Süddeutsche Zeitung

Architektur:Ein Stück Amerika

Viel Holz, eine Veranda und ein Carport: Manche Eigentümer bauen sich Häuser, wie man sie sonst nur aus den USA kennt. Was treibt die Menschen an? Unser Autor hat einige von ihnen besucht.

Von Steve Przybilla

Mitten im Hamburger Vorort Aumühle liegt ein Stück Amerika. Es besteht aus weißem Holz, einer großen Veranda, hochschiebbaren Fenstern und Türen, die sich nur dann öffnen, wenn man an ihren runden Messingknäufen dreht. "Fehlt nur die Weitsicht über die Prärie", sagt Olaf Haase und lässt den Blick über den Vorgarten schweifen. Ein weißer Holzzaun ist zu sehen, eine sorgsam gestutzte Rasenfläche und - typisch deutsch - mehrere Mülltonnen. Dafür parkt im Carport ein "Grand Wagoneer", Baujahr 1985. Mehr Amerika geht nicht.

Seit 2017 steht in Aumühle das ungewöhnliche Haus, das vom Baustil her auch in Neuengland oder dem Mittleren Westen der Vereinigten Staaten beheimatet sein könnte. Olaf Haase, 50, und sein Mann Patrick Biller, 56, haben sich damit einen lang gehegten Traum erfüllt. "Wir wollten gerne etwas Eigenes, aber die Deutschen bauen immer so hässlich", sagt Haase, der als Marketingmanager im Medizintechnik-Bereich arbeitet. Die Idee zum Amerika-Haus sei ihnen durch Zufall gekommen. "Wir haben die Serie 'Gilmore Girls' geschaut und waren begeistert", sagt Haase. "So ein Haus wollten wir auch." Ihr Wunsch ging in Erfüllung.

Wer heute die hölzerne Eingangstür durchschreitet, scheint tatsächlich ein Stück USA zu betreten: Es gibt keinen Keller, dafür eine Bodenplatte aus Beton. Im Schlafzimmer hängt ein Ventilator, die Wasserhähne im Bad sind nach Kalt und Warm getrennt. Hinter der Spüle in der Küche befindet sich ein Schiebefenster, das sich auch während des Abwaschs öffnen lässt. Für Dunkelheit sorgen die sogenannten "Plantation Shutters": Fensterläden, deren Lamellen sich herunterklappen lassen. "Am Anfang standen die Leute in Trauben vor unserem Haus", sagt Haase, der selbst lange in New York und Kansas gelebt hat. "So etwas sieht man bei uns eben ziemlich selten."

Tatsächlich gibt es in Deutschland nur eine Handvoll Anbieter, die sich auf Eigenheime nach US-Vorbild spezialisiert haben. Zu den bekanntesten gehört die in Berlin ansässige Boston Haus Baumanagement GmbH. Seit Gründung der Firma im Jahr 1993 hat sie nach eigenen Angaben etwa 90 Häuser realisiert. Geschäftsführerin Andrea Lissner macht keinen Hehl daraus, dass sie sich damit in einer Nische bewegt. "Die meisten Menschen in Deutschland wollen den Golf als Haus", sagt Lissner. Damit meint sie das Prinzip, nach dem die meisten Einfamilienhäuser funktionierten: Haustür, Diele, Gäste-WC, "nach vorne hin abgeschottet wie eine mittelalterliche Burg". Deprimierend sei das, meint Lissner. Und gleichförmig.

Die USA-Flagge hissen? Nicht, solange Trump noch Präsident ist

Ihre eigenen Kunden legten Wert auf mehr Individualität. "Viele von ihnen waren im Ausland und möchten ein Stück Erinnerung mit nach Hause nehmen", sagt Lissner. US-Amerikaner seien hingegen fast nie unter den Bauherren - wer nach Deutschland zieht, will offenbar auch wie ein Deutscher wohnen. Acht verschiedene Haustypen hat die Firma im Angebot, vom unauffälligen Bungalow bis zum 180-Quadratmeter-Anwesen mit fünf Schlafzimmern. Wichtigstes Merkmal: Es gibt keine Steine. Verbaut werden Holz, Nägel, Schrauben und Gipskarton. Die oft vorgebrachte Behauptung, amerikanische Häuser seien nicht haltbar, lässt Lissner nicht gelten. "Auch jedes deutsche Haus hat ein Dach aus Holzlatten", sagt die Geschäftsführerin. "So schlimm kann es also nicht sein." Die Lebensdauer ihrer Holzhäuser beziffert sie auf 100 bis 500 Jahre, vergleichbar mit einem deutschen Fachwerkhaus. "Ich behaupte nicht, dass ein Fenster so lange hält", ergänzt Lissner. Das sei aber bei Betonbauwerken nicht anders.

Was die Technik angeht, hat die Amerika-Liebe ihre Grenzen. Klimaanlagen, die in den USA zum Lebensstandard gehören, werden von "Boston Haus" aus ökologischen Gründen in der Regel nicht verbaut; einen Keller gibt es nur auf Wunsch. "Dafür installieren wir eine Fußbodenheizung, die auch kaltes Wasser durch den Boden laufen lassen kann", sagt Lissner. Damit lasse sich die Temperatur um bis zu drei Grad senken. Die Haustechnik und die Wärmedämmung entsprächen deutschen Standards, wovon man im Alltag aber nichts merke. Oder anders gesagt: Auch wenn die Wand besser gedämmt ist, sieht das Haus trotzdem noch amerikanisch aus.

Eine weitere Firma, die Amerikahäuser im Portfolio hat, ist die in der Schweiz ansässige Greenville AG. Die Nachfrage sei groß, sagt Inhaberin Carmen Knote. Viele ehemalige Au-pairs, die inzwischen Unternehmerinnen und Unternehmer sind, zählten zu ihren Kunden. "Die Leute wollen es schön haben", sagt Knote, und ein helles Haus mit "Porch" (Veranda) sei eben charmanter als ein 08/15-Standardobjekt. Die meisten ihrer Kunden wollten etwas Dezentes, Gemütliches. Aber es gebe auch Extremfälle: "Manche haben einen Pick-up-Truck vor der Tür stehen und hissen die amerikanische Fahne", sagt Knote. "Andere sind im Westernverein und gehen schießen." Zur Erinnerung: Sie spricht von deutschen Staatsbürgern. "Das ist eben ein ganz anderes Lebensgefühl", sagt die Unternehmerin und lacht.

Bevor der "American Way of Life" Einzug hält, brauchen Bauwillige mitunter einen langen Atem. Nicht alles lässt sich eins zu eins kopieren, viele Materialien müssen aufwendig importiert werden - und manchmal auch das Personal. "Unser Vorarbeiter ist Kanadier", erklärt Andrea Lissner von der Boston Haus GmbH. "Das kann hier kein anderer." Früher habe sie sogar das Holz und die fertigen Wände aus den Vereinigten Staaten importiert, was aber inzwischen nicht mehr nötig sei. Dadurch habe man die Kosten senken können. Bei Boston Haus beginnen die Preise bei 500 000 Euro; die Greenville AG nennt 300 000 Euro als unterste Grenze (jeweils plus Grundstück).

In Giebing bei Dachau steht ebenfalls ein amerikanisches Haus: 190 Quadratmeter Wohnfläche, blaue Holzlatten, integrierte Garage. "Ich habe früher mit meinen Eltern viele Sommer in New Jersey verbracht", erklärt Eigentümerin Elisabeth Askaryar, 41, ihre Liebe zu dem außergewöhnlichen Baustil. "Das ist unser Traumhaus", sagt sie. Oft blieben Fremde vor der Tür stehen, um sich umzuschauen. "Unser Postbote hat uns spontan von seinen Texas-Reisen erzählt", sagt Askaryar. "Manchmal geben wir den Leuten sogar eine spontane Tour." Ihr Ehemann Jama Askaryar, 39, ist mit der Bausubstanz zufrieden: "Im Februar hatten wir einen Sturm mit Windstärke zehn", erzählt der Patentanwalt. "Bei den Nachbarn sind Dachziegel weggeflogen, aber unsere Dachpappe hat gehalten."

Seit 2018 lebt das Ehepaar mit seinen drei "Girls" im Amerikahaus. Authentisch habe es sein sollen, betont Elisabeth Askaryar. "Wir haben uns vorher andere Häuser dieser Art angeschaut", erzählt sie. Manche seien richtiggehend "verdeutscht" worden. "Eines hatte sogar ein Dach mit roten Dachziegeln", amüsiert sie sich. So etwas haben man nicht gewollt - entweder ganz oder gar nicht. Fragt man die "Architektur-Amerikaner", welchen Haken es bei ihren Häusern gibt, müssen sie lange überlegen. Jama Askaryar fallen am ehesten die Bauvorschriften ein: "Die Richtung des Dachs und die Höhe des Hauses waren vorgegeben", sagt er. Im Großen und Ganzen sei die Umsetzung ihres Vorhabens aber leichter gewesen als erwartet. Niemand habe sich beschwert.

In Aumühle fällt Olaf Haase als einziger Minuspunkt die Hellhörigkeit ein, die die Holzkonstruktion mit sich bringe. "An der Hauptstraße würde ich mit unserem Haus nicht unbedingt wohnen wollen", sagt er. Und noch eine Kleinigkeit ist bei ihm und seinem Mann anders als bei so manchem amerikanischen Vorbild: Im Eingangsbereich gibt es einen kleinen Vorraum. "Wir wollten nicht gleich im Wohnzimmer stehen, wenn man durch die Tür kommt", sagt Haase. "Dafür sind wir dann vielleicht doch zu deutsch." Die Fahne fehlt allerdings auch. Olaf Haase und Patrick Biller haben sich bewusst dafür entschieden, die "Stars and Stripes" vor der eigenen Haustür wegzulassen. Sind sie dafür auch zu deutsch? "Nein", erwidert Haase. "Aber solange Trump Präsident ist, kommt uns so was nicht ins Haus."

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Quelle:
SZ vom 02.10.2020
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