Aktien:An der Wand statt im Depot

Früher üblich, heute selten: Aktien in Papierform - und wenn, dann sind die Stücke teuer.

Alexander Mühlauer

Es gab eine Zeit in Deutschland, da war es ziemlich cool, Aktionär zu sein: Als der deutsche Aktienindex Dax Ende der neunziger Jahre fast täglich neue Rekorde erreichte. Als Schauspieler Manfred Krug für die Aktie der Deutschen Telekom im Fernsehen warb. Als EM.TV-Gründer Florian Haffa mit verspiegelter Sonnenbrille am Yachthafen von Cannes allen Daheimgebliebenen demonstrierte, was man mit einer Start-up-AG aus Unterföhring ganz schnell und ganz einfach erreichen kann. Und als die Bild-Zeitung für den Neuen Markt, die mittlerweile eingestellte Börse für Wachstumswerte, trommelte und titelte: "Reich mit Aktien."

Von einer solchen Aktieneuphorie kann heute keine Rede mehr sein. Die Zahl der Aktionäre hierzulande ist seitdem um mehr als zwei Millionen geschrumpft, und im Vergleich zu den Bewohnern anderer Staaten sind die Deutschen Aktienmuffel.

Etwas fürs Auge sind Wertpapiere ohnehin schon lange nicht mehr. Nur noch wenige deutsche Unternehmen geben gültige Aktien aus Papier, sogenannte effektive Stücke, aus. Mancher Privatanleger hatte in früheren Zeiten auf diese Weise seine Zuneigung zu Wertpapieren entdeckt. Eine gerahmte Porsche-Aktie in der Heimwerkstatt, eine von der Allianz überm Herd - das gibt es so gut wie nicht mehr. Bis 1994 bestand noch ein rechtlicher Anspruch auf Aktien aus Papier. Ein Aktionär, der das Papier im Depot hatte, konnte bei seiner Bank das effektive Stück verlangen. Heute dürfen Firmen das Recht auf Einzelverbriefung ausschließen.

Von diesem Recht machen fast alle börsennotierten Gesellschaften Gebrauch, weil die Herstellung effektiver Stücke einiges Geld kostet. Wer an einer gültigen Urkunde interessiert ist, kann in der Satzung der Gesellschaft einsehen, ob ein Ausliefern des Papiers möglich ist. Bei der Hypo-Vereinsbank heißt es zum Beispiel: "Die Gesellschaft ist ermächtigt, Sammelurkunden auszustellen. Insoweit ist der Anspruch auf Einzelverbriefung der Aktien ausgeschlossen.''

Das heißt aber nicht, dass man gar keine effektiven Stücke mehr bekommt. Es gibt immer noch gültige Urkunden, die bei Clearstream, dem zentralen Abwickler von Wertpapiergeschäften, lagern. Aktionäre können dort effektive Stücke erwerben. Sehr beliebt ist zum Beispiel die Daimler-Aktie. Auf Wunsch gibt der Stuttgarter Autobauer effektive Stücke aus. Wer das will, sollte sich aber nicht an die Aktiengesellschaft direkt wenden. Die winkt meist ab, weil sie mit Sammleranfragen überschüttet wird oder weil sie nicht weiß, ob noch effektive Stücke bei Clearstream auf Lager sind. Von Firmen wie Berentzen oder Kunert sind beispielsweise nur noch wenige Papiere im Umlauf.

An der Wand statt im Depot

Wer effektive Stücke der eigenen Aktien sucht, geht am besten zu seiner Depotbank. Diese fragt dann bei Clearstream nach. Lagern hier von der jeweiligen Firma nicht nur Sammelurkunden, sondern effektive Stücke, liefert Clearstream sie aus. Das geht aber nur, solange der Vorrat reicht. Wer Daimler-Aktien haben will, hat gute Chancen, ein effektives Stück zu bekommen.

Allerdings hat man diese Möglichkeit bei Daimler nur zweimal im Jahr: jeweils am ersten Bankarbeitstag im Februar und Oktober. Man zahlt aber nicht nur den Kurswert der Papieraktie, sondern zusätzlich auch hohe Gebühren. Online-Broker kassieren oft bis zu 100 Euro, Großbanken und Sparkassen sind meist etwas günstiger. Hinzu kommen die Spesen von Clearstream. Man sollte sich also vorher erkundigen, wie viel das ersehnte Stück kostet.

Einige Gesellschaften haben effektive Stücke als Marketing-Gag entdeckt. Die Beate Uhse AG verkauft ihre Aktie im Online-Shop. Und die effektiven Stücke der Borussia Dortmund AG gibt es im Fanartikel-Laden. Einen Nachteil haben allerdings die schönen Papiere: Während andere Aktien elektronisch und damit sicher im Depot lagern, können sie verbrennen oder gestohlen werden.

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