Süddeutsche Zeitung

Arbeitsalltag eines Geldtransport-Fahrers:Millionen im Laderaum, ein paar Euro auf dem Lohnzettel

Arbeiten unter Lebensgefahr: Ein Geldtransporter-Fahrer erzählt von seinem Job, dem geringen Verdienst und seinem Traum von einem Theaterabend.

Tobias Dorfer

Der Hauptstadthimmel färbt sich im Abendrot. Thilo Böhnke läuft die Treppen zur S-Bahn-Station Hackescher Markt hinauf. Er hat die Mütze ins Gesicht gezogen, der Kragen seines Mantels ist aufgestellt. Fotografieren darf man ihn - wenn überhaupt - nur so und nur von hinten. Gleich wird er über seine Arbeit reden. Er wird viel erzählen, aber schreiben darf man nicht alles.

Denn Thilo Böhnke, der in Wirklichkeit anders heißt, muss anonym bleiben. Er hat bei seinem Arbeitgeber unterschrieben, dass er mit der Presse nicht reden darf. Die Firma verlangt das einerseits, weil sie nicht will, dass die Arbeitsbedingungen publik werden. Und andererseits, weil es um viel Geld geht. Geld, das von Böhnke und seinen Kollegen transportiert wird.

Der 49-Jährige fährt einen Geldtransporter für ein Sicherheitsunternehmen. Das ist gefährlich - nicht selten werden die Transporte überfallen. Auf dem Bahnsteig der Station Hackescher Markt steht ein Geldautomat. Im Abstand von zwei, drei Minuten fahren S-Bahnen ein. Die Menschen, die aus- und einsteigen nehmen den Mann kaum wahr, der vor dem Geldautomaten steht. Der Automat ist beschädigt. Die Tür, hinter der sich der Tresor befindet, biegt sich leicht nach außen. Unbekannte haben versucht, sie zu öffnen. Thilo Böhnke öffnet die Tür mit einem Schlüssel. Der Tresor ist unversehrt.

"Mit einem Stemmeisen knackt man keinen Geldautomaten", sagt Böhnke.

"Wie dann?"

"Es gibt Täter, die führen einen Schlauch in den Tresor und dann leiten sie Gas ins Innere. Eine kurze Zündung genügt, und das Ding fliegt einem um die Ohren. Das ist saugefährlich."

"Und dabei wird das Geld nicht zerstört?"

"Wenn die Täter vorsichtig sind, dann nicht. Es kommt auf die richtige Dosierung des Gases an. Das müssen echte Profis machen."

Hohe Mitarbeiterfluktuation

Seit 17 Jahren arbeitet Thilo Böhnke im Sicherheitsgewerbe. Das ist eine lange Zeit - gerade in einer Branche, in der die Mitarbeiterfluktuation ähnlich hoch ist wie im Bundesligakader des FC Bayern München. Böhnke ist im Ostteil Berlins aufgewachsen. Zwei Währungsumstellungen hat er miterlebt. Er staunte über Menschen, die Glasscheiben von Bankfilialen eindrückten, um an ihr Begrüßungsgeld zu kommen. Und über Säcke voller Geld, die ungesichert in Hinterzimmern von Poststellen lagen. "Eine verrückte Zeit", sagt Böhnke, und er lächelt dabei. So wie Menschen lächeln, die sich wehmütig an früher erinnern. An die gute, alte Zeit.

In Böhnkes guter, alter Zeit waren die Geldsäcke ungesichert und in der Luft lagen die Versprechen der Wende und der Duft von Freiheit. Es gab keine toten Kollegen, und von einem Mindestlohn hatte Böhnke noch nie etwas gehört. Heute ist das seine Realität. Die geringe Bezahlung, die tägliche Lebensgefahr.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie Thilo Böhnke vom Tod eines Kollegen erfuhr und wie die Angst seinen Arbeitsalltag beeinflusst.

Es gibt wenige Branchen, die so widersprüchlich sind wie das Geschäft mit dem Transport von Geld. Menschen fahren für einen Minimallohn Maximalbeträge durch die Gegend. Es ist ein Job, in dem Menschen großen Gefahren und vielleicht noch größeren Versuchungen ausgesetzt sind. Eine verschwiegene Branche, die ihren Auftraggebern höchste Sicherheit garantiert und ihren Mitarbeitern häufig nur die allerniedrigste. Ein Gewerbe, in dem Menschen für ihren Lohn mitunter sogar mit ihrem Leben zahlen. Allein in Berlin sind in den letzten beiden Jahren zwei Fahrer bei Überfällen erschossen worden.

Berlin, Oranienburger Straße, Postbank, 29.10 2007: Am Vormittag wird bei einem Raubüberfall auf einen Geldtransporter in Berlin Reinickendorf ein Wachmann erschossen. Einer der Täter erleidet durch Schüsse Verletzungen. Er entkommt jedoch - gemeinsam mit seinem Komplizen.

Als die Schüsse fallen, sitzt Thilo Böhnke zu Hause. Er hat frei, gleich will er noch ein wenig an die frische Luft. Das Klingeln reißt ihn aus den Gedanken. Am Telefon ist ein Kollege, er klingt komisch und sagt, Böhnke solle den Fernseher einschalten. Auf dem Bild sieht Böhnke die Postbank, die Polizeiautos, die Absperrungen. Er schluckt. Dann geht er ans Telefon und ruft einen Kollegen an. Der weiß, welcher Kollege da liegt, zwischen all den Männern in Grün auf dem Gehsteig in der Oranienburger Straße. Böhnke kennt den Mann. "Das geht unter die Haut", sagt er. "Es ist einfach unglaublich, was Menschen alles machen, um an Geld zu kommen. Meine Frau sagt ab und zu, ich solle mit dem Job aufhören."

"Haben Sie auch Angst, dass Ihnen so etwas passieren könnte?"

"Angst nicht. Aber ich bin immer angespannt, auch noch nach 17 Jahren. Das lässt sich einfach nicht abschalten."

"Wie beeinflusst das Ihre Arbeit?"

"Ich habe immer im Blick, ob ein Auto längere Zeit hinter mir herfährt. Und wenn ich an einer Ampel halten muss, lasse ich automatisch genügend Platz zum Vordermann. Damit ich notfalls schnell ausscheren und davonfahren kann."

Vorsichtig fahren - das ist eine Möglichkeit, für Sicherheit zu sorgen. Thilo Böhnke würde gerne mehr tun. Seine Fahrtroute häufiger ändern, etwa. Jeden Tag zur selben Zeit am selben Ort zu sein, ist nicht sicher. Doch der Arbeitgeber will, dass er in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Kunden bedient. Kostendruck, sagt der Arbeitgeber. Thilo Böhnke versteht, dass die Unternehmen sparen müssen. Er kritisiert jedoch, dass sie es auf Kosten ihrer Mitarbeiter tun.

Lesen Sie im dritten Teil, wie die Unternehmen an der Sicherheit ihrer Mitarbeiter sparen und wie Thilo Böhnke mit der täglichen Versuchung umgeht.

Die Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste hat im Mai 2007 einen Sicherheitskatalog herausgegeben. Darin steht, wie der Schutz der Belegschaft auszusehen hat. Von einer Waffe ist nicht die Rede. Nicht einmal von einer kugelsicheren Weste. All das sind freiwillige Leistungen, die der Arbeitgeber bieten kann - oder einsparen. Eine kugelsichere Weste kostet zwischen 300 und 600 Euro. Für einen Waffenschein werden rund 800 Euro fällig. "Ich habe das Glück, dass mein Arbeitgeber mir eine kugelsichere Weste und eine Pistole zur Verfügung stellt", sagt Thilo Böhnke. "Viele Firmen machen das nicht."

Kein Geld für Mario Barth

Böhnke sagt, die Waffe diene nur zur Notwehr. "Glauben Sie mir: Jeder Kollege, der einmal abgefeuert hat, leidet nachher darunter. Und zwar massiv." Die Anspannung ist ein ständiger Beifahrer. Angemessen entlohnt werden die Fahrer dafür nicht, findet Thilo Böhnke. In Berlin bekommen viele Fahrer inklusive Zuschläge nicht mehr als 5,90 Euro in der Stunde. Böhnke hat am Monatsende immerhin gut 1000 Euro in der Tasche. Nicht genug, um seine vierköpfige Familie zu ernähren. Damit es reicht, muss seine Frau ebenfalls arbeiten.

Dann erzählt er von den eigenen Wünschen. Davon, dass er gerne den Auftritt des Komikers Mario Barth im Olympiastadion mitverfolgt hätte. Dass er schon lange nicht mehr im Theater war. Weil das Geld nicht reicht. Es gibt Menschen, die in solchen Momenten den Verlockungen des Geldes nicht widerstehen konnten.

Sulzemoos vor München, Parkplatz an der Autobahn 8, 21.1.2007: Mit einem Millionenbetrag ist ein Fahrer eines Geldtransporters von einem Parkplatz geflüchtet. Der 31-Jährige hat seinen Beifahrer dazu überredet, auf einem Parkplatz aus dem Wagen auszusteigen. Danach fährt er mit dem Auto davon.Ende April dieses Jahres wird der Mann in einem Zug von Nürnberg nach Dresden bei einer Routinekontrolle festgenommen - 15 Monate nach der Tat. Von der Beute fehlt jede Spur.

Böhnke sagt, er selbst habe noch nie daran gedacht, Geld zu veruntreuen. Er könne aber nicht ausschließen, dass andere Kollegen schwach werden. "Einmal hatte ich einen neuen Kollegen, der sah das Geld, wurde kreidebleich und bekam Herzrasen. Dem habe ich klargemacht, dass das der falsche Job für ihn ist."

Thilo Böhnke trinkt sein Glas leer und zieht den Mantel an. Er muss los, noch ein Geschenk kaufen. 34 Euro hat er im Geldbeutel. Mehr nicht. Für einen Mann wie Thilo Böhnke, der täglich Millionen Euro herumfährt und dabei weniger als 100 Euro am Tag verdient, sind 34 Euro ziemlich viel Geld.

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SZ vom 05.06.2008/tob
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