Angst um den Euro:Die Inflation kommt. Die Inflation kommt nicht.

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Was gilt? Zeigt sich die Geldentwertung bereits an den Märkten? Oder gibt es ohne Boom überhaupt keine Inflation?

S. Boehringer und C. Hoffmann

Kommt jetzt die Inflation? - Ja.

Zu viel Geld trifft zu wenig Wirtschaftswachstum: Die Europäische Zentralbank druckt Geld, ohne dass dahinter eine entsprechende Wirtschaftsleistung steht. (Foto: Foto: dpa)

Von Simone Boehringer

Jetzt also doch: Die Europäische Zentralbank kauft Staatsanleihen auf. Sie druckt damit de facto in großem Stil Geld, ohne dass dahinter eine entsprechende Wirtschaftsleistung steht. Lange hat sich EZB-Chef Jean-Claude Trichet gegen diesen Dammbruch gewehrt.

Doch die drohende Spekulationswelle gegen weitere klamme Euroländer an den Kapitalmärkten ließ den Währungshütern offenbar ad hoc kaum eine andere Wahl. Ob es sich bei den am Montag angekündigten Rettungspaketen von Europäischer Union, Internationalem Währungsfonds und eben auch den Aufkaufprogrammen der EZB letztlich um 600, 750 Milliarden oder gar in der Summe einer Billion Euro handeln wird, ist egal.

Die Politik des superleichten Geldes wird auf kurz oder lang zu einem Wertverfall des Euro führen. Denn eine Inflation kommt, wenn zu viel Geld auf zu wenig Wirtschaftswachstum trifft.

Jeder neue Kredit wirkt wie zusätzliches Geld, solange damit nicht nur alte Schulden abgelöst werden. Und jeder Prozentpunkt, den das Wachstum hinter dieser Geldmengenentwicklung zurückbleibt, entwertet eine Währung tendenziell.

Zu sehen sein wird die künftige Inflation schleichend, und nicht unbedingt dort, wo die Bürger sie gemeinhin erwarten. Zugegeben, die Verbraucherpreise, die von Regierungen gerne als Synonym für die Messung der Geldwertstabilität zitiert werden, bewegen sich bislang nur im Schneckentempo nach oben.

Vor allem Energie kostet immer mehr, manche Lebensmittel sind dagegen billiger geworden. Die Preissteigerungen von ein bis 1,5 Prozent im April waren vor allem dem bis dato relativ starken Euro zu verdanken, der die Teuerung von Benzin und Heizöl für die Europäer lange abgedämpft hat.

Doch bei Euro-Kursen von unter 1,30 Dollar hört dieser Komfort auf. Vor allem Rohstoffe, die sich die Europäer auf dem Weltmarkt kaufen müssen, haben sich seit Jahresbeginn um bis zu einem Viertel verteuert. Doch Inflation macht sich nicht nur im Geldbeutel der Verbraucher und an den Rohstoffmärkten bemerkbar.

Spätestens seit der New-Economy-Blase 2000 an den Aktienbörsen und seit der jüngst geplatzten Immobilienblase in den Vereinigten Staaten ist klar, dass überschüssiges Geld auch an den Wertpapiermärkten zu Übertreibungen in der Preisfindung führen kann.

Die Ursache ist immer dieselbe: Niedrige (Leit-)Zinsen sorgen für (zu) billiges Geld, das immer in die vermeintlich lukrativste Anlageform strömt. Zum Beispiel flossen in den USA zuletzt mehr als 400 Milliarden Dollar an Sparergeldern in US-Rentenfonds, 40-mal so viel wie in den Aktienmarkt.

Der viel beachtete Anleihenexperte Bill Gross hat vor wenigen Wochen das Ende der Bondrally ausgerufen. Hauptbegründung: Zu viele Staaten bringen zu viele Anleihen auf den Markt. Diese Inflation der Schulden drückt die Kurse. Mit der Verabschiedung des Riesen-Rettungspakets für klamme Euro-Staaten fließen die Investment-Milliarden nun vorerst wieder in Aktien in der Hoffnung, dass möglichst viele solide Unternehmen die Krise gut überstehen und ordentliche Dividenden zahlen.

Aber auch dieser Trend ist endlich, spätestens wenn die Bewertungen der Firmen sich zu weit von ihrem langjährigen Durchschnitt entfernt haben und sich dann wie schon 2000 die Erkenntnis durchsetzt, dass sie im Verhältnis zu ihren Ertragsmöglichkeiten zu teuer geworden sind.

Am besten aber ist der Werteverfall einer Währung im Vergleich zur Mutter allen Geldes zu sehen, dem Gold. So klettert der Preis für die Feinunze (31,1 Gramm) des Edelmetalls seit der Zuspitzung der Schuldenkrise in Euro gerechnet von Rekord zu Rekord. Auch in Dollar ist der Goldpreis, an den die Weltleitwährung ja bis vor 40 Jahren fest gebunden war, in die Nähe seines Allzeithochs gestiegen.

Anders herum wird es noch deutlicher: Bis 1971 gab es für eine Unze Feingold 35 Dollar. Seitdem sind Zentralbanken für das Vertrauen ins Geld zuständig, und klamme Staaten haben sie dazu gebracht, von all ihren Regeln für stabiles Geld abzuweichen. Am Montag kostete die Feinunze Gold das 34-Fache von damals: 1200 Dollar.

Kommt jetzt die Inflation? - Nein.

Von Catherine Hoffmann

Die Geschichte des Geldes ist auch eine Geschichte des Ringens um seinen Wert. Eine Währung soll stabil und sicher sein, sonst ist sie zum Scheitern verurteilt. Früher streckten klamme Herrscher einfach den Gold- und Silberanteil ihrer Münzen, wenn sie in Geldnot steckten.

Heute haben wir Papiergeld und müssen nur die Druckmaschinen anwerfen, damit sich das Geld vermehrt. Die Versuchung des politischen Missbrauchs ist deshalb groß. Während weiter Teile des 20. Jahrhunderts erlebten die Menschen unkontrollierte Inflation, weil die Regierungen zu viel Geld drucken ließen.

Ist es nun wieder so weit? Noch nie wurden so viele Milliarden Dollar und Euro von so vielen Staaten und Zentralbanken lockergemacht wie seit Beginn der Finanzkrise, als Banken reihenweise zu kippen drohten. Jetzt also wählt auch die Europäische Zentralbank den Weg, den die amerikanische und britische Notenbank längst eingeschlagen haben: Sie kauft Staatsanleihen, versorgt die Kreditinstitute mit noch mehr Geld, lässt die Zinsen unten.

Jeder bekommt, so viel er braucht. Es ist atemberaubend. Eine Inflation droht deshalb aber noch lange nicht, auch wenn man das vielerorts fürchtet - übrigens seit Jahren schon. Besonders in Deutschland, das im Jahr 1923 unter einer Hyperinflation litt, herrscht die weit verbreitete Angst, dass die Menschen ihre Ersparnisse verlieren und erneut bei null anfangen müssten.

Doch die Angst ist unbegründet. Für Geldwert vernichtende Inflation gibt es trotz Niedrigzinspolitik, üppiger Liquiditätsversorgung der Banken und des Ankaufs von Staatsanleihen durch die Notenbanken keine Anzeichen, ganz im Gegenteil. Die Inflationsraten sind niedrig, in Europa wie den USA - trotz der laufenden Druckerpresse. Und sie dürften es bis auf weiteres auch bleiben.

Denn die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise sind noch lange nicht überwunden. Die Konjunktur ist schwach. Das bisschen Leben, das sie zeigt, ist vor allem den staatlichen Rettungsprogrammen zu verdanken. Lässt man den Staat aber einmal außen vor, ist die Nachfrage noch immer kümmerlich.

Die Kunden kaufen nur zögernd, viele fürchten Entlassungen und Lohnkürzungen. Wer Geld hat, legt es lieber aufs Bankkonto, statt es auszugeben. Und auch die Regierungen wissen: Sie müssen künftig sparen, sparen, sparen, um die wuchernden Staatsschulden in den Griff zu bekommen.

Erinnert sich noch jemand an die frühen achtziger Jahre? Die neue Bundesregierung baute energisch die Staatsschulden ab, wollte die öffentlichen Haushalte konsolidieren. Damals machte das Wort vom "Kaputtsparen" die Runde. Und Helmut Schmidt warnte vor einer Deflationspolitik.

Im Rückblick war die These von der drohenden Deflation, mit besorgter Mine vorgetragen, nicht mehr als ein propagandistischer Kniff gewesen. Heute ist der Schuldenabbau umso dringender. Nicht nur Griechen, Iren, Spanier und Portugiesen müssen ihre Ausgaben drosseln und Einschnitte ins soziale Netz vornehmen, auch Deutschland bleibt dies nicht erspart.

Spätestens im nächsten Jahr ist es so weit, wenn die Schuldenbremse greift. Das einzig plausible Inflationsszenario ist, dass die Zentralbanken es versäumen, im nächsten Boom die Zinsen zu erhöhen, Liquidiät aufzusaugen und jüngst erworbene Staatsanleihen abzustoßen. Aber dazu braucht es einen kräftigen Aufschwung, und der ist nicht in Sicht.

Realistischer ist es, in der Bundesrepublik und Europa ähnliche Verhältnisse zu befürchten wie in Japan. Dessen Volkswirtschaft dümpelt seit Jahrzehnten vor sich hin. Trotz verschwenderischer Geld- und Fiskalpolitik sind weder Boom noch Inflation in Sicht. Stattdessen türmen sich die Staatsschulden immer höher.

Und noch eine Parallele gibt es zwischen hier und dort: Die alternde Bevölkerung, die die Wirtschaft lähmt. Angesichts der gewaltigen Ausmaße der Krise bleibt da nur der lakonische Kommentar von Karl Valentin: "Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es schon ist!"

© SZ vom 11.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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