Architekt Prix:"Wir waren naiv - und den Kapitalhaien unterlegen"

Wolf D. Prix, Architekt des neuen EZB-Gebäudes, über die Balance zwischen Kreativität und Geld und seine Verehrung für Muhammad Ali.

A. Mühlauer u. H. Wilhelm

Wien, 5. Bezirk, ein altes Industriegebäude, große Fenster, Backstein. Wolf D. Prix, 66, schwebt herein, und setzt sich an einen ovalen Holztisch. Eine seiner zahlreichen Assistentinnen bringt ihm einen Aschenbecher, darauf: eine dicke Zigarre. Natürlich Montecristo, sagt Prix, die habe der Che Guevara auch immer geraucht. Im Jahr 1968 gründete der Österreicher das Architekturbüro Coop Himmelb(l)au. Zwei Jahre später zündete er 60 Sprengsätze, um für einige Sekunden einen Raum aus Staub und Rauch entstehen zu lassen. In London ließ Prix 1973 das "Haus mit dem fliegenden Dach" von einem großen Ballon in die Luft heben. Danach dauerte es fast 30 Jahre, bis jemand bauen wollte, was sich Prix so vorstellte. Ein Gespräch über Anspruch und Wirklichkeit, Kunst und Kapital.

Prix, BMW-Welt, Foto: oh, getty

Architekt Wolf D. Prix, Schöpfer der BMW-Welt (Foto), sagt über das neue EZB-Gebäude: "Wir bauen ein Wahrzeichen für die Europäische Union".

(Foto: Foto: oh, getty)

SZ: Herr Prix, reden wir über Geld. Sie haben das neue Gebäude der Europäischen Zentralbank in Frankfurt entworfen. Wie baut man ein Geldhaus?

Wolf D. Prix: Also ein Geldhaus bauen wir nicht. Wir bauen ein Wahrzeichen für die Europäische Union.

SZ: Das der Euro-Währung.

Prix: Gut, ob es mir gefällt oder nicht: Geld ist und bleibt der Motor unserer Zivilisation. Aber ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass sich Menschen mit der Architektur identifizieren können, heute mehr denn je. Denn aus der Krise haben wir gelernt, dass gerade die Diskussionsbereitschaft der EU viel wichtiger war als der Individualismus der einzelnen Länder. Für diese Diskussionsbereitschaft bauen wir das Haus.

SZ: Wie soll der Bau das ausdrücken?

Prix: Wir haben noch nie illustrierende Architektur entworfen. Aber wenn unsere Gesellschaft demokratisch sein will, muss es uns Architekten gelingen, den Bürgern das Gefühl zu geben, dass ihnen die Gebäude gehören. Wenn das nicht der Fall ist, fangen sie an, ihre eigenen Gebäude zu zerstören, wie man es bei den Ausschreitungen in den Banlieues nahe Paris gesehen hat.

SZ: Wie sollen die Bürger sich mit etwas Abstraktem wie der Zentralbank identifizieren?

Prix: Indem man Formen baut, an die man sich erinnern kann. Wir werden zeigen, dass man ein Hochhaus zu einem Denk-Mal machen kann. Es geht auch um die Darstellung der Werte der Bank.

SZ: Und die wären?

Prix: Die Bank beschreibt ihre Werte: Integrität, Kompetenz, Effizienz und Transparenz.

SZ: Das wollen doch alle. Als Sie die BMW-Welt in München gebaut haben, ging es doch sicher auch um Effizienz.

Prix: Von Eleganz und Dynamik war die Rede. Natürlich kann man Schlagworte nicht bauen. Wir übersetzen ja nicht Transparenz im Sinne von "alles Glas". Unsere Entwürfe beugen sich nicht den sogenannten Sachzwängen, sondern sie verbiegen sie, um etwas Neues zu schaffen.

SZ: Das müssen Sie erklären.

Prix: Um den Sachzwang Schwerkraft in der Architektur kommt man nicht herum. Ich kann ein Gebäude nicht von oben beginnen - leider. Aber ich kann die Schwerkraft so verbiegen, dass ein Gebäude fast schwerelos aussieht.

"Ich möchte auf keinen Fall Befehlsempfänger sein"

SZ: Sie haben mal gesagt, dass der Architekt ein Erfüllungsgehilfe sei und allein dem Willen seines Auftraggebers zu dienen habe. Ist das immer noch so?

Prix: Ich baue nur dort, wo ich auf gleicher Augenhöhe mit dem Auftraggeber sein kann. Ich möchte auf keinen Fall Befehlsempfänger sein.

SZ: Diese Einstellung können Sie sich vielleicht jetzt leisten. Wie war das, als Sie anfingen?

Prix: 1968 waren wir jung, naiv und haben nicht gewusst, was Marktentwicklung und Kapitalströme für die Architektur bedeuten. Wir sind daher den Kapitalhaien, also den Investoren, a priori immer unterlegen gewesen, daher haben wir auch kaum gebaut.

SZ: Und wie ist es heute?

Prix: Wenn ich noch einmal auf die Welt komme, werde ich Vertragsanwalt für Architekten. Heute schlage ich als Architekt Strategien vor, die eine Win-Win-Situation ermöglichen.

SZ: Jetzt reden Sie wie ein Unternehmensberater.

Prix: Bin ich. Aber in Sachen Form und Organisation.

SZ: Wo bleibt da noch die von Ihnen angemahnte politische Ästhetik?

Prix: Jaja. (schmunzelt)

SZ: Ja.

Prix: Investoren versuchen immer - aus ihrer Sicht verständlicherweise - aus jedem Quadratzentimeter Geld zu machen, wie bei Shopping-Malls. Wir Architekten aber müssen ihnen zeigen, wie man öffentlichen Raum, der in unseren Städten immer weniger wird, neu interpretieren kann.

SZ: Wie denn?

Prix: Ich weiß nicht, warum das in deutschen Landen so schwer verstehbar ist: Die BMW-Welt ist eine Neuinterpretation des öffentlichen Raums.

SZ: Wie bitte? Es ist ein Ort, wo Kunden ihr Auto abholen können.

Prix: Wenn die bisher über drei Millionen Besucher ihr Auto zukünftig dort abholen, dann ist das doch toll für BMW. Aber das Gebäude ist viel mehr als ein Showroom für Autos. Es gibt Event-Spaces, Restaurants, Galerien, ein Kongresszentrum. Eigentlich ist das Gebäude als Passage geplant - die Leute gehen durch, ohne etwas kaufen zu müssen.

SZ: Mal ehrlich: Es ist doch vor allem eine Werbefläche von BMW.

Prix: Klar. Heute sind halt die Autos Attraktoren im öffentlichen Raum, früher waren es die Kaffeehäuser.

SZ: Früher haben Sie für die politische Ästhetik gekämpft, was ist davon übrig?

Prix: Es gilt, was ich immer schon gesagt habe: Architektur muss sich verändern wie Wolken. Das muss man zum Teil poetisch sehen, zum Teil real. Wir haben lange die Bauindustrie überschätzt und die Geschmacksathleten der politischen Auftraggeber unterschätzt. Ich habe gedacht, dass Architektur Veränderung in der Gesellschaft bewirken kann. Aber was mache ich gegen die Überwachung durch Videokameras?

SZ: Sie könnten dort nicht bauen.

Prix: Wenn Sie recht haben, wäre die radikale Konsequenz für den Architekten: Ich verhungere langsam oder ich erschieße mich jetzt sofort.

SZ: Bauen Sie in autoritären Gesellschaften wie China?

Prix: Diktatorische Auftraggeber haben es schwer mit mir: Unsere offene Architektur verschreckt autoritäre Menschen. Die Frage wäre: Hätte ich wie Speer für Hitler gebaut? Na, die Spießbürgerbonzen des Dritten Reiches hätten mich nie beauftragt.

SZ: Das heißt: Autoritäre Regime können Ihre Offenheit nicht ertragen.

Prix: Wenn wir unsere Konstruktion so bauen können, wie wir wollen, dann baue ich auch in China oder Dubai. So wie Brunelleschi auch im Auftrag der katholischen Kirche einen wunderschönen Dom gebaut hat.

"Das Recht auf Misserfolg hat jeder"

SZ: 30 Jahre haben Sie so gut wie nichts gebaut. Wie hielten Sie das aus?

Prix: Ich glaube seit 68, dass wir die Architektur radikal verändern konnten und können. Den Glauben daran haben wir nie verloren. Sonst wäre uns aufgefallen, dass wir nie Geld gehabt haben.

SZ: Wie haben Sie überlebt?

Prix: Dass wir uns über die Runden gebracht haben, indem wir die Zigaretten und das Bier anschreiben haben lassen, ist so ein Mythos. Gelebt haben wir von Forschungsprojekten.

SZ: Was haben Sie erforscht?

Prix: Eines der Projekte beschäftigte sich mit dem Einfluss der Raumform auf das Befinden des Menschen. Das damals gewonnene Wissen hilft mir heute sehr.

SZ: Haben Ihre Eltern nie gesagt: Mensch, Bub, mach was Gescheites.

Prix: Eltern haben diesbezüglich nie recht. Aber es gibt da jemanden, der mich wirklich fasziniert hat: Muhammad Ali. Er ist einer der wenigen Boxer, der es geschafft hat, während des Kampfes die Strategie zu ändern. Ali war ein Konterboxer, der den Cross beherrscht hat. Er löste ein Problem, bevor es zum Problem wurde. Gute Architekturstrategie!

SZ: Macht Geld Kreativität kaputt?

Prix: Genau um diese Frage ging es, als unser Büro immer größer wurde. Die Balance zwischen Kreativität und Geld, also Wirtschaftlichkeit - das zu finden ist die Lebensaufgabe jedes Architekten. Als junger Architekt verschuldet man sich auf die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre. Nur wenige überstehen das unbeschadet. Oder man erhält einen großen Auftrag, an dem man sofort zerbricht.

SZ: Warum sind Sie eigentlich nie zerbrochen, als keiner Ihre Ideen verwirklichen wollte?

Prix: Ich hab die Zeit genutzt, an Dinge zu denken, an die man sonst nicht denkt, weil die Zeit und das Geld drängen. Hätte ich Geld verdienen wollen, hätte ich nicht Architekt werden dürfen.

SZ: Wie hoch waren Sie verschuldet?

Prix: Hoch! Aber das ist auch so ein Mythos. Das mag ich nicht: Sie schreiben das, und dann kommt der nächste und fragt danach. Wie langweilig!

SZ: Deshalb haben Sie auf die Frage nach Ihren Vorbildern einfach mal geantwortet: die Rolling Stones.

Prix: Genau. Damals, in der postmodernen Zeit, war es Mode zu sagen: Ja, dieser oder jener italienische Architekt ist mein Vorbild. Das hat mich immer fürchterlich genervt, und ich wollte auch nicht sagen, wer meine wirklichen Vorbilder sind, also Le Corbusier und Friedrich Kiesler. So habe ich halt gesagt: die Stones. Stimmt sogar.

SZ: Wie das?

Prix: Die Spannungsverläufe, wenn Keith Richards Rockgitarre spielt, sind ähnlich gebogene Sachzwänge wie wir sie in unserer Architektur entwerfen. Und es geht auch darum, Ideen aus anderen Gebieten in die eigene Architektur-Gedankenwelt zu transportieren. Unternehmensberater der Architekturtheorie machen das ja gern.

SZ: Eben. Sie sind ja auch einer.

Prix: Wehe Sie schreiben, dass ich Unternehmensberater bin.

SZ: Haben Sie doch selbst gesagt.

Prix: Ich will aber keiner sein, sonst müsste ich ja die Unternehmen, für die ich baue, an meinem Gewinn beteiligen. Das will ich auf gar keinen Fall! (lacht)

SZ: Sind Sie reich?

Prix: Ich kann jetzt Ideen, die ich immer schon hatte, endlich bauen. (denkt nach) Wissen Sie, was wirklich reich ist? Wenn Keith Richards und Mick Jagger irgendwo auf einer karibischen Insel sitzen, ihren Song "Satisfaction" im Radio hören, und in diesem Augenblick wissen, dass wieder soundsoviele Tausende Dollars an Tantiemen reinkommen. (lacht)

SZ: Können Sie noch scheitern?

Prix: Das Recht auf Misserfolg hat jeder. Allerdings wäre es dann schwierig, die Zigarren anschreiben zu lassen.

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