VW-Skandal:Was Anleger aus Dieselgate lernen sollten

Händler im Saal der Frankfurter Börse

Ein Händler im Saal der Frankfurter Börse: Die Entwicklung der VW-Aktie bereitet Anlegern Sorgen.

(Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)
  • Durch die VW-Krise verlieren Anleger Geld, die ihr Portfolio nicht breit genug gefächert haben.
  • Oft liegt der Anlagefehler auch im Timing der Käufe und Verkäufe von Anteilen.

Von Jan Willmroth

Wann immer ein Skandal einen Börsenkonzern trifft, ist die Reaktion der Anleger ähnlich, und zumeist ist sie unbarmherzig. Schnelle Verkäufe und damit ein rasant fallender Aktienkurs sind die rationale Reaktion. Vor allem dann, wenn enorme Strafkosten auf ein Unternehmen zukommen, deren Höhe noch nicht absehbar ist. In vielen Fällen erholen sich die Kurse relativ schnell wieder, weil Händler im ersten Moment auf schlechte Nachrichten überreagieren. Indes dauert es oft sehr lange, bis das ursprüngliche Niveau wieder erreicht ist.

Zahlreiche Beispiele aus jüngerer Vergangenheit verdeutlichen das: Standard Chartered etwa, die US-Bank, deren verbotene Geschäfte mit der iranischen Regierung im Jahr 2012 öffentlich wurden. Gleich am ersten Tag fiel die Aktie um 26 Prozent, stand am Jahresende aber höher als zuvor. Im Fall von BP, des Ölkonzerns, dessen Bohrplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko 2010 eine Katastrophe verursachte, fiel der Kurs binnen eines Monats um etwa 25 Prozent - und liegt bis heute weit unter dem Niveau von vor der Ölpest.

Wer in Einzelaktien investiert, macht oft keine großen Gewinne

VW dürfte eher der zweiten Kategorie entsprechen. Die Preise für einen Anteilsschein des Unternehmens schwankten in den vergangenen Wochen extrem. Dafür sorgt die hohe Unsicherheit: Niemand kann heute präzise abschätzen, wie viel der Skandal den Konzern am Ende kosten wird. Wie stark er VW im Wettbewerb ausbremst. Am Montag nach Bekanntwerden der Manipulationen fiel der Kurs um beinahe 20 Prozent, am Tag darauf erneut. Heute, zweieinhalb Wochen später, steht die Aktie etwa bei 105 Euro. Wer im April VW-Aktien besaß, hat bis heute 60 Prozent verloren. Ist ein solcher Kursverfall gerechtfertigt? Das ist sehr schwierig abzuschätzen.

Seit Jahresbeginn gehörte die VW-Aktie zu den am meisten gehandelten Werten im Dax; sie war gerade bei Privatanlegern beliebt. So wie die Ingenieurskunst von Volkswagen als hochwertig galt, war die Aktie ein Qualitätswert. Besonders für Kleinanleger ist die Abgasaffäre jetzt ein Debakel mit ungewissem Ausgang.

Und ein hervorragendes Lehrstück.

Es offenbart, wie problematisch es werden kann, wenn private Anleger mit einzelnen Aktien ihr Kapital mehren wollen. Selbst der fachkundigste VW-Analyst dürfte nicht vorhergesehen haben, wie verlustreich der Spätsommer für die Aktie des Wolfsburger Konzerns wird. Erkenntnisse aus der ökonomischen Verhaltensforschung zeigen zudem, wie fehlerhaft selbst erfahrene Anleger bei der Auswahl ihrer Wertpapiere vorgehen. Sie neigen dazu, zu oft zu handeln, schmälern mit den Transaktionskosten ihren Gewinn - und selbst vor Abzug der Kosten schneiden sie im Vergleich zum Gesamtmarkt eher schlecht ab. Hinzu kommt ein Phänomen, das in der Fachliteratur als "Illusion von Wissen" bekannt wurde: Anleger sammeln mehr und mehr Informationen, wobei sie vor allem auf leicht verfügbare zurückgreifen. Der Drang, mehr Wissen anzuhäufen als andere Investoren, lässt sie allerdings nicht besser abschneiden. Im Gegenteil. Folge der Illusion von Wissen ist eine Kontrollillusion: der Glaube daran, das Ergebnis unkontrollierbarer Ereignisse beeinflussen zu können. Vordergründig gute Firmen mit starkem Gewinnwachstum, das zeigt die VW-Affäre nun, sind noch lange keine guten Anlagen.

Aktien sollten möglichst unterschiedlich sein

Das gilt dann noch viel mehr, wenn Anleger den vielleicht häufigsten Fehler begehen und ihre Portfolios nicht breit genug diversifizieren - und wenn doch, ist die Streuung oftmals wenig effektiv. Viele kaufen im Glauben daran, den eigenen Arbeitgeber oder die Unternehmen des Heimatlandes besonders gut zu kennen, vor allem Aktien von heimischen Unternehmen. "Home bias" nennen Forscher das, die Heimat-Verzerrung. Die US-Forscher Kenneth French und James Poterba stellten sie 1991 in einer wegweisenden Studie dar, zahlreiche Folgestudien haben sie bestätigt. Bei diesem Übergewicht heimischer Aktien ist es sehr viel wahrscheinlicher, in den Depots deutscher Privatanleger VW-Aktien zu finden als welche von Hyundai, Toyota oder General Motors. Wenn dann noch weitere Auto-Aktien hinzukommen, ist die Verzerrung perfekt: Die meisten Anleger schätzen die Korrelation zwischen Titeln als zu gering ein.

Das ist aber noch nicht einmal das größte Problem. Denn selbst mit einem optimal diversifizierten Aktien-Portfolio dürften die meisten Privatleute auch langfristig keinen guten Schnitt machen. In einer relativ einfachen und naheliegenden Analyse haben sich Experten des US-Vermögensverwalters Longboard kürzlich die Entwicklung von Aktien im Russell 3000 angesehen. Das ist der größte Index der USA; er enthält die Aktien der 3000 größten börsennotierten Gesellschaften des Landes.

Anleger verkaufen zu früh und halten Verlierer zu lange

Über einen Zeitraum von 23 Jahren (1983 bis 2006) sorgten demnach 25 Prozent der Aktien für sämtliche Gewinne des Indexes. Die übrigen drei Viertel der Aktien erzielten im Schnitt keine Rendite - und mit den meisten hätten Investoren sogar Geld verloren: Die Verlustwahrscheinlichkeit lag bei 40 Prozent. Mit einer Wahrscheinlichkeit von beinahe 20 Prozent verlor eine Aktie sogar mindestens drei Viertel ihres Werts. Zwei Drittel der Aktien schnitten schlechter ab als der Index.

Jede Investition in Einzelaktien gerät so zum Wagnis, weitgehend unabhängig von der Erfahrung bei der Auswahl von Titeln.

Im Fall VW kommt nun noch der Dispositionseffekt ins Spiel, ein sehr häufiger, in der Finanzmarktforschung vielfach dokumentierter Fehler. Der Begriff geht zurück auf ein Papier der Finanzforscher Hersh Shefrin und Meir Statman. Sie zeigten erstmals 1985, dass Investoren eher Gewinner-Aktien früh verkaufen und Verlierer lange halten. In der Folge schneiden sie schlechter ab als der Markt - und zahlen mehr Steuern, als sie müssten. Halten oder verkaufen: Das ist die große Frage für VW-Anleger. Eine absolut richtige Antwort gibt es noch nicht. Denn jede Erwartung über die künftige Kursentwicklung steht im Wettbewerb mit dem Zufall.

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