Altersvorsorge:Manchmal sind die Deutschen richtig schnell

Ein Vergleich der Rentenprobleme in der Bundesrepublik und in Großbritannien bringt überraschende Erkenntnisse.

Andreas Hoffmann

Es gibt vermutlich nicht viele Menschen, die mit einem Vortrag zur Rente Heiterkeit auslösen. Aber wenn John Hills über das britische System redet, schafft er es, ein Lächeln auf die Lippen der Leute zu zaubern.

Altersvorsorge: Die Rentensysteme beider Staaten weisen zahlreiche Unterschiede auf.

Die Rentensysteme beider Staaten weisen zahlreiche Unterschiede auf.

(Foto: Foto: dpa)

Er sagt zum Beispiel: "Unser System versteht eigentlich niemand. Und wer glaubt, es zu verstehen, der irrt sich gewaltig." Hills kennt sich aus, er ist Professor an der London School of Economics und gilt in Großbritannien als Papst des Sozialstaats, auch weil er in einer Kommission sitzt, die für Premierminister Tony Blair Reformen entwickelte.

An diesem grauen Novemberabend steht Hills vor einer Wand in Berlin im ersten Stock des British Council, erklärt Statistiken und Schaubilder. Er ist ein großgewachsener Mann mit Seitenscheitel und trägt ein blaues Hemd unter dem Sakko.

Zwei unterschiedliche Systeme

Ein Laptop summt und wirft ständig neue Schaubilder an die Wand. Die Deutsch-Britische Stiftung hat ihn eingeladen, zusammen mit dem deutschen Wissenschaftler Axel Börsch-Supan von der Uni Mannheim soll er die Rentensysteme der Länder vergleichen.

Wer Hills' Erzählungen von der Insel lauscht, hält die Renten-Apokalypse, die manche Zeitungen und Forscher hierzulande ausrufen, vielleicht für etwas übertrieben. Die Briten stehen vor ähnlichen Problemen wie wir. Die Leute leben länger, es gibt mehr Alte, weniger Junge, und der Staat kann die entstehenden Finanznöte kaum lindern. Soweit das Gemeinsame. Aber manches trennt die Länder auch.

"Wir sind, was den Lebensstandard im Alter angeht, nahezu das Schlusslicht in Europa", sagt Hills. Nach einzelnen Statistiken leben in Großbritannien mehr als dreimal so viele Rentner in Armut als hierzulande.

In Deutschland basiert die Rente auf den eingezahlten Beiträgen; wer viel einzahlt, bekommt später eine höhere Rente - auch wenn sie künftig niedriger ausfällt als heute. Im Vereinigten Königreich dagegen erhält der Ruheständler in der Regel nur eine Grundrente, die bei 500 Euro im Monat liegt. Außerdem prüfen die Behörden genau, ob jemand bedürftig ist. Wer im Alter besser leben will, muss selbst vorsorgen.

Briten sparen wenig

Die Vorfahrt der Privatvorsorge führt zu Problemen, weil die Briten das Sparen vernachlässigen. Mancher stoppt die Zahlungen, wenn das Geld knapp ist, Kinder kommen oder er arbeitslos wird. Viele Briten litten auch am Niedergang der Börse, fielen auf falsche Versprechen der Versicherer oder betrügerische Machenschaften ihrer Firma mit ihrer Pensionskasse herein.

Hills und seine Kommissionskollegen bilanzierten vor einiger Zeit, dass den Briten in 20 bis 30 Jahren eine jährliche Rentenlücke von 80 Milliarden Euro drohen könnte. Millionen Menschen müssten von der Sozialhilfe leben - oder der Staat muss seine Ausgaben verdoppeln.

Als Ausweg entwickelten die Experten mehrere Ideen. So soll die staatliche Rente mittelfristig stärker steigen, und die Briten sollen länger arbeiten. Das Rentenalter soll auf 68 Jahre bis 2044 klettern, und die Briten sollen mehr sparen.

Manchmal sind die Deutschen richtig schnell

Für Beschäftigte werden automatisch Sparverträge geschlossen, aus denen man aber austreten kann. Wer mitmacht, legt vier Prozent seines Einkommens zurück, der Staat hilft mit einem Prozent, und die Firmen legen weitere drei Prozent drauf.

Trotz der Nachteile haben die Briten auch Vorteile im Kampf gegen die alternde Gesellschaft. So arbeiten die Menschen länger als hierzulande. Der Durchschnittsbrite wechselt mit 63 Jahren in den Ruhestand, der Deutsche mit 61 Jahren. Das liegt nicht nur an den niedrigen Renten, sondern auch am Arbeitsmarkt.

Kürzere Lebensdauer

Ältere finden wegen der weiterhin guten Konjunktur leicht einen Job. Es wandern mehr Menschen ein, britische Frauen gebären mehr Kinder als deutsche, und der Staat zahlt nur 60 Prozent dessen, was der deutsche zahlt. Der Grund: Die Rente in Großbritannien ist niedriger, und die Briten leben im Durchschnitt kürzer.

Wer hat nun das bessere Rentensystem? John Hills zuckt mit den Achseln. Das könne man nicht wissen, sagt er und verweist auf die Unterschiede. In einem Staatssystem tragen die Steuerzahler das Risiko der alternden Gesellschaft, weil sie dessen Ausgaben finanzieren.

In einem Privatsystem übernehmen dies Aktienbesitzer und Unternehmen, weil sie die Kosten für die Renten tragen. Um die Lasten zu mindern, sei ein Mix am besten. Doch das reicht nicht. Hills: "Das ideale System muss anpassungsfähig sein, weil wir die Zukunft nicht kennen."

Axel Börsch-Supan ergänzt: "Wir müssen auch Experimente wagen, etwa bei der Privatvorsorge, weil wir nicht genau wissen, wie manches in der Praxis funktioniert." Damit könnten sich Sozialpolitiker schlecht anfreunden.

Flexibles deutsches System

Eines zeigt der Vergleich der Systeme aber doch. Das geschmähte deutsche Sozialsystem ist recht flexibel. Die Briten brauchten drei Jahre, um Ideen zu entwickeln, die nun langsam in Gesetze umgewandelt werden.

Von den Plänen der vergleichbaren Rürup-Kommission sind viele schon in Kraft. Sieben Millionen Menschen haben die Riester-Rente abgeschlossen, und die Rente mit 67 steht bald im Gesetzblatt. Dazu Hills: "Die Deutschen sind manchmal schnell."

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