Arbeitslose Fußballer:Ausgekickt, rausgekickt

Einst Nationalelf, jetzt arbeitslos: Zum Start der Fußball-Bundesliga sind viele Spieler noch ohne Verein - von Hildebrand bis Hitzlsperger. Jeder vierte Profi landet irgendwann bei Hartz IV, und nicht immer geht es sportlich zu.

Uwe Ritzer

Er war schon ganz oben, die Nummer eins. 2007 wurde Timo Hildebrand mit dem VfB Stuttgart Deutscher Meister. In der Fußball-Nationalmannschaft galt er als kommender Stamm-Torhüter. Alles lief perfekt. Heute ist Timo Hildebrand arbeitslos. Er tingelt gerade durch Europa in der Hoffnung, irgendwo einen Job zu finden. Vor ein paar Tagen hat er bei Manchester City vorgespielt - dort sucht man einen Ersatztorwart. Nun wurde er beim Probetraining bei Evian-TG gesichtet, einem Aufsteiger in die erste französische Liga. Seit Hildebrand Stuttgart auf eigenen Wunsch verließ, ging es bergab. Es folgten für ihn ernüchternde Stationen beim FC Valencia, bei der TSG Hoffenheim und Sporting Lissabon. "Wie Ihr Euch vorstellen könnt, waren die letzten Monate nicht einfach für mich", schreibt Hildebrand auf seiner Internetseite an seine Fans. Das ist gewaltig untertrieben.

1899 Hoffenheim v Bayer Leverkusen - Bundesliga

Einst Nationalspieler, derzeit ohne Verein: Der ehemalige Torhüter des VfB Stuttgart und der TSG Hoffenheim, Timo Hildebrand.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Hildebrand, 32, ist nicht der einzige langjährige Fußball-Star im besten Alter, der gegen den Absturz kämpft. Auch gestandene Ex-Nationalspieler wie David Odonkor, Thomas Hitzlsperger, Andreas Hinkel oder Gerald Asamoah sind zum Start der neuen Bundesliga-Saison an diesem Freitag arbeitslos. Weniger prominente Spieler sind es, die sich in diesen Wochen in Duisburg bei Trainingslagern der Vereinigung der Vertragsfußballer (VdV) fit halten. Dort können sich Lizenz-Fußballer ohne Verein zu Beginn der Saison auch selbst als Last-Minute-Schnäppchen anpreisen. 60 Spieler haben sich angemeldet. In wechselnden Besetzungen kickt das Auswahlteam der Joblosen gegen Landes-, Ober- und Zweitligisten.

Die Gründe für den Absturz von Fußballprofis sind fast immer dieselben: Verletzungspech, Formschwächen, Selbstüberschätzung, schlechte Berater. Leistung allein lohnt sich nicht immer. Die Spieler sind auch von Faktoren abhängig, die sie nicht beeinflussen können. Dem Vertrauen ihres Trainers, zum Beispiel. Denn wer nicht kickt, gerät bald in Vergessenheit. Der Marktwert sinkt.

Erschwerend kämen zwei aktuelle Trends hinzu, sagt Lars Kindgen, Geschäftsführer der Spielergewerkschaft VdV. "Angesichts der inzwischen hervorragenden Jugendarbeit ziehen viele Vereine lieber einen Jugendspieler hoch, als einen arrivierten und dementsprechend teureren Profi zu verpflichten." Und außerdem: Die Vereine der drei Profiligen bauen Personal ab. "Statt mit 25 bis 30 Spielern im Kader starten diesmal viele Klubs mit knapp über 20 in die Saison", sagt Kindgen. Aus Kostengründen.

Dabei ist der Profifußball an sich eine Geldmaschine. Vereine, Sponsoren, Fernsehsender, Werbepartner, Trittbrettfahrer - in der Summe werden zig Milliarden Euro bewegt. Viele verdienen mit. Für Schlagzeilen sorgen die großen Transfers, wie jüngst jener von Manuel Neuer zu Bayern München für eine Ablösesumme von etwa 20 Millionen Euro. Die breite Öffentlichkeit denkt an Top-Verdiener wie Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo, deren Einkommen bei 30 Millionen Euro jährlich liegen sollen, inklusive Werbeeinnahmen. Auch in der Bundesliga bringen es Top-Stars wie Bastian Schweinsteiger oder Arjen Robben auf stattliche Millionengehälter. Kaum jemand weiß allerdings, dass Spieler wie Günter Breitzke für die Masse der Profifußballer repräsentativer sind.

1988 kam er vom Verbandsligisten SC Brück zu Borussia Dortmund. Ein Jahr später gewann er mit dem Team den DFB-Pokal. Breitzke kickte im Mittelfeld neben Nationalspielern wie Andreas Möller oder Michael Zorc. Ein Dribbler, ballsicher, verspielt. 1992 wurde das Team deutscher Vizemeister. Dann wurde es still um Günter Breitzke. Vor zwei Jahren tauchte sein Name plötzlich wieder in der Öffentlichkeit auf. "Ich habe keine Stelle, kein Geld, kein Auto, nicht einmal eine Freundin", erzählte er da. Günter Breitzke, gelernter Maler und Lackierer, lebte von Hartz IV. Er ist kein Einzelfall. "Etwa 20 bis 25 Prozent aller Fußballprofis landen am Ende bei Hartz IV", sagt VdV-Geschäftsführer Lars Kindgen.

Experten wie er hielten es für ein fatales Signal, als der damalige Trainer von Schalke 04, Felix Magath, dem als großes Talent gefeierten Julian Draxler riet, die Schule zu schmeißen und auf das Abitur zu verzichten, weil er als Fußballer genug Geld verdienen werde. "Als ich das gehört habe, und mich bei uns in der Kabine umsah, dachte ich mir, was redet der Felix da für einen Blödsinn", erzählt der Co-Trainer eines Profi-Klubs.

Nur die Gehälter der Stars explodieren

Denn viele derer, die gut mit dem Ball umgehen können, scheitern im richtigen Leben. Wie Eike Immel, der ehemalige Nationaltorwart, der völlig abgebrannt im RTL-Dschungelcamp landete. Vom 2005 verstorbenen George Best, der ebenso genialen wie schillernden, britischen Fußball-Legende, ist der Satz überliefert: "Ich habe viel Geld für Alkohol, Frauen und schnelle Autos ausgegeben. Den Rest habe ich verprasst."

Am liebsten möchten sie alle nach der Karriere im Fußballgeschäft bleiben, als Trainer, Manager, Berater oder Talentsucher der Klubs. Doch es gibt bei weitem nicht genug solcher Stellen. "Vielleicht zehn Prozent der Profis können nach ihrer Karriere allein von dem leben, was sie sich zusammengespielt haben", schätzt Kindgen. Das Gros der gut 1300 Profi-Fußballer hierzulande ist von den Millionen-Gagen eines Robben, Ribery oder Raul Lichtjahre entfernt. Ein durchschnittlicher Bundesligakicker verdient nach Angaben der Spielergewerkschaft VdV monatlich im Durchschnitt 20.000 bis 25.000 Euro Grundgehalt. Ein Zweitligaspieler liege im Mittel bei 7000 bis 15 000 Euro, sagt Kindgen. Hier ist das Gefälle groß. Und in der dritten Liga liegt das Salär eines Profis im Schnitt nicht höher als das eines guten Facharbeiters: Zwischen 3000 und 6000 Euro im Monat.

So sehr das Fußballgeschäft boomt - die Gehälter explodieren nur bei den Stars. "Abgesehen von ihnen stagniert das Gehaltsniveau in der Bundesliga momentan mit bestenfalls leichter Tendenz nach oben", sagt Kindgen. In Liga zwei wird tendenziell weniger gezahlt als früher, und die dritte Liga ist und bleibt das Armenhaus des Profifußballs.

Wenn Fußball-Profis allerdings verarmen, liegt das nicht selten an ihnen selbst. "Bei uns in der Kabine geht es manchmal zu wie in der Fernsehwerbung", erzählt ein aktiver Lizenzspieler, der ungenannt bleiben möchte. "Mein Haus, mein Auto, meine Freundin, mein Boot." Prahlt der eine heute mit seiner 4000-Euro-Armbanduhr, hat ein Mitspieler am nächsten Tag eine für 5000 Euro. Fußballprofis sind junge Männer, die von heute auf morgen viele tausend Euros verdienen, während Gleichaltrige für 400 Euro Lehrlingslohn buckeln. Und dann ist da der große Schein.

Viel Geld animiert nicht nur zu einem großzügigen Lebensstil, es lockt auch viele Schulterklopfer an, falsche Freunde, windige Einflüsterer. Wohl dem, der einen seriösen Berater oder eine bodenständige Familie hat, die ihn zu erden wissen. Auch die mentalen Verlockungen sind groß: Plötzlich ist man als kickender Pop-Star ständig in den Medien, die Fans bejubeln einen, und die Vereine kümmern sich um alles: Behördengänge, Wohnungssuche, Vermittlung von Autos, Reisen, Handy-Verträgen. Doch irgendwann ist die Karriere vorbei und man muss sich um alles selbst kümmern.

Viele sind damit überfordert", sagt Kindgen. Der VdV hat einen Laufbahnberater engagiert. Der Weg zurück ins normale Leben dauere 18 Monate bis zwei Jahre, so Kindgen. "Das ist ein Prozess, weil viele über den Fußball hinaus nie eine Idee für sich und ihr Leben hatten."

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