Süddeutsche Zeitung

Anlageberater Hellmeyer:"An der Börse herrscht der Homo panicus"

Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Landesbank Bremen, gilt als Asterix der Branche - und spricht über neue Höchststände, die Arroganz der Investmentbanker und eigene Fehler.

Catherine Hoffmann

Wir befinden uns im Jahr drei nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers. Die globale Finanzwelt wird noch immer von Bankenriesen beherrscht. Die ganze Welt? Nein, es gibt noch kleine Geldhäuser, die sich einen unabhängigen Geist bewahren. Dazu zählt die winzige Landesbank Bremen, die unbeschadet durch die Turbulenzen kam.

Ihr Chefanalyst Folker Hellmeyer gefällt sich in der Rolle des Comic-Kriegers Asterix, der stets gegen die Übermacht der Großbanken aufbegehrt. "Ich bin in höchstem Maße enttäuscht, dass man die globale Bankenaristokratie nicht auf eine Größe zurechtstutzte, die der Finanzkraft der einzelnen Staaten entspricht", sagt der Landesbanker.

In der Arroganz der Global Player sieht Hellmeyer die Wurzeln der Krise. Dass die Finanzkonzerne trotz des Schadens, den sie anrichteten, nicht zerschlagen wurden, hält er für falsch. Spricht da der Neid aus einem, der nicht halb so viel verdient wie die Spitzenmanager in London und New York? "Diese Personen sind extrem überbezahlt", wettert Hellmeyer.

Er habe nichts gegen gesunden Egoismus, aber: "In den Vorstandszimmern der Finanzkonglomerate wird Egozentrik gelebt, und das ist schlecht." Das Leben ist nicht einfach für die Vertreter der Hochfinanz, wenn sie mit dem Asterix aus Bremen auf einem Podium sitzen, um über den Kapitalismus zu diskutieren. Dann ziehen die Legionäre der Finanzfeldherrn erschrocken den Kopf ein. Hellmeyer genießt das.

Regelmäßiger Fernsehgast

Es gab eine kurze Phase in seinem Leben, da wollte er Schauspieler oder Sänger werden. "Mein Vater sagte mir, dass die Familie das nicht notwendig unterstützen würde, es aber meine Entscheidung sei", erzählt er. "Ich sollte etwas Anständiges lernen." Das - so glaubten er und sein Vater - tat er dann auch.

Nach einer Lehre bei der Deutschen Bank besuchte Hellmeyer eine Bankakademie und wurde Devisenhändler. "Als ich 1988 aus London zurückkam, waren die Fehlentwicklungen im Investmentbanking schon erkennbar", sagt er. "Charaktere mit geringer Integrität saßen in hohen Positionen und ignorierten die Verantwortung des Bankensektors für die Volkswirtschaft."

Hellmeyer, auch physisch imposant, setzt sich gern provokant in Szene. Deshalb ist der Anlagestratege regelmäßig Gast im Fernsehen. Meist wollen die Journalisten nur eines wissen: Was kommt für die Anleger heraus? "Meine Prognose für den Deutschen Aktienindex in diesem Jahr sind 7000 Punkte", sagt er.

2011 soll es noch besser kommen, er schließt historische Höchststände nicht aus: "Ich sehe im Minimum 7800 Punkte". Das passt zu ihm. Hellmeyer ist Optimist. Champagner versprach er den Börsianern schon vor einem Jahr, sie sollten ihn bekommen; zwischendurch wäre aber Magenbitter hilfreich gewesen. Die Kurse schnellten nicht gerade wie Champagnerkorken hoch.

Für seine Zuversicht hat Hellmeyer einen einfachen Grund: Der Dax ignoriert seiner Meinung nach bisher die gute Verfassung der Realwirtschaft. "Wir haben es an der Börse derzeit mit dem Homo panicus zu tun, der sehr von der Vergangenheit der Krise in Anspruch genommen wird." Der Höhepunkt der Krise sei aber vorbei. Zeit also, wieder den Homo euphoricus hervorzukehren.

Als die Stimmungsbarometer für die Wirtschaft im Euroraum zuletzt eine solch ausgedehnte Schönwetterperiode anzeigten wie heute, stand der Dax bei 8000. Das war im Januar 2008, viele Monate vor der Pleite der US-Bank Lehman Brothers. "Heute steht der Index viel tiefer, obwohl wir seinerzeit eine sehr reife ökonomische Entwicklung hatten und jetzt eine jugendlich-frische sehen", sagt Hellmeyer.

Dann holt er aus: Erstens seien die meisten Unternehmer noch immer damit beschäftigt, ihre bescheidenen Lager aufzustocken. Zweitens seien bei knapp fünf Prozent Wachstum der Weltwirtschaft in diesem Jahr die Firmen gezwungen, Investitionsgüter anzuschaffen. Beides führe dazu, dass sich in 70 Prozent der Weltwirtschaft die Lage am Arbeitsmarkt verbessere, so dass drittens auch die Konsumenten den Aufschwung beflügeln könnten. "Wir hatten noch nie seit den 50ern Jahren einen solchen globalen Gleichklang", schwärmt Hellmeyer und schwingt zur Untermalung die Hände. "Das wird total unterschätzt."

Er fühlt sich sichtlich wohl, wenn er etwas anderes denkt als der Mainstream. Die meisten Ökonomen haben lange gebraucht, um zu entdecken, dass Deutschland einen Aufschwung XL erlebt. Nun warnen die Forschungsinstitute schon wieder vor Wachstumsschwund 2011, weil die Staaten so hoch verschuldet seien. "Die konjunkturellen Risiken nehmen zu", sagt etwa Gertrud Traud, Chefvolkswirtin der Helaba. Hellmeyer lässt sich davon nicht beirren.

An eine freudige Überraschung an der Börse glaubt auch Karl Huber, Manager eines Deutschlandfonds bei Pioneer. "Aus meiner Sicht spricht vieles dafür, dass der Dax bis Jahresende nochmals deutlich zulegt", sagt Huber. Und wo bitte kommen die Käufer her? "Die Versicherer sind kaum investiert", erwidert Hellmeyer und ein Grinsen huscht über sein Gesicht. Zudem hätten viele Ausländer in der Eurokrise europäische Aktien verkauft. Sie kehrten zurück, sobald sie von steigenden Kursen überrumpelt würden.

Das Ende der Party

Ein Daueroptimist ist Hellmeyer nicht. Er hat die Krise kommen sehen, zum Leidwesen seiner Bankvorstände und Kunden zu früh. Schon 2004 warnte er vor großem Ungemach auf dem US-Immobilienmarkt. 2007 habe er erneut gewarnt, 2008 den Einbruch von Wirtschaft und Börsen vorausgesehen. Er war sich sicher: Die Krise spitzt sich zu, dann gibt es eine ökonomische Erholung.

"Alles richtig", rühmt sich der Stratege - und schiebt schnell nach: "Auch ich laufe nicht auf Wasser. Irrtum gehört zum Geschäft." Sein größter Fehler war, den Aufschwung zu unterschätzen, der 2003 nach dem Platzen der Blase am Neuen Markt einsetzte. "Bis 2006 war ich Kritik ausgesetzt, weil die Party länger lief als es für die Partygäste gesund war", gibt er zu. "Es gab Kunden, die von meinen Fehlprognosen enttäuscht waren." Vielleicht versucht er nun, den Missgriff wettzumachen, indem er einen gesunden Aufschwung vorsagt.

Sein Prognosehandwerk hat Hellmeyer nicht an der Universität gelernt, sondern als Autodidakt. "Ich habe das große Glück, aus der Praxis zu kommen", sagt er. Das schütze vor ideologischer Vereinnahmung. Einen eigenen Kopf zu haben, hat er wohl vor allem von den Eltern gelernt. Sein Vater arbeitete als Schiffsführer. "Als Kapitän merken sie sehr schnell, wenn sie einen falschen Kurs steuern", sagt Hellmeyer und geißelt noch einmal die Dominanz der Investmentbanken. "Die Analysen aus New York und London werden widerstandslos akzeptiert", klagt er. "Kleine gallische Dörfer wie die Bremer Landesbank kommen dagegen nur schwer an."

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Quelle:
SZ vom 23.10.2010/kst
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