte Stadtzentrum geholt, durch einen Anbau an einem historischen Gebäude. Dadurch sind auch andere Einrichtungen wie Banken und Krankenkassen wieder in die Altstadt gezogen", sagt Thalmann. Parkplätze auf dem großen Marktplatz wurden gestrichen, hier stehen jetzt im Sommer die Stühle der zahlreichen Cafés.

Baufällige Fachwerkhäuser samt alter Scheunen wurden abgerissen und durch barrierefreie Neubauten mit Aufzug und Tiefgaragenplätzen ersetzt. Eine Fachwerkfassade sucht man bei ihnen vergeblich - doch durch die steilen Dächer, die schmale Gebäudestruktur und die Holzverschalung nehmen sie Elemente der historischen Nachbarhäuser auf. Thalmann: "Wir haben die Bundesstraße aus dem Zentrum verbannt, das war die Voraussetzung, um die Altstadt aufzuwerten. An ihrem Rand entsteht ein Parkhaus, das erhöht die Akzeptanz bei den Autofahrern." Zur Sanierung von Fachwerkhäusern in Eppingen, bei denen unterm Dach Wohnungen geschaffen und Balkone angebaut wurden, meint er: "Solche Zugeständnisse muss man zur Belebung der Innenstadt machen. Einen Balkon will heute jeder."

Bundesweit gehen Schätzungen von 2,4 Millionen Fachwerkhäuser in ganz unterschiedlichem Zustand aus - 80 Prozent davon sind verputzt und somit gar nicht als solche erkennbar.

© SZ vom 02.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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