Absturz des Dax:Zehn Minuten Crash

"Meine Fresse", sagt der Händler: Der Dax muss einen Kursabfall wie in den schlimmsten Lehman-Tagen verarbeiten. Wie die Händler an der Börse den Sieben-Prozent-Absturz erleben.

Harald Freiberger, Frankfurt

Als der Absturz beginnt, steht Robert Halver auf der Balustrade des Börsensaals und tut das, was er häufig tut in diesen Tagen: Er gibt einem Fernsehsender ein Interview. "Das hat vielleicht drei Minuten gedauert, und als ich mich umdrehte und auf die Anzeigentafel schaute, war der Aktienmarkt von drei auf sieben Prozent abgestürzt", erzählt der Chefanalyst des Wertpapierhauses Baader.

European Stocks Faltering As Dax Enters A Bear Market

Bis zu sieben Prozent verlor der Dax zwischenzeitlich.

(Foto: Bloomberg)

Halver ist 47 Jahre alt, groß gewachsen, die dunkelbraunen Haare sind zurückgegelt. Er hat gute Chancen, in Deutschland zum Gesicht des Sommercrashs 2011 zu werden. Wenn die Fernsehsender zur Frankfurter Börse schalten, ist meist der Mann zu sehen, der seit 15 Jahren hier arbeitet. Das liegt daran, dass er so anschauliche Worte verwendet wie "Munition" oder "Kakophonie" und dass er bei seinen Bewertungen auf nichts und niemanden Rücksicht nimmt. Er passt in eine Zeit, in der die Finanzmärkte die ganze bittere Wahrheit ans Tageslicht fördern.

Und an diesem Tag ist die Wahrheit besonders bitter.

Morgens um neun war kurz Hoffnung aufgekeimt. Der Dax hält sich, trotz der schlechten Vorgaben aus Asien. Doch dann geht es wieder nach unten. Um 10.30 Uhr steht der Index schon mit drei Prozent im Minus, und dann kommen die drei Minuten, in denen Robert Halver der Anzeigentafel den Rücken zukehrt.

Ein Zertifikatehändler der Baader Bank, der in der Nähe der Anzeigetafel sitzt, schaut dafür genau hin. In rasender Geschwindigkeit fallen die Kurse. Ganz rechts wird das aktuelle Minus angezeigt: 3,17 Prozent. Zweieinhalb Sekunden später sind es 3,42 Prozent, wieder zweieinhalb Sekunden später 3,58 Prozent.

Der Händler hat das Telefon am Ohr und begleitet den Absturz mit eigenen Lauten. "Ou, ou, ou, ou, ou", sagt er. Doch der Absturz geht weiter, im Zweieihalb-Sekunden-Takt. Bald sind es minus vier Prozent. "Oh nee, was ist denn das?", fragt der Händler. Eine Minute später sind es minus fünf Prozent. "Joi, joi, joi, joi, joi", sagt der Händler und schüttelt den Kopf. Minus sechs Prozent. "Unfassbar", sagt der Händler. Minus sieben Prozent. "Meine Fresse", sagt der Händler.

Tiefer geht es dann nicht mehr, bei 5502 Punkten ist Schluss, was deshalb wichtig ist, weil bei 5500 Punkten eine wichtige Unterstützungslinie nach unten ist, wie die Charttechniker sagen. Wäre sie durchbrochen worden, dann wäre der Dax wahrscheinlich nochmal um ein paar Hundert Punkte nach unten gefallen.

"Solange ich gesund bin, weine ich nicht"

Langsam und mühsam arbeitet sich der Dax danach wieder hoch, gewinnt Punkt um Punkt des vormittäglichen Absturzes wieder zurück. Am Nachmittag kämpft er sich zeitweise sogar ins Plus zurück.

Einer der wenigen Gewinner dieser Tage könnte Robert Halver sein. Womöglich ist er nach diesem Aktiencrash ein berühmter Mann, das neue Gesicht der Börse. "Da würde ich gern drauf verzichten", sagt er. Die letzten Tage hätten ihn doch mitgenommen, das bleibe nicht aus, wenn man seinen Job mit so viel viel Enthusiasmus mach, außerdem sei er als Rheinländer und Kölner ein emotionaler Mensch, "da ist man nahe am Wasser gebaut", sagt er.

Ob er an der Börse schon einmal geweint habe? So schlimm ist es dann aber doch nicht. "Solange ich gesund bin, weine ich nicht", sagt er.

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