Wall Street: Insiderhandel:Sechs Festnahmen und viele offene Fragen

Für die Wall Street ist der Fall Raj Rajaratnam ein Desaster - jetzt werden auch noch Verbindungen zu einer tamilischen Rebellengruppe offenkundig.

N. Piper

Es war ein Krimi, wie man ihn von der Wall Street erwartet: In den frühen Morgenstunden des Freitag wurden fünf Männer und eine Frau in Manhattan festgenommen. Grund: dringender Verdacht auf Insiderhandel und des Anlagebetrugs.

Raj Rajaratnam, Foto: AP

Raj Rajaratnam wird von den Behörden abgeführt - inzwischen ist er gegen eine Kaution von 100 Millionen Dollar wieder auf freiem Fuß. Zumindest vorerst.

(Foto: Foto: Reuters)

Im Zentrum steht der 52-jährige Raj Rajaratnam, einer der erfolgreichsten Technologie-Investoren der USA und Gründer des Hedgefonds Galleon. Die Bundespolizei FBI kam der Gruppe auf die Schliche, weil sie deren Telefone systematisch abhörte. Verpfiffen wurden die sechs vermutlich von zwei Kollegen.

Doch die Festnahme war nur der Anfang. Richtig spannend wird es erst jetzt: Wieso hat Rajaratnam überhaupt versucht, sich auf illegale Weise Informationen zu beschaffen? Was er dabei verdiente - nach Aussage der Staatsanwälte in New York 20 Millionen Dollar - ist für einen Mann mit 1,5 Milliarden Dollar Gesamtvermögen eigentlich zu vernachlässigen.

Harter Kurs

Offen ist auch, ob Rajaratnam, möglicherweise unwissentlich, auch die tamilische Terrorgruppe "Befreiungstiger" auf Sri Lanka unterstützt hat. Schließlich scheint hinter der Festnahme von Rajaratnam und seinen mutmaßlichen Mitverschwörern ein neuer, härterer Kurs der amerikanischen Behörden zu stehen, der die Branche der Hedgefonds dauerhaft verändern könnte.

Die Staatsanwaltschaft Manhattan und die Börsenaufsicht SEC stellen den Fall so da: Seit 2006 konspirierte Rajaratnam mit ranghohen Managern anderer Firmen, um an Informationen zu kommen. Dazu gehörte Rajiv Goel aus der Finanzabteilung des Chip-Herstellers Intel. Von ihm soll Rajaratnam Details über die Geschäfte Intels mit der Softwarefirma Clearwire erfahren habe. In einem Telefongespräch, das das FBI aufzeichnete, bat Goel Rajaratnam im Gegenzug um Hilfe bei der Suche nach einem attraktiven Job.

Besonders interessant ist der Fall des IBM-Direktors Robert Moffat, der Informationen über die nächsten Quartalszahlen des Konzerns an Mark Kurland und Danielle Chiesi weitergegeben haben soll, zwei Manager des Hedgefonds New Castle. Moffat galt bisher als ein Star der Firma und sogar als Kandidat für die Nachfolge von IBM-Chef Samuel Palmisano. Moffat soll sich bei dem Insiderhandel allerdings nicht selbst bereichert haben. Teil des Ringes soll zudem Anil Kumar sein, Direktor bei der Unternehmensberatung McKinsey.

Wichtige Gerüchte

Die entscheidenden Tipps bekamen die Behörden nach einem Bericht des Wall Street Journal von zwei alten Bekannten Rajaratnams: Ali Far und Choo Beng Lee. Die beiden hatten während des Internet-Booms der neunziger Jahre mit ihm zusammengearbeitet und leiteten zuletzt den Hedgefonds Spherix Capital. Sowohl Rajaratnam als auch die meisten anderen Beschuldigten beteuern ihre Unschuld. Deren Arbeitgeber schickten sie auf Zwangsurlaub und versicherten, mit den Behörden zusammenarbeiten zu wollen.

Ein wenig verständlicher wird der Fall, wenn man berücksichtigt, welch zentrale Rolle Informationen an der Wall Street spielen. Das Wissen um eine Innovation oder eine gescheiterte Investition kann über Erfolg oder Misserfolg eines Börsengeschäftes entscheiden. Deshalb sind Gerüchte, vertrauliche Telefonate und Mittagessen so wichtig in Manhattan. Meist ist der Informationsaustausch legal. Wenn ein Analyst einen anderen auf eine Fußnote im Geschäftsbericht von Intel hinweist, der an den Märkten bisher übersehen wurde, kann ihn niemand daran hindern. Wenn aber ein Manager aus der Finanzabteilung von Intel Hinweise zum nächsten Quartalsbericht gibt, ist dies verbotener Insiderhandel. Dazwischen gibt es eine große Grauzone, die zu Missbrauch einlädt.

Rajaratnams Hedgefonds Galleon war ein wichtiger Spieler auf dem Markt für Informationen. Der Fonds wickelt täglich bis zu 1000 Handelsgeschäfte ab und ist daher begehrter Kunde von Brokerfirmen. Da tut man sich gegenseitig schon einmal einen Gefallen. So soll Galleon besonders gut bei Börsengängen bedient worden sein, deren Aktien von den Emittenten für besonders gute Kunden reserviert werden. Gleichzeitig soll bei Galleon selbst eine agressive Kultur geherrscht haben, um die Mitarbeiter zur Informationsbeschaffung anzuhalten.

"Weckruf" für die Wall Street

Wer dabei versagte, musste damit rechnen, vor seinen Kollegen abgekanzelt zu erden. Das Wall Street Journal berichtete vom Fall eines Analysten, der sich so unter Druck sah, dass er einen Anwalt aufsuchte und um Rat bat. Der habe gesagt, Galleon dehne die "ethischen Maßstäbe" sehr weit, er sei aber nicht sicher, ob illegale Handlungen vorlägen.

An dieser Unsicherheit setzen die Behörden an. Strafverfolger und Börsenaufsicht SEC sind offenbar entschlossen, die Grauzone zwischen Verbotenem und Erlaubtem an der Wall Street entscheidend zu verkleinern - als Konsequenz aus der Finanzkrise und dem Versagen der SEC bei der Verfolgung des Großbetrügers Bernard Madoff.

Neuer Wind weht

Einen Vorgeschmack darauf bekam die Wall Street im Mai. Damals leitete die SEC Ermittlungen gegen einen Händler der Deutschen Bank und einen Hedgefonds-Manager ein, wegen des Verdachts, der eine habe den anderen über eine Firmenübernahme vorab informiert und beide hätten daraufhin im Handel mit Anleiheversicherungen (CDS) profitiert.

Am vorigen Freitag nun machte auch Preet Bharara, der zuständige Staatsanwalt von Manhattan, klar, dass nun ein anderer Wind weht: "Dieser Fall sollte der Wall Street als ein Weckruf dienen," sagte er. Insiderhandel-Ringe würden künftig ähnlich wie Drogenkartelle verfolgt. Die Polizei werde künftig systematisch Telefone anzapfen. "Heute, morgen, nächste Woche und die Woche darauf müssen sich Wall-Street-Insider, die sich überlegen, ob sie gegen das Gesetz verstoßen wollen, eine wichtige Frage stellen: Hören die Strafverfolger mit?"

Für die angekündigte Verschärfung des Kurses gibt es einen Präzedenzfall: Nach den Exzessen der achtziger Jahre beschloss der Generalstaatsanwalt von New York, massiv gegen Insiderhandel vorzugehen. Dabei brachte er einen der berüchtigsten Firmenaufkäufer, Ivan Boesky, für zwei Jahre ins Gefängnis. Der Fall lieferte Stoff für den Hollywood-Film "Wall Street"; der zuständige Staatsanwalt hieß Rudolph Giuliani, er wurde später Bürgermeister von New York. Rajaratnam drohen bei einem Schuldspruchs bis zu 20 Jahre Haft.

Enge Beziehungen in die Heimat

Es bleibt die Frage des Terrors. Raj Ratnam wurde vor 52 Jahren auf Sri Lanka geboren und hält noch enge Beziehungen zu seiner Heimat. Er ist einer der wichtigsten Investoren des Landes. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums von Sri Lanka warf Rajaratnam vor, die tamilischen Terroristen der Befreiungstiger (LTTE) mit Geld unterstützt zu haben.

Die Befreiungstiger hatten für einen tamilischen Separatstaat gekämpft auf Sri Lanka und mussten nach einem über dreißig Jahre dauernden blutigen Bürgerkrieg im Mai die Waffen niederlegen. Rajaratnam habe die Gruppe "auf verschiedene Weise" finanziert, behauptete das Ministerium. Nur weil er in den USA lebe, habe man kein formelles Verfahren eingeleitet. Nach Erkenntnissen der US-Behörden ist das Bild nicht so eindeutig. Rajaratnam spendete tatsächlich fünf Millionen Dollar für die Opfer des Tsunami von 2004 in seiner Heimat und sammelte bei einem Abendessen in New York weitere drei Millionen Dollar.

Das Geld ging zumindest teilweise an die Tamil Rehabilitation Organization (TRO), ein Wohltätigkeitsfonds, der von reichen Amerikanern mit Wurzeln in Sri Lanka gespeist wurde. Ermittlungen des FBI ergaben, dass die TRO tatsächlich Geld an die Befreiungstiger abgezweigt hat. Mehrere Mitarbeiter der TRO lieferten inzwischen Geständnisse ab, Rajaratnam selbst wurde jedoch niemals beschuldigt.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: