Krankenkasse zahlt Praxisgebühr zurück:Geld ausgeben unter Schmerzen

Eine kleine Hamburger Krankenkasse schert aus: Sie will die Praxisgebühr abschaffen und damit die Linie von Gesundheitsminister Daniel Bahr unterstützen. Doch dessen Mitarbeiter befremdet der Vorstoß.

Viktoria Großmann

Wer Zahnweh hat, den soll nicht noch der Griff ins Portemonnaie schmerzen - das ist kundenfreundlich gedacht von der Hanseatischen Krankenkasse (HEK). Sie wird ihren Versicherten die Praxisgebühr zurückerstatten, die 2012 beim Zahnarzt anfiel. Die komplette Gebühr für den Besuch aller Ärzte zurückzuzahlen kann - oder will - sich die Kasse derzeit aber nicht leisten. Ist also alles nur ein Marketing-Gag?

Tatsächlich haben die Einnahmen der Kassen durch die Praxisgebühr von zehn Euro im Jahr 2011 einen neuen Höchststand erreicht: 1,99 Milliarden Euro insgesamt zahlten die gesetzlich Versicherten dafür. 389 Millionen Euro davon sammelten die Zahnärzte ein. Diese dürfen allerdings nur eine Praxisgebühr erheben, wenn tatsächlich eine Behandlung notwendig wird. Wenn also eine Füllung ersetzt oder gebohrt werden muss. Zahnsteinentfernung zum Beispiel gehört zur Vorsorge; zwei Vorsorge-Termine im Jahr sind zuzahlungsfrei.

Viel Bürokratie, wenig Wirkung

Bisher positionierte sich vor allem Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) gegen die 2004 von der rot-grünen Bundesregierung eingeführte Praxisgebühr. Unterstützt wurde er in diesem Ansinnen von der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Für sie ist die Praxisgebühr ein überholtes Modell, das für die Ärzte viel bürokratischen Aufwand bedeutet. Zudem könne sie Menschen, die wenig Geld haben, davon abhalten, überhaupt zum Arzt zu gehen. In jeder Praxis sei man 120 Stunden im Jahr nur mit dem Einnehmen und Quittieren der Praxisgebühr beschäftigt, dadurch entstünden jeder Praxis Kosten von 4100 Euro im Jahr, rechnet die KBV vor. Die Kassen halten dagegen, die Ärzte beschwerten sich auch nicht über den Aufwand, Igel-Leistungen, also sogenannte Individuelle Gesundheitsleistungen, abrechnen zu müssen.

Im Gesundheitsministerium heißt es: Bei Rücklagen von 19,5 Milliarden Euro, die die gesetzlichen Krankenversicherungen und der Gesundheitsfonds insgesamt auswiesen, sei es "kein größeres Problem, die Praxisgebühr abzuschaffen". Die Krankenkassen seien keine Sparkassen. Sie sollten ihre Überschüsse ihren Versicherten in Form von Prämien oder verbesserten Leistungen zugutekommen lassen.

Neu ist, dass sich auch eine Krankenkasse auf die Seite von Bahr stellt. "Wir machen deutlich, dass wir die Forderung von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr und der Mehrheit der Gesundheitsminister der Länder unterstützen", lässt sich der HEK-Verwaltungsratsvorsitzende Horst Wittrin in einer Pressemitteilung zitieren.

Auf Nachfrage bei der Kasse, die 290.000 Mitglieder hat, heißt es allerdings, eine "Gesamtlösung können wir im Moment nicht übersehen". Mit anderen Worten: Alle geleisteten Praxisgebühren zu erstatten, auch die bei Hausärzten gezahlten, ist der Kasse zu teuer. Bei der HEK rechnet man damit, dass das Erstatten der Zahnarzt-Praxisgebühr 2,5 Millionen Euro kosten wird; ihr Haushaltsvolumen beziffert die Kasse mit 916 Millionen Euro.

Ganz will die Kasse nicht verzichten

Wozu also das Ganze? Im Bundesgesundheitsministerium reagiert man mit Befremden auf diese halbherzige Lösung. Andere Kassen sprechen von einer Marketing-Aktion der HEK und verweisen auf eigene Programme, bei denen Versicherte zum Beispiel Prämien für gesunde Lebensführung bekommen. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) ist jedenfalls klar gegen die Abschaffung der Praxisgebühr - sofern es dafür keinen Ersatz gibt. Das Bundesgesundheitsministerium müsse erklären, woher die etwa zwei Milliarden Euro dann kommen sollen. "Im Moment gibt es Überschüsse, aber wir müssen langfristig denken", sagt eine GKV-Sprecherin.

Chronisch Kranken und Geringverdienern bringt die Abschaffung nichts

So sieht man es auch bei einer der größten Krankenkassen, der Techniker Krankenkasse (TK). "Im Moment wäre eine Abschaffung der Praxisgebühr zu verkraften", sagt eine Sprecherin der TK, "doch die finanzielle Ausstattung wird nicht so bleiben." 2013 erwarte man ein ausgeglichenes Jahresergebnis, schon 2014 aber könnte es rote Zahlen geben. Denn die Ausgaben durch immer teurere Behandlungen und Medikamente stiegen deutlich stärker an als die Einnahmen.

Der Bundesverband der AOK drängt hingegen darauf, das gesamte System der Zuzahlungen zu überprüfen und in eine neue Form zu bringen. Eine bloße Streichung der Praxisgebühr würde chronisch Kranke und Geringverdiener nicht entlasten. Diese müssen bis zu einem Prozent ihres Einkommens selbst für Behandlung und Medikamente zuzahlen. Entfalle die Praxisgebühr, seien viele immer noch über diesem Satz und an ihrer Zuzahlungsrate ändere sich nichts, rechnet die AOK vor.

Wer letztlich an der Praxisgebühr verdient, beschreibt jeder der Beteiligten anders. Offiziell ist es ein Zusatzbeitrag zur Krankenkasse. So erklären auch die Ärzte in ihren Praxen den Patienten, dass sie das Geld nicht in ihre Taschen steckten. Bei den Kassen beschreibt man es so: Die Praxisgebühr ziehen die Ärzte von ihren Honorarrechnungen an die Kassen ab. Damit wäre die Praxisgebühr eine Vorauszahlung oder Anzahlung auf das Honorar der Ärzte, dass die Patienten zahlen.

Doch egal, wie nun eine einzelne Krankenkasse entscheidet, die Praxisgebühr bleibt noch bestehen. Erst in der vergangenen Woche stimmten die Gesundheitsminister der Bundesländer in Saarbrücken über die Abschaffung der Praxisgebühr ab - drei Stimmen fehlten, um einen formalen Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz für die Abschaffung zu erzielen.

Den Patienten bleibt vorerst nur eines: genau darauf zu achten, ob die Praxisgebühr wirklich erhoben werden muss. Befreit sind grundsätzlich alle Vorsorgeuntersuchungen beim Zahnarzt und beim Gynäkologen, solange keine Behandlung notwendig wird, sowie der Arztbesuch wegen notwendiger Impfungen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: