Anders Wohnen:Weniger ist mehr

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„Auf weniger Raum leben macht glücklich“, meint Buchautor Daniel Furhop.

(Foto: imago)

Der Architekturkritiker Daniel Fuhrhop räumt auf, im eigenen Zuhause und in unserem Denken. Aber ein bisschen anders, als man es von den Simplify-Ratgebern sonst so gewohnt ist.

Von Oliver Herwig

Wohnen ist in vielen deutschen Städten zum Problem geworden. Zu einem Luxusproblem. Das liegt am begrenzten und demzufolge teuren Grund, an niedrigen Zinsen und einer Politik, die sich zu lange am Markt orientierte statt ihre soziale Verantwortung ernst zu nehmen. So oder ähnlich lauten die gefühlten Wahrheiten, wenn man sich heute über das Leben in Berlin, Hamburg, München und Köln auslässt und feststellt, dass man nichts dagegen tut (tun kann). Mieten und Preise für Eigentumswohnungen steigen rasant. Beim Spitzenreiter München explodieren die Durchschnittspreise pro Quadratmeter innerhalb von nur fünf Jahren von 4619 auf 7484 Euro, zeigt eine aktuelle Auswertung von Statista, fast 40 Prozent Preisanstieg von 2012 bis 2017. Glücklich die, die ein bezahlbares Zuhause haben.

Dass die Menschen womöglich ein ganz anderes Luxusproblem haben, taucht immer wieder zwischen den Zeilen auf. Die Standards sind einfach verdammt hoch - ebenso wie die Ansprüche. Eine Fülle von Normen regelt so ziemlich alles rund ums Wohnen und lässt einfache, preiswerte, womöglich improvisierte Lösungen oft gar nicht mehr zu.

Parallel zu den Standards wuchsen auch die Erwartungen an den persönlichen Freiraum - ein schleichender Prozess wie Wohlstandsspeck, den man sich im Laufe des Lebens zulegt. So stieg die durchschnittliche Wohnfläche je Einwohner in Wohnungen in Deutschland von 1999 bis 2016 von 39 auf 46,5 Quadratmeter, informiert Statista 2018. Zum Vergleich: 1991 waren es gerade noch 34,9 Quadratmeter. Inzwischen konsumieren die Bürger Freiraum wie eine Ware. Wo in der Nachkriegszeit ganze Familien unterkamen, lebt heute ein(e) Einzelne(r). Völlig falsch wäre es, nun über das Ende der Großfamilie zu klagen oder die hohe Singlequote in Großstädten - gesellschaftliche Veränderungen haben ihre Gründe.

Weniger Zimmer für sich allein? Das heißt mehr Kontakt zu anderen Menschen

Ansetzten könnte man also bei der Einstellung gegenüber dem Wohnraum. Und das hat Daniel Fuhrhop mit seinem Buch "Einfach anders wohnen" getan, dessen Untertitel schon die Richtung vorgibt, mit der der Autor das Klischee des "Simplify your life" zurechtrückt. Fuhrhop verspricht "66 Raumwunder für ein entspanntes Zuhause, lebendige Nachbarschaft und grüne Städte."

Ratgeber zum Aufräumen gibt es genug. Lobeshymnen über das Leben mit wenig(er) Dingen, die einen folglich weniger stark belasten. Zudem Dutzende von Bücher, die das Leben im Kleinen optimieren helfen, vom Klappbett bis zur Wandelkommode. Daniel Fuhrhop hat mehr vor, beginnt aber ebenfalls im Kleinen, beim "Platz schaffen", das er mit wohlmeinenden Tipps - ausräumen, nur behalten, was einen glücklich macht, verschenken, damit andere auch etwas davon haben - mit eingestreuten Erfahrungsberichten und Checklisten versieht. So weit, so erwartbar - und seit Jahren im Trend. Das gipfelt in Binsenweisheiten wie "weniger besitzen, weniger putzen". Und in Highend-Möbeln, die etwa "alles übereinander im Küchenschrank" stapeln. Zum Glück geht Fuhrhop weiter.

Der nächste Schritt - Mikroapartments und Kleinsthäuser - bereitet auf kluge Umbauten vor, die tatsächlich Mehrraum schaffen und nicht nur vorhandenen Wohnraum luxussaniert für weniger Menschen anbieten. Der Autor bleibt grundoptimistisch und nennt beim Stichwort "Garage untervermieten" Erfolgsgeschichten von Apple bis The Who. So schwankt das Buch zwischen guten Tipps, Klischees und notwendigen Wahrheiten.

Wie die Menschen wohnen, sagt natürlich auch etwas darüber aus, wie sie zusammenleben wollen. Wie viel Kontakte sie suchen, wie viel Nähe sie zulassen. Und wie sie sich selbst positionieren in der Gesellschaft. Letztlich geht es Fuhrhop ums große Ganze. All die liebevoll zusammengetragenen Beispiele wirken wie eine süße Zuckerschicht, unter der eine (unliebsame) Wahrheit liegt - wir sollten zusammenrücken, teilen und uns so mehr Freiraum im Sinne geistiger Beweglichkeit erringen. Schon ganz zu Anfang propagiert er: "Auf weniger Raum leben macht glücklich." Oder: "Weniger Zimmer für sich allein bedeutet mehr Kontakt zu Menschen, mit denen Sie Räume teilen. In klassischen Familien und in Wahlverwandtschaften lässt sich heute einfach anders wohnen." Das ist natürlich absolut richtig und nachvollziehbar.

Auch wenn manche Auslassungen über die Chancen etwa von Couchsurfing etwas bemüht klingen - "das kann auch mal schiefgehen; lesen Sie darum auf den Plattformen die Erfahrungen anderer mit den jeweiligen Besuchern" -, hat der Autor recht. Zusammenleben ist eine Chance, selbst zu wachsen. Aber nicht jeder will und muss zurück in die WG. Es geht nur darum, die persönliche Komfortzone zu verlassen und wieder etwas zu versuchen, sofern man nicht selbst auf der anderen Seite steht und auf Hilfe angewiesen ist. Fuhrhops Weg vom gedanklichen Frühjahrsputz bis zum Zusammenleben im Viertel und in der Stadt ist daher ein Ideengeber - grundoptimistisch und angenehm überrumpelnd.

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