Mehr Leistungen:Das ändert sich durch die Pflegereform

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Neue Pflegestufen, mehr Leistungen - das bringt die Pflegereform. Doch von einem einzigen Termin hängt ab, ob und wie viel Pflegebedürftige überhaupt bekommen.

Von Berrit Gräber

Die Pflegereform der Bundesregierung soll Millionen Pflegebedürftigen ab 2015 um vier Prozent höhere Leistungen bringen. Aus den heute drei Pflegestufen werden 2017 fünf Pflegegrade. Damit Kranke profitieren, ist es wichtig, dass sie vom Medizinischen Dienst der Krankenkasse (MDK) jetzt schon richtig eingestuft sind. Es geht in jedem Fall um viel Geld. Steht der Besuch des MDK-Gutachters an, der die Pflegebedürftigkeit und mögliche Höherstufungen abklärt, sollten Kranke wie Verwandte gut vorbereitet sein, rät Verena Querling, Pflegerechtsexpertin der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Von diesem einen Termin hängt ab, ob und wie viel gezahlt wird. Das ist den meisten Familien aber häufig nicht klar. Etwa jeder dritte Neuantrag wird komplett abgelehnt.

Nur den Schwerbehindertenausweis vorzeigen genügt nicht, um Pflegeleistungen zu bekommen, sagt Christiane Grote, Sprecherin des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen (MDS). Menschen, die dauerhaft auf Hilfe angewiesen sind, müssen sich begutachten lassen. Kommt der MDK-Fachmann ins Haus, macht er sich ein Bild vom Alltag des Patienten: Kann dieser sich noch allein waschen und kämmen, braucht er Hilfe beim Toilettengang, beim Anziehen, Essen, Gehen, Einkaufen? Klappt das Knöpfen des Hemdes tatsächlich nicht mehr ohne Helfer?

Nicht die Schwere der Erkrankung ist ausschlaggebend für die Eingruppierung in eine der Pflegestufen auf der Skala von null bis drei, so Grote. Alles hängt momentan noch von Minuten ab, von der Zeit für die notwendige Unterstützung durch Betreuer, selbst beim Treppensteigen, beim Arztbesuch oder Schnürsenkel binden. Die umstrittene "Minuten-Pflege" soll 2017 ganzheitlicheren Kriterien weichen. Für die Pflegegrade zählen künftig nicht mehr nur körperliche Einschränkungen, sondern auch die Abhängigkeit von Helfern, was nicht zuletzt bei Demenz wichtig ist.

Meist wissen pflegende Angehörige aber gar nicht, wie viel Zeit sie wirklich aufbringen, um einen Patienten zu versorgen. Ob sie 46 Minuten bis zwei Stunden täglich für die Grundpflege benötigen, was derzeit der Pflegestufe I und 235 Euro Pflegegeld im Monat entspricht. Oder ob sie nicht doch viel länger helfen. In Pflegestufe II gibt es 440 Euro, beinahe das Doppelte. Von der Momentaufnahme bei einem einzigen Termin hänge fast alles ab, gibt Querling zu bedenken. Dazu kommt: Der Gutachter hat nur eine Stunde Zeit, um sich ein Bild zu machen. Am Ende entscheidet jede Helfer-Minute über die Bewilligung von Geld - oder über eine Ablehnung.

Feinheiten können darüber entscheiden, ob die Kasse zahlt

"Wir erleben es oft, dass der Pflegebedarf nicht immer so eingestuft wird wie er tatsächlich ist", sagt auch Daniela Hubloher von der Verbraucherzentrale Hessen. Auch für die Pflegekassen geht es um jede Menge Geld. Betroffene Familien sollten sich deshalb auf den MDK-Termin akribisch vorbereiten und den Patienten dabei nicht alleine lassen. "Ältere Menschen neigen aus Stolz und Scham dazu, Probleme zu verharmlosen und zu sagen: Ich kann aber allein zur Toilette, obwohl das nicht so ist", berichtet Hubloher aus der Praxis. Sind Angehörige bei dem Gespräch dabei, können sie so manches gleich zurecht rücken. Viele Kranke wollen dem Doktor zeigen, wie fit sie noch sind. Bekommt der Gutachter auf die Frage "Können Sie die Hände heben?" postwendend Arme entgegengestreckt, wird er zum Schluss kommen: Der Patient ist beweglich, er kann sich also noch allein kämmen.

Solche Feinheiten können mit darüber entscheiden, ob und wie viel die Pflegekasse zahlt. Gefragt sei eine realistische Darstellung der Alltagslage, kein Kraftakt, betont Hubloher. Zur Vorbereitung gehört vor allem, ein Pflegetagebuch zu führen. Vordrucke gibt es bei allen Verbraucherzentralen. Mindestens 14 Tage vor dem Gutachtertermin sollten die Betreuer damit beginnen, ihren Zeitaufwand genau zu notieren. Also täglich Protokoll führen, wie viel Unterstützung der Kranke beim Waschen braucht, beim Aufstehen, Zubettgehen, Trinken und wie oft man nachts noch helfen muss. Wird er einmal pro Woche zum Arzt begleitet, muss auch das ins Pflegetagebuch rein. Genauso die Hilfe in Minuten beim Einkaufen oder Wäsche waschen.

Ratsam ist, beim MDK-Termin Dokumente parat zu haben, die die Krankengeschichte aufzeigen und den Hilfsbedarf klar machen können. Das gilt auch, wenn es um eine gewünschte Höherstufung des Kranken geht. Der Gutachter bekommt beim Hausbesuch eine Kopie des Pflegetagebuchs in die Hand. Er muss diese Auflistung berücksichtigen, wie das Bundessozialgericht urteilte ( Az.: BSG, B 3 P 6/02 R).

Etwa vier bis fünf Wochen kann es dann dauern, bis über mögliche Leistungen entschieden ist. Kommt eine Ablehnung oder eine niedrigere Pflegestufe als beantragt, können Betroffene dagegen Widerspruch einlegen. "Sich wehren und kämpfen lohnt", sagt Hubloher. Laut MDS-Statistik führt eine zweite Begutachtung in etwa 35 Prozent der Fälle zu einem anderen Ergebnis. Bringt der Widerspruch keine Verbesserung, steht Betroffenen noch der Gang zum Sozialgericht offen. Das soll auch in Zukunft so bleiben.

© SZ vom 05.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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