Aktien: Es geht nicht ohne:Den Mutigen gehört das Geld

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Anleger bekommen Gänsehaut, wenn sie auf die Börse schauen. Sie sollten ihre Furcht überwinden - Geschäfte mit Wertpapieren lohnen sich.

Catherine Hoffmann

Reich durch Aktien. Das ist der Traum, den in den neunziger Jahren viele Deutsche geträumt haben. Zwei Börsencrashs und ein Jahrzehnt später glaubt kaum noch jemand daran. Der Aktienkult ist erloschen - und das ist gut und schlecht zugleich.

Bloß keine Scheu vor Aktien: Der Zickzack-Kurs der Wertpapiere liegt in ihrem Wesen. (Foto: ag.ap)

Gut, weil nicht mehr hungrige Käufer die Kurse in stratosphärische Höhen schießen. Schlecht, weil nun vielen Anlegern ein wichtiger Baustein ihrer Geldanlage fehlt: die Aktien. Für eine solche unternehmerische Beteiligung braucht es Überzeugung und Geduld.

"Die Aktie hat einen Feind: die tägliche Kursnotiz, denn diese schwankt", sagt der Kölner Vermögensverwalter Bert Flossbach. "Deshalb gelten Dividendenpapiere als risikoreich." Ein offener Immobilienfonds oder eine Anlage beim Milliardenbetrüger Madoff wurden dagegen lange als sicher abgestempelt, eben weil ihr Wert unerschütterlich und stabil zu sein schien - bis die Finanzkrise den Irrtum auffliegen ließ.

Abzocker erschrecken Anleger

Die Manager etlicher Immobilienfonds und der Abzocker Madoff haben ihren Kunden Sand in die Augen gestreut. Da sich die Preise ihrer Fonds vor der Krise kaum bewegten, galten sie als sicher.

Die Aktie dagegen wird als riskant eingeschätzt, weil es zu ihrem Wesen gehört, dass der Kurs im Zickzack läuft. Ihre täglichen Preissprünge irritieren so manchen Anleger, der sich mehr an der Börsennotiz denn am Geschäft eines Unternehmens orientierte.

Besonders heftig schlug der V-Dax, der die erwarteten Preisschwankungen der deutschen Aktien misst, Mitte September 2008 aus, als die US-Investmentbank Lehman Brothers pleite ging und die Aktienkurse in den Keller rauschten. Nur die Mutigen haben damals Aktien gekauft, als das Angstbarometer Spitzenwerte erreichte. Es war eine richtige Entscheidung, die allerdings immer wieder auf die Probe gestellt wurde.

Alarmstimmung an den Börsen

Im Laufe der Finanzkrise haben sich die Schulden vom amerikanischen Konsumenten und Hausbesitzer mit der gewaltigen Hypothek zu den Banken durchgefressen, die dicke im Geschäft mit verbrieften Darlehen steckten. Inzwischen sind die Schulden beim Staat angelangt, der sich mit allerhand Notprogrammen verausgabte. Eine Zeit lang hat das Leben auf Pump niemanden beunruhigt, obwohl die Industrieländer schon weit vor der Finanzkrise damit begannen.

"In den vergangenen 25 Jahren sind Staatsanleihen das Maß aller Dinge gewesen, ihr Ausfallrisiko lag nahe null", sagt Frank Naab, Leiter Portfoliomanagement bei Metzler Private Banking. Doch seit das griechische Drama die Anleger in seinen Bann gezogen hat, herrscht Alarmstimmung an den Börsen. "Nunmehr muss man auch damit rechnen, dass sogar Anleihen von Euro-Staaten nicht pünktlich oder vollständig bedient werden könnten", glaubt Naab.

Es muss ja nicht gleich eine Pleite sein. Für die Besitzer von Anleihen ist es schon unangenehm, dass der Anstieg der Staatsverschuldung für die Zukunft Inflationsgefahren birgt. Doch hieraus können sich auch Chancen ergeben: Während ein Anstieg der Teuerungsrate auf fünf Prozent zu großen Verlusten am Rentenmarkt führen würde, wirken sich moderat steigende Preise in der Regel positiv auf den Aktienmarkt aus.

Leider sind die Depots von Privatleuten, Versicherungen, Pensionsfonds vollgepackt mit Anleihen. Anlagestratege Naab hält das für einen Fehler: "Große Teile des Vermögens stecken in Nominalvermögen. Anleihen sind aber lediglich Zahlungsversprechen, die zumeist ohne zusätzliche Sicherheiten ausgestattet sind - und Versprechen können gebrochen werden." Der Experte hält die einseitige Ausrichtung der Depots für "hochriskant" und empfiehlt, verstärkt auf Substanzvermögen zu setzen. Dort sind die Anleger nicht Gläubiger, sondern Inhaber - einer Immobilie, Beteiligung oder eben von Aktien.

"Sie sind mit Wohl und Wehe Eigentümer eines Vermögensgegenstandes", sagt Naab. "Das macht die Attraktivität von Aktien aus." Wenn sich der Wert des Vermögensgegenstandes Aktie erhöht, haben die Aktionäre als Eigentümer daran teil. Das Nominalvermögen von Anleihen wird dagegen durch eine Inflation aufgezehrt. Während der Nennwert einer Anleihe stets gleichbleibt, wächst der Wert eines Unternehmens mit der Inflation. Das also ist das eine gute Argument für Aktien: Sie sind Substanzwerte.

Hinzu kommt, dass Anteilsscheine an Unternehmen gerade vernünftig bewertet sind. Ein Indiz dafür, dass der Wert von Aktien unterschätzt wird, ist die Aktienrendite. Dafür gibt es verschiedene Berechnungsmethoden, eine einfache baut auf dem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) auf. Börsianer lieben diese Kennzahl, die den Kurs eines Unternehmens in Relation zum Gewinn setzt, den diese Firma im Jahr je Aktie macht. Für alle 30 Dax-Werte beträgt das KGV 9,8, wenn die für 2011 erwarteten Gewinne herangezogen werden - nicht viel im historischen Vergleich.

Weniger Rendite bei Bundesanleihen

Die Aktienrendite des deutschen Leitindex beträgt damit 10,2 (100/KGV). Je höher diese Prämie ist, desto lohnender sind Aktien im Vergleich zu Anleihen. Da zehnjährige Bundesanleihen gerade mal 2,6 Prozent Rendite bringen, gelten Aktien als attraktiv. Sie haben eine Risikoprämie von 7,6 Prozent. Obendrein bekommen Anleger noch eine hübsche Dividendenrendite zwischen drei und vier Prozent - mit erstklassigen Aktien wohlgemerkt, ohne gezielt die Dividendenkönige herauszupicken.

Auch das gilt es zu beherzigen: Aktie ist nicht gleich Aktie. "Wenn die Inflation kommt - und ich rechne fest damit, dass sich die Staaten entschulden, indem sie die Geldmenge aufblasen, dann brauchen Anleger Aktien, die wirklich Sachwerte sind", sagt Vermögensverwalter Flossbach. Also: Keine hoch verschuldeten Firmen, keine Betriebe, die extrem empfindlich auf Konjunkturabschwünge reagieren, vor allem aber: keine Banken, da niemand weiß, wie hoch ihr Abschreibungsbedarf am Ende sein wird und wie streng die neuen Eigenkapital-Regeln ausfallen werden.

Was Substanz hat, zeigt ein Blick auf die Gewinner und Verlierer am europäischen Aktienmarkt. Unter Sicherheits- und Ertragsaspekten schätzen Anleger Rohstofffirmen wie BHP Billiton oder Rio Tinto, die Aktionären trotz Finanzkrise seit Anfang 2007 üppige Gewinne von rund 80 und 40 Prozent brachten. Ebenfalls deutlich im Plus notieren in diesem Zeitraum auch Konsumgüterhersteller wie Unilever und Nestlé.

Substanz und Bewertung müssen stimmen

Interessant ist auch ein Blick auf die Renditen von Unternehmensanleihen, denn die stehen mitunter sehr tief. Das bedeutet, dass einige Aktiengesellschaften für sichererer gehalten werden als die Staaten, in denen sie sitzen: das spanische Telekomunternehmen Telefónica etwa, der italienische Energiekonzern Eni oder die Coca-Cola Hellenic Bottling Company, der weltweit zweitgrößte Abfüller des US-Getränkekonzerns.

Stark sind in Deutschland auch einige Maschinenbauer, Chemiekonzerne und Hersteller von Investitionsgütern, die viel in die boomenden Regionen der Welt verkaufen. So blicken Anleger, die BASF, Bayer oder Linde seit Beginn der Finanzkrise im Depot haben, auf Gewinne; auch eine Siemens-Aktie hat sich gut gehalten. "Aktien sind die attraktivste aller Anlageklassen, wenn Substanz und Bewertung stimmen", glaubt deshalb Finanzprofi Flossbach. Ein Risiko bleibt allerdings: Dass die Preise auch mal fallen können, wenn es zu Turbulenzen kommt.

"Zur Wahrscheinlichkeit gehört auch, dass das Unwahrscheinliche eintritt", wusste schon der griechische Philosoph Aristoteles. Wenn ein Euroland bankrott ginge oder die Wirtschaft abermals in eine Rezession abrutschte, wären die Gewinne der Unternehmen in Gefahr, die Aktienkurse brächen ein. Nun muss es nicht gleich zum Schlimmsten kommen, aber vieles bleibt unsicher. Das zeigt auch der jüngste Schlingerkurs an der Börse. Möglicherweise wird der Konjunkturhimmel nicht so blau bleiben wie der Sommerhimmel über Deutschland.

Deshalb investieren schlaue Anleger das Geld, das für Aktieninvestments bestimmt ist, nicht auf einen Schlag an der Börse, sondern nach und nach. "Ich würde jetzt ein Drittel anlegen; ein Drittel, wenn gute Unternehmensergebnisse für das zweite Quartal kommen; und das letzte Drittel, wenn sich deutlicher abzeichnet, wie künftig die Finanzmärkte reguliert werden. Klarheit könnte das nächste G-20-Treffen im November verschaffen", sagt Portfolioexperte Naab. "Wer noch keinen Fuß in der Tür hat, sollte auf jeden Fall Aktien kaufen."

© SZ vom 08.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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