Michael Schindhelm:"Niemand traute sich, die Wahrheit zu sagen"

Michael Schindhelm, gescheiterter Kultur-Manager Dubais, über seine Zeit im Glitzer-Emirat und einen überforderten Scheich.

A. Mühlauer

Er sollte die Kultur des Abendlandes an den Persischen Golf holen: Michael Schindhelm aus Eisenach. Drei Jahre lang versuchte der 49-Jährige, Dubai zur neuen Heimat einer globalen Elite zu machen. Theater, Museen und Opernhäuser sollten entstehen. Daraus wurde nichts. Die Finanzkrise brach über das Emirat herein. Schindhelm gab seinen Job als Direktor der Dubai Culture and Arts Authority auf. Heute lebt er in Rom und in der Schweiz. Zusammen mit dem renommierten niederländischen Architekten Rem Koolhaas plant er nun ein Kulturzentrum für Hongkong. Im Juli war Schindhelm das letzte Mal in Dubai. Zeit für ein Gespräch über das Scheitern eines Milliardenprojekts und die Frage, warum es dem Scheich immer nur um das eine geht: Geld, Geld, Geld.

Dubai, Foto: getty

Das Größenwahn-Emirat Dubai steckt in finanziellen Schwierigkeiten.

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SZ: Herr Schindhelm, reden wir über Geld. Wie sehr hat Sie die Nachricht überrascht, dass Dubai in Finanznot steckt?

Michael Schindhelm: Ehrlich gesagt, habe ich darauf gewartet, dass es passiert.

SZ: Wie bitte? In Dubai schien doch alles möglich zu sein, außer einem Bankrott.

Schindhelm: Das reiche Nachbaremirat Abu Dhabi musste ja schon im Frühjahr zehn Milliarden Dollar an Sicherheitsgarantien geben, weil in Dubai die Immobilienblase geplatzt war. Und immer mehr Menschen mussten die Stadt verlassen, weil sie keinen Job mehr hatten. Arbeitslose Ausländer verlieren in Dubai sofort ihr Aufenthaltsrecht.

SZ: Woran ist das Emirat gescheitert?

Schindhelm: Dubai ist nichts anderes als ein Familienunternehmen, an dessen Spitze Scheich Mohammed steht. Am Anfang war es ein Start-up, dann wuchs es immer schneller. Nur das Management ist nicht mitgewachsen. Der Scheich war irgendwann völlig überfordert. In einer absolutistischen Monarchie musste er doch über alles die Kontrolle haben. Er musste schauen, ob alle Bilanzen stimmen. Er allein musste alles entscheiden.

SZ: Warum hat er die Arbeit nicht besser delegiert?

Schindhelm: Das wäre ein Zeichen der Schwäche gewesen. Und die darf ein arabischer Herrscher niemals zeigen. Ich glaube, dass der Scheich erst ganz am Ende über die wahren Ausmaße des Desasters aufgeklärt wurde.

"Zur Selbstkritik nicht fähig"

SZ: Wie kommen Sie denn darauf, er musste doch über alles Bescheid wissen.

Michael Schindhelm, Foto: ddp

Michael Schindhelm: "Arbeitslose Ausländer verlieren in Dubai sofort ihr Aufenthaltsrecht."

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Schindhelm: In der arabischen Welt will niemand zugeben, dass er etwas nicht kann oder falsch gemacht hat. Die Leute stellen die Realität immer besser dar, als sie wirklich ist. Sie sind zur Selbstkritik nicht fähig. Kein Wunder, dass sich niemand traute, dem Scheich die Wahrheit zu sagen.

SZ: Wie haben Sie den Emir erlebt?

Schindhelm: Ihn selbst habe ich stets in Begleitung seiner engsten Adjutanten gesehen. Ich hatte immer das Gefühl, die wollen alles unter Kontrolle behalten. Die meisten von ihnen mussten übrigens inzwischen gehen. In meinem Tagebuch beschreibe ich die Machtzentrale, den 52. Stock des Emirates Tower. Dort traf ich den wichtigsten Stellvertreter des Scheichs. Ich habe gesagt, dass der Bau und der Betrieb einer Oper in Dubai eine Milliarde kosten würden. Da hat er gefragt: Wann bekommen wir die wieder? Nie, habe ich geantwortet, eine Oper funktioniert nicht wie eine Shopping-Mall. Ich versuchte, dem Scheich klarzumachen, dass Kultur immer ein Zuschussgeschäft ist. Für ihn aber war das nichts als Geldverschwendung.

SZ: Wie konnten Sie dort als Kulturmanager überhaupt arbeiten?

Schindhelm: Dubai ist ein Zukunftslabor. Ich war überzeugt, Globalisierung findet nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Kultur statt. Und Dubai ist da Avantgarde.

SZ: Hat nicht funktioniert.

Schindhelm: Moment bitte. Immerhin gibt es eine neue Form von friedlichem, urbanem Leben mit Menschen aus aller Welt. Krisen gehören zum Reifeprozess. Und Realität verändert sich sehr schnell: mit Dubai Speed eben. Das reizte mich natürlich besonders. Das Tempo der Veränderungen erinnerte mich an Ostdeutschland nach der Wende - nur eben ohne Vergangenheit. Allerdings wurde in Dubai die Gesellschaft noch radikaler umgebaut, nicht nur zum Positiven: Alles, was kein Geld bringt, interessiert hier niemanden.

SZ: Sie haben drei Jahre in Dubai gearbeitet. Wie enttäuscht waren Sie, als aus all diesen schönen Plänen nichts wurde?

Schindhelm: Beruflich ist die Bilanz nicht besonders positiv. Aber ich habe eine Menge gelernt. Und die Hoffnung, dass die junge Generation, die gerade heranwächst, in Kultur etwas anderes sieht als nur einen Geldbringer.

SZ: Erklären Sie uns das Kulturverständnis in Dubai.

Schindhelm: Bisher dominiert die Haltung des Kommerziellen. Kultur ist eine Art Ware, die man einkaufen kann. Und der Westen sieht die Golfregion als einen riesigen Markt. Ich hätte in Dubai ohne Probleme Leonardo da Vinci verkaufen können, aber auch Schlösser im Burgund. Die Agenten westlicher Kultur nahmen an, Leonardo müsste genauso begehrt sein wie eine Rolex.

"Dubai ist wie ein riesiges Transithotel"

SZ: Wie armselig.

Schindhelm: Ja. Dabei ist die beduinische Kultur sehr offen und gastfreundlich, gerade die Alltagskultur. Wenn ein Fremder vor dem Haus steht, lässt man ihn einfach drei Tage lang bei sich wohnen, ohne zu fragen, woher er kommt.

SZ: Wie kamen Sie als moderner Nomade in Dubai zurecht?

Schindhelm: Es war gewöhnungsbedürftig. Das Konzept Dubai ist ja darauf aufgebaut, dass die Stadt den modernen Nomaden für drei Jahre einlädt, hier zu sein, um sein Glück zu versuchen. Nach drei Jahren erlischt sein Aufenthaltsrecht, oder er muss es erneuern. Das ist der Deal. So kann keine Bindung an die Stadt entstehen. Dubai ist wie ein riesiges Transithotel.

SZ: Wie haben Sie gelebt?

Schindhelm: Ach, sehr schön. Mein Apartment lag 280 Meter hoch. Wenn ich durch die Fensterfront schaute, sah ich die Türme von Dubai, direkt vor mir den Emirates Tower, dann die Sheik Zayed Road, an deren Ende das höchste Gebäude der Welt entstanden ist, dann das Burj al-Arab, das wahrscheinlich teuerste Hotel der Welt. Im Hintergrund sah ich den Golf und die Wüste.

SZ: War es ein wirklich schönes Leben?

Schindhelm: Schön ist zu viel gesagt. Da draußen ist Globalisierung eine heftige Sache, irgendwie auf Gedeih und Verderb. Es war aufregend, eine entgrenzte Baustelle.

SZ: Warum haben Sie Dubai letztlich den Rücken gekehrt?

Schindhelm: Irgendwann wusste ich als Vertreter der Regierung Dubais nicht mehr, wer mein Ansprechpartner ist. Ich bin verloren gewesen im Labyrinth der Entscheidungsträger. Und dann gab es natürlich noch die Gefahr, dass ich etwas vertreten muss, das ich nicht verantworten kann.

SZ: Was denn?

Schindhelm: Ich habe mich zunehmend unwohl gefühlt. Ich sollte dabei helfen, ein Opernhaus und mehrere Museen aufzubauen, eine öffentliche Kulturbehörde. Alles war so weit klar, wir hatten sogar das Dekret des Scheichs. Als es dann konkret wurde, hatte plötzlich keiner mehr die Verantwortung.

SZ: Wie reagierte der Scheich?

Schindhelm: Den habe ich irgendwann nicht mehr zu Gesicht bekommen.

Das Buch: Michael Schindhelm, "Dubai Speed - Eine Erfahrung", Deutscher Taschenbuch Verlag, 256 Seiten, 16,90 Euro.

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