Affäre um Dominique Strauss-Kahn:Kopflos in Washington

Auch wenn sich die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Dominique Strauss-Kahn als falsch erweisen: Die politische Karriere von DSK ist vorbei. Das ist schlecht für Frankreich, aber vor allem für den Internationalen Währungsfonds. Diese Affäre schwächt das gerade verbesserte Image der Organisation massiv - und die Europäer müssen sich darauf einstellen, deutlich an Einfluss zu verlieren.

Nikolaus Piper

Es kann immer noch sein, dass alles ganz anders war. Dass den New Yorker Polizisten ein furchtbarer Fehler unterlaufen ist, als sie den Direktor des Internationalen Währungsfonds aus seiner Air-France-Maschine holten. Es kann sein, dass Dominique Strauss-Kahn niemals versucht hat, ein Zimmermädchen zu vergewaltigen.

IMF Managing Director Dominique Strauss-Kahn leaves the New York Police Department Special Victims Unit headquarters in Harlem

Die politische Karriere von Dominique Strauss-Kahn dürfte vorbei sein - unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Vorwürfe.

(Foto: REUTERS)

All das ist möglich, die Unschuldsvermutung gilt für jeden. Aber für die politische Bewertung kann man dies schon ignorieren. Strauss-Kahns Karriere ist zu Ende.

Das ist schlecht für Frankreich, wo mit "DSK" der aussichtsreichste Kandidat für die Präsidentschaft ausfällt. Und es ist schlecht für den IWF, der in einer Phase historischer Entscheidungen plötzlich kopflos dasteht. Derzeit wird der Fonds gemäß den Statuten vom zweiten Mann, dem Amerikaner John Lipsky, geführt. Der ist zwar ein ausgezeichneter Ökonom, aber er hat nicht das politische Gewicht Strauss-Kahns. Außerdem gibt er selbst sein Amt am 1. August auf.

All dies könnte für den Fonds kaum zu einem ungünstigeren Zeitpunkt kommen. Der IWF ist heute so wichtig wie seit Jahrzehnten nicht mehr - vor allem dank Strauss-Kahn. In der Finanzkrise hat er als treibende Kraft und Meinungsführer der Krisenpolitik gewirkt. Er bewahrte mehrere europäische Länder vor dem Bankrott - von Island über Lettland und Ungarn bis zu Griechenland.

Die Maßnahmen sind umstritten: Den Betroffenen sind sie zu brutal, wie die Streiks in Griechenland zeigen. Viele Politiker in Asien und Lateinamerika glauben dagegen, dass der Fonds die europäischen Problemkinder zu großzügig behandelt. Konservative Republikaner im US-Kongress halten die IWF-Programme ohnehin für verkappten Sozialismus.

DSK erhöhte die Glaubwürdigkeit des IWF

Dabei ist die IWF-Hilfe dringend nötig. Noch immer kann der Zusammenbruch eines Staates eine neue globale Finanzkrise auslösen. Umso wichtiger wäre es, dass der IWF wieder Führung zeigen kann. Kurzfristig wird das Vakuum an der Spitze keine Folgen für Griechenland haben. Aber schon auf mittlere Frist könnte sich das ändern. Griechische Politiker fürchten zu Recht, dass ihnen ein wichtiger Gesprächspartner fehlen wird, wenn es darum geht, die Sparwünsche der EU mit den Erwartungen der eigenen Bevölkerung in Einklang zu bringen.

Auf eine gewisse Weise war DSK der ideale IWF-Chef für die jetzige Zeit. Er kommt aus der Linken, ist aber überzeugter Marktwirtschaftler. Er hat Charisma und Überzeugungskraft. Er war bereit, aus den Fehlern des Fonds in der Asienkrise zu lernen, was ihm Respekt einbrachte. Er setzte durch, dass Entwicklungs- und Schwellenländer im Fonds mehr Einfluss bekamen. Das erhöhte die Glaubwürdigkeit des IWF.

Ein bitterer Aspekt für Europa

Die Suche nach einem Nachfolger wird daher umso schwerer. Es gibt eine durchaus plausible Kandidatin, die französische Finanzministerin Christine Lagarde. Aber sollte der neue Mann oder die neue Frau wirklich aus Europa kommen? So fragen zumindest die mehr und mehr selbstbewussten Entwicklungs- und Schwellenländer.

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Die politische Karriere von Dominique Strauss-Kahn dürfte vorbei sein - unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Vorwürfe.  

(Foto: AFP)

Bisher sahen die ungeschriebenen Regeln in Washington vor, dass der IWF immer von einem Europäer und die Weltbank von einem Amerikaner geleitet wird. Im Grunde wissen alle seit langem, dass dieses Arrangement überholt ist; Strauss-Kahn hat sich selbst schon vor einem Jahr dafür ausgesprochen, dass der nächste IWF-Direktor ein Nicht-Europäer sein sollte. Jetzt dürfte sein privater Absturz in New York genau dieses Ziel näher bringen.

Für die Europäer hat das einen bitteren Aspekt: Sie müssen unter Umständen den einflussreichen IWF-Posten genau zu einem Zeitpunkt aufgeben, zu dem es um die Lösung der europäischen Schuldenkrisen und damit um die Zukunft ihres Kontinents geht.

Nicht-westeuropäische Kandidaten für die Nachfolge Strauss-Kahns sind schon im Spiel: Montek Singh Ahluwalia, ein indischer Topmanager beim IWF, Sridhar, Chef der indischen Zentralbank, Trevor Manuel, Vorsitzender der südafrikanischen Planungskommission, der türkische Wirtschaftsreformer Kemal Dervis und der Präsident der israelischen Zentralbank, Stanley Fischer. Angesichts dieser Kandidaten dürfte es den Europäern schwerfallen, auf ihre alten Rechte zu pochen.

Ohne den IWF geht es nicht in einer Welt, in der nationale Schuldenkrisen globale Finanzkrisen auslösen können. Deshalb muss das Vakuum an der Spitze des Fonds so schnell wie möglich beseitigt werden. Dazu sollte Strauss-Kahn beitragen, indem er in angemessener Zeit den Weg für eine Nachfolge frei macht. Und die Fonds-Mitglieder sollten sich auf ein Verfahren einigen, bei dem der neue IWF-Chef nur noch nach Kompetenz und nicht mehr nach Herkunft bestimmt wird. Logischerweise müsste das Verfahren dann auch für die Weltbank gelten. Der Nachfolger von Präsident Robert Zoellick sollte jedenfalls nicht aus den USA kommen.

Auf bizarre Weise demonstriert die Affäre DSK den relativen Bedeutungsverlust Europas in der Welt. Der alte Kontinent hat wenig Grund, in internationalen Gremien forsch aufzutreten. Aber die Europäer sollten nach vorne blicken: Es ist immer eine gute Strategie, Veränderungen, die sowieso kommen, aktiv zu verfolgen und sie so zu beeinflussen.

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