20 Jahre Deutsche Währungsunion:Die Nacht der großen Scheine

Erfolg oder Flop? Vor 20 Jahren kam die D-Mark in die DDR und beschleunigte die deutsche Einheit. Noch immer wird darüber gestritten, ob die schnelle Währungsunion richtig war.

Steffen Uhlmann

Als sich der Kohlenfahrer Achim Corsalli am 1. Juli 1990 eine Minute nach Mitternacht in der Filiale der Deutschen Bank am Ostberliner Alexanderplatz seine erste "Westkohle" abholte, schlief Hans Tietmeyer fest.

Theo Waigel, 1990

Freude am 1. Juli 1990: Bundesfinanzminister Theo Waigel mit einer übergroßen Abbildung der Gedenkmünze für die Währungsunion.

(Foto: AP)

Dabei hatte um 0:01 Uhr die bis dato größte Geldtransaktion Deutschlands begonnen, an deren Vorbereitung der Ex-Finanzstaatssekretär und spätere Bundesbank-Präsident maßgeblich beteiligt gewesen war. Er habe in dieser Nacht gut geschlafen, erinnerte sich Tietmeyer viele Jahre später in einem Interview. "Warum auch nicht?"

Tietmeyer hatte in den Monaten zuvor im Auftrag von Bundeskanzler Helmut Kohl die Leitung der Verhandlungen über die innerdeutsche Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion übernommen. "Der Vertrag war verabschiedet, die Vorbereitungen für den Umtausch hatte die Bundesbank glänzend organisiert. Das Geld war vor Ort, technisch konnte nichts schiefgehen."

Tietmeyer mit mulmigem Gefühl

Technisch ging auch nichts schief. Knapp 185 Milliarden DDR-Mark wurden in fast 123 Milliarden D-Mark (heute etwa 63 Milliarden Euro) umgetauscht beziehungsweise umgestellt. Jeder Erwachsene konnte 4000 Ostmark, jeder Rentner sogar 6000 Ostmark und jedes Kind 2000 Ostmark zum Kurs eins zu eins in die herbeigesehnte Westmark tauschen. Die übrigen Guthaben der damals noch rund 17 Millionen Ostdeutschen wurden eins zu zwei umgestellt.

Corsalli und Co. feierten den Einzug der Westmark euphorisch, Tietmeyer dagegen eher mit einem mulmigen Gefühl. Schon im Dezember 1989 waren im Westen Analysen und Fallstudien erarbeitet worden, die die Folgen einer schnellen Währungsunion beschrieben hatten.

Daraus ging hervor, dass mit dem plötzlichen Fall der bisherigen Währungsschutzzäune das Gros der DDR-Betriebe aufgrund ihrer im Vergleich zum Westen deutlich geringeren Produktivität, Produktqualität und Wettbewerbsfähigkeit kaum Überlebenschancen haben würde - mit allen negativen Konsequenzen für den Arbeitsmarkt. Die meisten Autoren plädierten darum für einen Stufenplan zur Währungsunion, der einen allmählichen Übergang in die D-Mark und die damit verbundene Marktwirtschaft vorsah.

Stufenplan schnell Makulatur

Auch die Bundesbank und Tietmeyer selbst befürworteten zunächst diesen Weg. Der anhaltende Massenexodus - allein zwischen Januar und Ende Juni 1990 verließen etwa 250.000 Ostdeutsche die DDR gen Westen - und die wachsenden Forderungen der Daheimgebliebenen nach der D-Mark machten den Stufenplan schnell zur Makulatur. "Politisch", so Tietmeyer, "gab es zur raschen Währungsunion keine Alternative."

Thomas de Maizière sieht das heute nicht anders. Doch im Gegensatz zur Kanzlerin zieht der Bundesinnenminister, der zugleich Angela Merkels Mann für den Osten ist, am 20. Jahrestag der Währungsunion eine kritische Bilanz. Für de Maizière war die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion eine "politische Sturzgeburt".

Zwar sei, so de Maizière, der aufgerufene Wechselkurs zwischen West- und Ostgeld politisch ohne vernünftige Alternative, ökonomisch gesehen aber sei er falsch gewesen. Statt eins zu eins hätte er eins zu drei oder vier betragen müssen, um die "ökonomische Wirklichkeit" real abzubilden, glaubt der Minister. Nur hätte das aus seiner Sicht verheerende politische Folgen gehabt.

Hätte, wenn und aber - 20 Jahre nach der Währungsunion liegen Untergangs- und Erfolgspropheten weiterhin im Clinch. Während die einen noch immer den schnellen Tod der DDR und ihren überstürzten Anschluss an die Bundesrepublik beklagen, betonen die anderen den mutigen und letztlich erfolgreichen Schritt zur deutsch-deutschen Vereinigung.

Ein unerhörter Vorgang

Unstrittig ist dabei, dass der Einzug der D-Mark die schnelle Einheit erst möglich gemacht hat. Geschichtlich gesehen ein unerhörter Vorgang, dass eine Währung die politische und staatliche Einheit praktisch unausweichlich machte. Nur stürzte dabei etwas ineinander, was langfristig hätte zusammenwachsen sollen. Denn nach dem Kaltstart in die Marktwirtschaft trat genau das ein, was Ökonomen und Fachleute befürchtet hatten.

Reihenweise ging den großen DDR-Kombinaten die Luft aus. Einigermaßen gesunde Kerne wurden mit Hilfe der Treuhandanstalt herausgelöst und schnell privatisiert, der Rest wurde abgewickelt. Aber auch da ging vieles schief - siehe den Verkauf der mit Millionenaufwand sanierten ostdeutschen Ostseewerften an den Bremer Vulkan.

Mit dem Zusammenbruch der Ostmärkte und der Aushöhlung des ostdeutschen Tarifsystems verschärfte sich die Lage noch. Zurück blieb ein Heer von Arbeitslosen, das 20 Jahre nach der Währungsunion noch fast doppelt so groß ist wie das im Westen. Und das trotz anhaltendem Exodus - bislang knapp zwei Millionen Menschen - und einer stetig wachsenden ostdeutschen Rentnergeneration.

Schätzungsweise 1,3 Billionen Euro sind in den letzten 20 Jahren von den alten in die neuen Bundesländer geflossen. Der Hauptteil wurde in die Sozialsysteme geleitet, viel Geld ging auch in den Ausbau der Infrastruktur, die heute zu den modernsten der Welt gehört.

Am Tropf des Westens

Die erhoffte wirtschaftliche Dynamik, das sagen zumindest die Kritiker, ist dennoch ausgeblieben. Noch immer betrage die Wirtschaftskraft pro Kopf nur reichlich 70 Prozent des Westniveaus. Der Osten hole nicht oder zu langsam auf und bleibe noch über Jahrzehnte am Tropf des Westens.

Befürworter des schnellen Vereinigungsprozesses halten dagegen, dass sich das Wohlstandsniveau der Ostdeutschen in den letzten 20 Jahren deutlich erhöht habe, sich die ostdeutsche Wirtschaft inzwischen auf Augenhöhe mit vielen westeuropäischen Regionen befinde und die Arbeitsmarktlage heute sogar besser sei als etwa in Spanien, der Slowakei, den baltischen Staaten oder Irland. Zudem habe sich ein nachhaltiger Strukturwandel vollzogen.

So verfüge Thüringen nun über eine robuste Autoindustrie, Sachsen glänze als Zentrum der Mikroelektronik, Brandenburg und ganz Mitteldeutschland seien zur Heimat der schnell wachsenden, aber noch immer hoch subventionierten Solarindustrie geworden. Selbst aus dem fast industriefreien Mecklenburg-Vorpommern kommen in jüngster Zeit positive Nachrichten.

"Geld macht nicht glücklich"

Die Wirtschaft im Nordosten, getragen von Ernährungs-, Tourismus- und Gesundheitsbranche, erweist sich als weit krisenresistenter als der industriestarke Südwesten. Mecklenburg-Vorpommern, so die jüngste Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) gehöre zu den "Top-Gewinnern" der letzten drei Krisenjahre.

Achim Corsalli gehört nicht dazu. Sieben Stunden harrte er Ende Juni 1990 vor der Deutschen-Bank-Filiale aus, um zu den ersten Geld-Tauschern zu gehören. Die Westmark aber brachte dem jetzt 61-Jährigen kein Glück. Corsalli verlor seinen Job, später auch Frau und Kind. Heute hängt er am sozialen Tropf.

"Geld macht nicht glücklich", sagt er. "Keines aber auch nicht." Zumindest da ist er sich mit den Gewinnern der Währungsunion einig.

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