Nachlass:Wenn die Pflegerin erbt

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Dürfen Pflegekräfte erben? Ja, aber nur in eng gefassten Grenzen. (Foto: Patrick Pleul/dpa)

Schwerkranke vermachen ihren Pflegekräften oft Geld, Aktiendepots, Schmuck und Immobilien und setzen sie manchmal sogar als Alleinerben ein. Doch nicht jeder letzte Wille dieser Art ist rechtmäßig.

Von Berrit Gräber

Als er das Testament seines verstorbenen Vaters in den Händen hält, ist Thomas Müller (Name verändert) fassungslos. 80 000 Euro vom Ersparten hat der schwerkranke Senior seiner polnischen Pflegekraft Maria hinterlassen. Aus "tiefer Dankbarkeit", wie er in seiner steilen Handschrift noch anmerkte. Nach dem Schlaganfall war die 53-jährige Haushaltshilfe aus Krakau bei ihm eingezogen und hatte sich mehr als fünf Jahre lang um den alleinstehenden Mann gekümmert. Die Kinder, Sohn Thomas und Tochter Anette, leben jeweils viele Hundert Kilometer entfernt - und sind jetzt über den letzten Willen des Vaters schockiert.

Dass Kranke ihren Pflegekräften oft Geld, Aktiendepots, Schmuck und Immobilien vermachen oder sie gar als Alleinerben einsetzen - mit solchen "Überraschungen" sind unzählige Nachkommen Pflegebedürftiger in Deutschland konfrontiert, wie Paul Grötsch berichtet, Geschäftsführer des Deutschen Forums für Erbrecht in München, ein gemeinnütziger Verein, dessen Mitglieder fast ausschließlich Fachanwälte für Erbrecht sowie Anwälte und Notare sind. Und nicht nur die Geschwister Müller stellen sich die Frage: Dürfen Pflegekräfte tatsächlich erben?

"Das kommt immer auf den Einzelfall an", erklärt Erbrechtsanwalt Grötsch. Längst nicht alle im Testament niedergeschriebenen Zuwendungen an Heim- und Pflegepersonal sind auch tatsächlich wirksam. Im Fall von Herrn Müller senior haben die Kinder allerdings schlechte Karten, wenn sie den Letzten Willen ihres Vaters nicht akzeptieren und dagegen vorgehen sollten. Denn: Grundsätzlich kann jeder seiner privaten Pflegekraft, Haushaltshilfe oder etwa der Nachbarin, die sich jahrelang engagiert gekümmert hat, im Testament etwas zukommen lassen.

Ausgebootete Erben bezweifeln gern, dass der Patient des freien Willens mächtig war

"Das kann für Nachkommen bitter sein, ist aber problemlos möglich und wirksam", betont auch Jan Bittler, Fachanwalt für Erbrecht und Geschäftsführer der Deutschen Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge (DVEV), die 1995 von Erbrechtspraktikern gegründet wurde. Immer auch vorausgesetzt, das Testament ist formal in Ordnung. Selbst wenn Herr Müller seiner polnischen Betreuerin nicht nur Teile, sondern das ganze Vermögen vermacht hätte, müssten seine Nachkommen mit dieser Entscheidung leben. "Als Kinder haben sie noch den Pflichtteilsanspruch", erklärt Grötsch.

Geht es um richtig viel Geld, stellt sich die Familie des Verstorbenen jedoch meist quer und setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um dessen Letzten Willen zu kippen, wie Bittler erläutert. Mithilfe von Krankenakten, Pflegeberichten und Gutachten wird dann oft versucht, posthum die Testierunfähigkeit des Verstorbenen bestätigt zu bekommen.

Der Streit um die Testierfähigkeit, also letztlich die Wirksamkeit von Testamenten, gehört zur täglichen Praxis in Erbrechtskanzleien und bei den Nachlassgerichten. Ausgebootete Erben bezweifeln dann etwa gern, dass der Patient unter dem Einfluss starker Medikamente noch in der Lage war, einen freien Willen zu bilden. "So etwas nachzuweisen, ist aber sehr, sehr schwierig", betont Bittler. Eine schwere Krankheit und selbst "Tütteligkeit" bedeuten nicht automatisch, dass der Kranke nicht mehr erkennen konnte, was er tut und welche Folgen sein Tun hat.

Hätte Herr Müller nicht die freundliche Maria in seinem Testament bedacht, sondern die vertraute Pflegekraft des ambulanten Pflegedienstes am Ort, müsste sich seine Familie ebenfalls mit der Entscheidung abfinden. Nicht nur private Helfer, sondern auch die Profis von ambulanten Pflegeunternehmen dürfen problemlos erben, wie Bittler betont. Mit Blick auf ein mögliches Abhängigkeitsverhältnis ist das bisher lediglich in Hessen strikt verboten. Und in Baden-Württemberg, wenn der Kranke dort in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft lebt.

Ganz anders sieht es aus, wenn ein Bewohner im Alten- oder Pflegeheim lebt und das dort angestellte Personal zu Erben bestimmt. Eine solche testamentarische Verfügung ist in der Regel unwirksam. Dafür sorgen die Heimgesetze der Bundesländer respektive Paragraf 14 im bundesweiten Heimgesetz. Das strenge Verbot hebelt sogar den Grundsatz der Testierfreiheit aus, wie Erbrechtsanwalt Grötsch betont. Weder die stationären Profi-Pfleger noch der Heimträger oder die Heimleitung dürfen im Testament bedacht werden. Das gilt selbst für die Kinder des Heimleiters, wie das Oberlandesgericht Düsseldorf befand (Az.: 3 Wx 250/97). Nicht einmal die Ehefrau eines Heimmitarbeiters darf als Erbin eingesetzt werden, entschied das OLG Frankfurt am Main (20 W 71/99).

Der letzte Wille kann verpuffen

Was der Gesetzgeber mit dem Verbot bezweckt, liegt auf der Hand: Die meist stark abhängigen Heimbewohner sollen so vor Druck geschützt werden. Niemand soll sie in ihrer Hilflosigkeit ausnutzen dürfen. Auch das Einsetzen von Heimpersonal im Testament schon vor Einzug ist hinfällig. Angenommen, Herr Müller hätte seinen Lebensabend im Heim verbracht und einen Pfleger im Testament bedacht, könnten die Kinder lässig abwinken. Sein Letzter Wille wäre verpufft.

Eine Einschränkung gibt es aber: Das Verbot, Heimpersonal im Testament als Erben einzusetzen, gilt nur dann, wenn der Begünstigte davon wusste. Um die knifflige Frage, ob ihn der Patient noch zu Lebzeiten informierte oder ob er ihn still und heimlich als Erben einsetzte, wird dann aber oftmals heftig vor Gericht gestritten.

Diese Hürde spielt in der Regel den betroffenen Familien in die Hände. "Beruft sich der Pfleger auf sein Nichtwissen und besteht auf Auszahlung des Erbes, muss er das erst einmal nachweisen und seinen Anspruch gerichtlich verfolgen", erklärt Grötsch. Kein leichtes Unterfangen.

"Wer sich für eine gute Pflege bedanken und Heimmitarbeiter trotz Verbots in sein Testament aufnehmen will, kann das deshalb rechtlich sicher nur über eine Ausnahmegenehmigung tun", erklärt Grötsch. Diese muss bei der zuständigen Behörde beantragt werden, noch bevor der Letzte Wille zu Papier gebracht wird. In Bayern sind dafür zum Beispiel die Kreisverwaltungsbehörden zuständig. Weil das Schlupfloch über die Ausnahmeregelung nicht in allen Bundesländern offensteht, rät Grötsch Interessenten dazu, sich vorher am besten mit einem Fachanwalt für Erbrecht oder einem Notar zu besprechen. Nur so geht der Erblasser auf Nummer sicher.

© SZ vom 13.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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