Alan Greenspan:"Ich habe furchtbar viele Fehler gemacht"

Der ehemalige Präsident der US-Notenbank Fed, Alan Greenspan, räumt mit 85 Jahren seine Mitschuld an der Finanzkrise ein. Natürlich auf seine Art.

Markus Zydra

Es war der vielleicht wichtigste Satz in seinem Leben. "Ich habe furchtbar viele Fehler gemacht", sagte Alan Greenspan 2010 vor einem Kongressausschuss zur Finanzkrise. Nun wird der langjährige Präsident der amerikanischen Notenbank Fed an diesem Sonntag 85 Jahre alt, und im hohen Alter haben viele Menschen den Drang, rückblickend Versäumnisse einzuräumen.

Alan Greenspan listens to opening statements as he testifies before the Financial Crisis Inquiry Commission hearing on Capitol Hill in Washington

"70 Prozent meiner Entscheidungen waren richtig, die restlichen 30 Prozent haben zu der Finanzkrise beigetragen."

(Foto: REUTERS)

Bei Greenspan ist das Eingeständnis dennoch bemerkenswert, man kann es als eine Art Vermächtnis an all diejenigen begreifen, die ihm viele Jahre lang an den Lippen hingen und blind vertrauten: Denn Greenspan galt als Mann, der keine Fehler macht. Und das bedeutete damals: überhaupt keine.

Wer sich die Mühe macht, das Pressearchiv zu durchstöbern, findet ellenlange Elogen auf diesen kauzig wirkenden Notenbankpräsident, die nur einen Schluss nahelegten: Mit diesem Mann am Dollar-Automaten gesundet die Welt. Nun denn, wir wissen, dass es anders kam und Greenspan, der einstige "Magier", sagte "mea culpa", so etwas in der Art zumindest. Denn Eindeutigkeit ist seine Stärke nie gewesen, darum schränkte er ein: "70 Prozent meiner Entscheidungen waren richtig, die restlichen 30 Prozent haben zu der Finanzkrise beigetragen."

Schleusen weit geöffnet

Greenspan hat in seiner Amtszeit von 1987 bis 2006 die Zinsen mal erhöht und mal gesenkt. In den entscheidenden Phasen allerdings hat er die Geldschleusen weit geöffnet. Als die amerikanische Börse im Oktober 1987 an einem Tag 20 Prozent fiel, da versorgte er die Märkte ausreichend mit Geld, um eine Rezession zu verhindern. Die Fed ermutigte die Banken damals auch, die nicht solventen Firmen weiter zu stützen. Anders als etwa die Deutsche Bundesbank und später die Europäische Zentralbank, will die Fed nicht nur den Geldwert stabil halten, sondern auch die Wirtschaft stützen.

Ab Mitte der neunziger Jahre hat Greenspan die Welt meist mit billigen US-Dollar beglückt, und im Zuge der langen Niedrigzinspolitik schien ihm etwas zu gelingen, was eigentlich nicht gelingen kann: Endloses Wirtschaftswachstum, ganz ohne Inflation. Greenspan setzte den Wirtschaftszyklus von Aufschwung und Rezession außer Kraft. In Amerika war fast immer Aufschwung, das führte aber dazu, dass sich manche Firmen am Markt halten konnten, die eigentlich nicht wettbewerbsfähig waren. Das billige Geld ermöglichte jedwede Refinanzierung - oder Überschuldung.

Die niedrigen Zinsen führten auch dazu, dass Kapital an die Finanzmärkte floss. Dort lockten schnelle Renditen, viel schneller zumindest als in der Realwirtschaft, wo der Aufbau eines erfolgreichen Unternehmens viel Geduld erfordert. Die Inflation verschob sich an die Finanzmärkte, wo die Preise exorbitant anstiegen. Die Geldentwertung in der realen Wirtschaft blieb über die Jahre immer gering. Das lag auch daran, dass der smarte Notenbanker die Warenkörbe immer neu definiert hat - Produkte mit starken Preisschwankungen flogen raus. Das wussten alle, doch kaum jemand störte sich daran. Es waren eben neue Zeiten mit neuen Regeln.

Außerdem galten die niedrigen Inflationsraten als Argument für anhaltend niedrige Zinsen. Das hat aber die amerikanische Schuldenorgie stimuliert. Privathaushalte konnten sich ein Haus kaufen, Unternehmen ihre Expansion finanzieren und der Staat Wahlgeschenke verteilen. Wenn Geld nichts kostet, dann wird es mit großen Händen verteilt.

Greenspan hat den amerikanischen Banken immer signalisiert: "Im Ernstfall rette ich euch". Dieses unausgesprochene Versprechen wurde als "Greenspan-Put" bezeichnet. Der Put ist eine Verkaufsoption - die US-Banken hatten immer die Option, ihre Probleme an die amerikanische Notenbank abzugeben.

Moralische Verführung

Die Institute konnten daher hemmungslos zocken, es war der Beginn des Moral Hazard, der moralischen Verführung: Warum sollten Banken vernünftig agieren, wenn sie nichts zu verlieren haben? Die Fed wird es ja schon richten. Diese Regel galt bis zum 15.September 2008. Greenspan war schon in Pension, da ging die amerikanische Investmentbank Lehman Brothers Pleite. Greenspans Nachfolger Ben Bernanke setzte daraufhin Greenspans Politik fort und rettete die wichtigsten Banken, indem er Geld druckte. Doch die Zeiten haben sich geändert, Bernanke gilt nicht mehr als Magier, die Kritik an seiner lockeren Geldpolitik wächst.

Alan Greenspan wurde am 6.März 1926 in New York geboren. Der deutschstämmige Vater Herbert Greenspan war Börsenmakler und Kantor an einer Synagoge. 1983 kam Greenspan als Nachfolger für Notenbankpräsident Paul Volcker ins Gespräch. Dieser war mehrfach mit der Regierung in Konflikt geraten, da er der Inflationsbekämpfung unbedingte Priorität einräumte. Der damalige Präsident Ronald Reagan nominierte Volcker schließlich für eine zweite vierjährige Amtszeit. Volcker hatte den Dollar seit 1979 durch eine Geldmengenbegrenzung stabilisiert - ab 1987 ging Greenspan ans Werk, die Geldmenge wieder zu erhöhen.

Mag sein, dass Notenbanker einen für die Öffentlichkeit schwer vermittelbaren Job haben, Greenspan aber schaffte es über die Jahre, Humor in die Geldpolitik zu bringen, was ihm Kultstatus einbrachte. Der Mann mit dem treuherzigen Blick konnte nämlich Sätze bilden, die einen Anfang hatten, ja, aber dann kein Ende fanden. Zum einen waren sie lang und verschachtelt, aber selbst dann, als Greenspan einen Punkt setzte, hallten seine Worte nach.

Es begann dann nämlich die große Exegese, weil selbst die besten Ökonomen dieser Welt nach Abschluss von Greenspans Vorträgen rätselten, was dieser überaus weise und kluge Mann soeben gesagt hatte. Er war eben nicht nur Magier, sondern auch Orakel und damit eine Art Geschichtenerzähler. Einmal bekannte er selbstironisch, er habe zu Beginn seiner Amtszeit noch Sorge gehabt, er könne sich allzu klar ausdrücken.

Greenspan bezahlte den Preis seiner Macht. Jedes Wort aus seinem Mund konnte die Börsen in den Abgrund stürzen. Im Jahr 1996 warnte er vor "irrationalem Überschwang" an den Aktienmärkten - die Preise fielen sofort um einige Prozent. Greenspan durfte nicht mehr sagen, was er denkt, nicht mal, was er fühlt. Einmal wurde er gefragt wie es ihm gehe. Greenspan sagte verschmitzt: "Das darf ich ihnen nicht sagen."

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