Architektur aus Japan:Sphärenlos im Pflaumengarten

Louvre, Bauhaus, New York: Das Architektenduo Sanaa aus Tokio räumt die Welt auf. Ein Besuch.

Patrick Barton

Es riecht etwas. Und zwar nicht gut. Am Bordstein der Bowery, der letzten Straße, die man von Manhattan sieht, bevor es über die Brücke nach Brooklyn geht, steht ein Müllauto. Aber von dort kommt der Gestank nicht.

Architektur aus Japan: Das New Museum in New York - wie versetzt gestapelte Schuhkartons.

Das New Museum in New York - wie versetzt gestapelte Schuhkartons.

(Foto: Foto: Sanaa)

Die Müllmänner machen nur sauber, was ohnehin schon sauber ist. Auch ihnen stinkt etwas, als sie an dem Gebäude vorbeikommen. Irgendein Kleber, irgendwas aus der Zukunft der Bautechnologie kriecht hier durch die Luft.

Das kommt nicht gut in diesem Viertel, das einst Manhattans Armenhaus war, aber inzwischen so upscale ist, dass die Schlangen der Jungen und Reichen an der Kasse des Whole-Foods-Supermarkts kein Ende nehmen wollen.

Die Bowery Mission, Kirche und Obdachlosenunterkunft, muss sich um ihre Zukunft sorgen. Am anderen Ende des Blocks steht eine neue Kathedrale. Grandios sieht sie aus, weiß, verrückt und doch ausgeglichen.

Das New Museum hat sich zielsicher in das Zentrum dessen gesetzt, was einmal eine rough neighborhood war, eine raue Gegend. Rau ist jetzt teuer. Little Italy, SoHo, Greenwich Village sind nicht weit: Die perfekte Korrespondenz für ein Museum, das nicht "zeitgenössische" Kunst zeigen will, sondern neue, neueste, nie da gewesene Kunst.

Dieses Konzept gibt es in kleinen Galerien schon lange, aber nur wenige Museen verfolgen es mit dieser Entschiedenheit. Das New Museum ist in der New Yorker Kunstszene ein Gegenmodell zu den Marktplätzen gepflegter Wichtigkeit, zu den Whitneys, Guggenheims und MoMAs. Dafür hat es sich, nach einer dreißigjährigen Odyssee, die anmutet wie eine Guerillatournee durch Manhattan, einen passenden Ort ausgesucht: einen Parkplatz an der Bowery.

Das Gebäude sieht aus wie versetzt gestapelte Schuhkartons, dynamisch, instabil, sich bewegend. Diese Illusion speist sich aus der Form, vor allem aber aus der Fassadenstruktur: Das ganze Gebäude ist in großflächigen Aluminiumdraht eingefasst, der das Äußere aus jedem Blickwinkel anders erscheinen lässt: mal hell, mal dunkel, mal beides.

Dieses Klare und doch Vage zeichnet die beiden Architekten aus, die sich das Haus erdacht haben: Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa, 51 und 41, betreiben seit zwölf Jahren ein Büro in Tokio.

Von dort aus räumen sie derzeit die Welt mit ihrer Architektur auf. Sie zelebriert das Immaterielle, das Unfassbare. Wände, Boden, Decke bilden keine Kontraste mehr, sondern fließen, Grenzen verflüchtigen sich, das Räumliche wird sphärisch.

In New York konnten sie dafür 50 Millionen Dollar ausgeben. Damit hat Sanaa, wie die beiden ihr Büro nennen, 5500 Quadratmeter Museum geschaffen, dessen Innenleben mit der Fassade ähnlich kontrastiert wie mit der Umgebung.

Am 1.Dezember ist Eröffnung, und vom Inneren dringt schon etwas nach draußen: "Wir werden nichts verhüllen: Die hohen Decken sind unverputzt, die Stahlträger unverkleidet, und man sieht die Klimaanlage und die Neonröhren."

Auf der nächsten Seite: Was Sejima und Nishizawa vereint, ist nicht Sex

Sphärenlos im Pflaumengarten

Ryue Nishizawa sitzt in seinem Büro in Tokio und erklärt seine Welt. Vor drei Jahren bekamen er und Sejima in Venedig den "Goldenen Löwen" der Architektur-Biennale, spätestens seitdem sind sie auch in Europa und Amerika kein Geheimtipp mehr.

Architektur aus Japan: Das ist "Sanaa": das Architektenduo Kazuyo Sejima (51, rechts) und Ryue Nishizawa (41).

Das ist "Sanaa": das Architektenduo Kazuyo Sejima (51, rechts) und Ryue Nishizawa (41).

(Foto: Foto: Sanaa)

Eine Reihe von Gebäuden sind fertig, noch mehr sollen kommen. In Japan hatte das Duo Aufsehen erregt mit einer vierstöckigen Boutique für Christian Dior an der Omotesando, Tokios edelstem Einkaufsboulevard. Sie sieht aus wie eine himmlische Hülle für einen irdischen Inhalt. Seine weiße Acrylglasfassade gibt dem Gebäude über Tag etwas Ätherisches, nachts erhöhen die unregelmäßigen Gesimse des schmalen Hauses das Signal des Ungewöhnlichen und Unerreichbaren.

Von dort ist es in jeder Hinsicht ein ziemlicher Weg in das Büro von Sejima und Nishizawa. Es befindet sich in Shinagawa, einem unspektakulären Stadtteil in Tokios Osten. Sie teilen sich eine Lagerhalle mit einem Teppichhändler, dessen Gabelstapler den Eingang versperrt.

Das Büro befindet sich in einem großen Raum, in dem die Tische für die 35 Angestellten eng beieinander stehen. Ein Viertel von ihnen kommt aus dem Ausland, was für japanische Verhältnisse Rekord sein dürfte. Sehr japanisch ist dagegen die geringe Fluktuation. Johanna Meyer-Grohbrügge, die einzige Deutsche, ist seit zwei Jahren hier, sie will auch bleiben: Bei dem hohen fachlichen Anspruch, den Sejima und Nishizawa haben, könne sie noch sehr viel lernen, sagt sie.

Es ist fast zwölf, aber im Büro sind nur fünf Leute, gestern Abend hat man noch spät gearbeitet. Nishizawa kam vor fünf Minuten mit einem Pappbecher Kaffee herein, und seine Mitarbeiter haben kaum aufgeschaut. Das, sagt Nishizawa, sei das gemeinsame Büro.

Daneben betreibe er noch ein eigenes, das werde strikt getrennt. Nach einem kurzen Gang über den Flur, am Teppichhändler vorbei, stehen wir in seinem Büro. Es ist weniger Büro als Werkstatt: Hier werden die Entwürfe vom Papier in fassbare Modelle übersetzt. Er zeigt auf ein kurviges Modell. Bitte nicht fotografieren, das ist geheim, ein Wettbewerbsbeitrag. An Wettbewerben beteiligt sich Sanaa immer noch, auch wenn mit dem steigenden Ruhm die Zahl der Direktaufträge gestiegen ist.

Nishizawa hatte als 24-Jähriger bei Sejima angefangen, und als er sich fünf Jahre später selbständig machen wollte, schlug ihm Sejima die Partnerschaft vor. Wie Geschwister sind sich Nishizawa und Sejima inzwischen verbunden. Mehr aber nicht. So heißt es im Büro.

Beide sind unverheiratet und zeigen sich in der Öffentlichkeit gern zusammen, aber nie mit ihren Partnern. Das passt zur Arbeitsatmosphäre im Büro, von der ein Mitarbeiter sagt, dort gebe es keinen Sex, sondern nur Architektur. Was Sejima und Nishizawa vereint, ist ihre Liebe zur Perfektion, der gegenseitige Respekt. Man vertraut sich. Inzwischen gibt vor allem Nishizawa die Interviews, Sejima hält sich zurück.

Die Ältere definiert das Konzept, der Jüngere kümmert sich um die Wirklichkeit.

Sphärenlos im Pflaumengarten

Was die Gestaltung angeht, ergänzen sich Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa gut: "Sie definiert das schematische Konzept und achtet darauf, dass wir es einhalten. Ich kümmere mich mehr um die Wirklichkeit, besonders um das Material", sagt der jüngere Partner.

Für das Museum in New York hatte Sejima die Idee mit der Kartonform, und Nishizawa experimentierte dann mit der Fassade, bis er schließlich beim Aluminiumdraht landete. Bei aller Gleichheit sehen viele in Sejima die Prima inter Pares, allein, weil sie älter ist. Aber dem widersprechen beide bei jeder Gelegenheit. Sie hat kein offenkundiges Bedürfnis, sich ihm gegenüber zu behaupten. Und doch konzentrieren sich viele auf sie, allein weil Sejima zehn Jahre länger im Beruf ist.

Ihr Handwerk lernte sie an der Japanischen Frauenuniversität in Tokio. Dort war sie allein unter Frauen. Jetzt ist sie allein unter Männern, zumindest oft. Die Architektenwelt ist weithin sehr männlich dominiert, und das ist auch die japanische Gesellschaft. Sejima hat sich in beiden Sphären durchgesetzt, und sie hat sich dabei die Sensibilität bewahrt, die andere Architekten ihres Ranges einem überbordenden Ego geopfert haben.

Sechs Jahre lang hat sie bei Toyo Ito gearbeitet und viel gelernt: Alles wird exakt geplant, und dann hält man sich auch an den Plan. Das gilt sogar für die Tagesplanung, von der es heißt, Sejima führe ihren Kalender selbst, und zwar mit einem Lineal, damit sie die 15-Minuten-Einheiten genauer unterteilen kann. Der beste Moment des Tages sei die Zeit vor dem Zubettgehen, hat sie einmal gesagt. Dann sei alles erledigt.

Das Zurückhaltende, Bescheidene, das in ihren Gebäuden zum Ausdruck kommt, gilt auch für Sejimas persönliche Erscheinung: unprätentiös, schmal, beinahe zerbrechlich. Wer sie von Nahem sieht: So viel Kraft, so viel Unzaghaftes überrascht doch etwas.

Natürlich kann Sejima, genauso wie Nishizawa, auch monumental bauen, aber ihr liegt das Zerbrechliche, die scheinbare Unschuld. Ihr "Haus im Pflaumengarten", das sie in einen Vorort von Tokio gesetzt hat, zeigt das schön: Auf einem 92 Quadratmeter kleinen Grundstück zu bauen, ist nichts Ungewöhnliches dort, aber die Pflaumenbäume darauf stehen zu lassen und darum herum ein Wohnhaus zu setzen schon, zumal wenn es am Ende fünfzehn Zimmer hat.

Ob groß oder klein, Sanaa hat keinen Stil, der sich ewig wiederholt, und die beiden Architekten kommen ohne Effekthascherei, Technikvernarrtheit oder Besserwisserei aus. Das wird auch von Kollegen wie Frank Gehry und Rem Koolhaas wahrgenommen.

Nishizawa sagt, beide seien für ihn Vorbilder. Ein größeres Vorbild ist allerdings Mies van der Rohe. Mit dem ganzen Büro sind Sejima und Nishizawa im vorigen Jahr nach Amerika gefahren und haben sich auf Mies' Spuren begeben. Am Rande von Chicago, am Fox River, kam es dabei zu einer Art Epiphanie. 1951 stellte Mies van der Rohe dorthin das Farnsworth House - ein Wohnhaus, dessen von weißem Stahl eingefasste Fassade vollständig aus Glas besteht. Eine Revolution, die bis heute Gültigkeit hat.

Von Mies haben Sejima und Nishizawa gelernt, das Minimalistische zum Immateriellen, Scheinbaren, Ungreifbaren weiterzuentwickeln. So führen sie dem Betrachter fröhlich vor Augen, wie schön es sein kann, sich hinters Licht führen zu lassen. So sehr sie sich selbst an der gestalterischen Reduktion erfreuen, wollen Sejima und Nishizawa damit bei den Nutzern, den Besuchern, den Vorbeigehenden Freude hervorrufen.

Der Zweck ihres Minimalismus liegt nicht in der Reduktion selbst, sondern an der Reaktion, die sie hervorruft: Das Wenige soll die Menschen erwärmen, statt sie erschaudern zu lassen. Das sieht man besonders schön an einem Museum, das Sanaa in Kanazawa gebaut hat. An dieser Kunst versuchen sich viele Architekten. Nur wenige, sehr wenige beherrschen sie.

Dabei kommt dem Duo zupass, dass sie allein japanisch sozialisiert und ausgebildet wurden, in einer Kultur, in der das Reine, Reduzierte seine farbliche Entsprechung im Wechselspiel von Weiß und Grau findet, in der sich das Horizontale und Vertikale überlagert. Erst als sie einige Jahre im Beruf waren, gab es eine tiefere Berührung mit dem Ausland: Die japanische Wirtschaft lag in den neunziger Jahren am Boden, und Sejima und Nishizawa suchten sich anderswo Arbeit.

Ihre kulturelle Erdung hat darunter nicht gelitten. Der westlichen Kultur nähern sie sich, aber sie bleiben Japaner und versagen sich dabei dem in ihrem Land manchmal etwas vorauseilend gepflegten Eklektizismus. Nishizawa erklärt das so: "Schinkel, Mies: Die sind sehr schwer. So etwas können wir nicht, selbst wenn wir wollten. Das sind Deutsche, wir sind Japaner. Da gibt es einen kulturellen Unterschied, oder zumindest einen stilistischen. Wir machen alles auf eine leichtere, transparentere Weise."

Warum das New Museum in New York duften könnte

Sphärenlos im Pflaumengarten

In Berlin werden Sejima und Nishizawa nun versuchen, eine Verbindung herzustellen zwischen diesen Unterschieden. Für das Bauhaus-Archiv sollen sie einen Erweiterungsbau schaffen, der sehr zurückhaltend und doch wahrnehmbar ist.

Noch fehlt dafür das Geld, aber wenn den Berlinern klar wird, welche Chance sie da vergeben könnten, könnte dem Bau von Walter Gropius in ein paar Jahren ein leicht-transparentes Spiegelstück gegenüberstehen. Wieder ein Museum, wieder eine erste Adresse.

Auch in die französische Provinz, nach Lens, holt man sich die Weisheit der Japaner. Bauherr ist: der Louvre. Seit sein nach Verjüngung strebender Chef Henri Loyrette entschieden hat, ein Filialbetrieb zu werden, werden getreu dem Vorbild Guggenheim nur namhafte Architekten konsultiert: In Abu Dhabi werden die Exponate aus Paris von einem Gebäude des Franzosen Jean Nouvel umhüllt, was zur Komplettierung des Kulturexports nur konsequent ist. Für die französische Filiale in Lens fiel die Wahl dagegen auf Sanaa: Bis 2010 wollen sie ein Gebäude fertigstellen, dessen 130 Meter langes Dach auf einer großen grünen Wiese mitten in der Stadt zu schweben scheint.

Ein sehr viel kleineres Museum haben Sejima und Nishizawa im amerikanischen Toledo, eine Stunde von Detroit entfernt, gebaut. Fassade und Wände sind vollständig aus Glas, was sehr passend ist, denn in diesem Museum wird ausschließlich Glaskunst ausgestellt. Aber auch mit dem Gegenspieler von Glas, Beton nämlich, können Sejima und Nishizawa behände umgehen. Das lässt sich in Essen sehen, wo die beiden vor zwei Jahren ihr erstes Gebäude in Deutschland fertiggestellt haben. Dort haben sie einer privaten Hochschule einen edlen Würfel aus fein ausgewalztem Beton gebaut, dessen Fenster filigran auf der Fassade tanzen.

In Essen wird sich noch zeigen, wie flexibel Sanaas Gebäude sind, denn in der Hochschule könnten wegen Finanzproblemen bald wieder die Lichter ausgehen. Was dann darin Platz finden kann, ist offen. Und wie wird generell der Test der Zeit ausgehen? Fallen Sanaas Gebäude auch in zwanzig Jahren noch auf? Wie gut altern sie?

In New York jedenfalls ist schon abzusehen, dass die Fassade des New Museum nicht auf Dauer so klar und rein scheinen wird wie zur Eröffnung. Was aus der Ferne sehr sauber aussieht, entpuppt sich schon jetzt bei näherem Hinsehen als etwas schmutzig.

Olfaktorisch hätte das jedenfalls auch Vorteile: Statt Industriekleber könnte sich über die Bowery bald der schöne, blumige Duft von ordentlichen Reinigungsmitteln legen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: