Internetportal "Lebensmittelklarheit":Schön getrickst

Wie ehrlich muss ein Hersteller auf der Verpackung sein? Auf dem Internetportal "Lebensmittelklarheit" bieten Verbraucherschützer an, Lebensmittel zu überprüfen, wenn Bürger Etikettenschwindel vermuten. Die Nachfrage ist groß.

Von Daniela Kuhr, Berlin

Darf ein Cappuccino damit werben, "ungesüßt" zu sein - obwohl er laut Nährwerttabelle 40 Gramm Zucker pro 100 Gramm Inhalt enthält? Darf Aufschnitt als "Hähnchenbrustfilet" verkauft werden, obwohl es sich um zusammengeklebtes Fleisch handelt? Darf sich ein Bier "alkoholfrei" nennen, obwohl es bis zu 0,5 Prozent Restalkohol enthält? Drei Fragen, mit denen sich Verbraucher in den vergangenen Monaten an das Internetportal lebensmittelklarheit.de gewendet haben.

Drei von insgesamt 10.000. Denn so viele Anfragen und Meldungen sind nach Informationen der Süddeutschen Zeitung bei dem Portal seit dessen Start im Juli 2011 eingegangen. An diesem Mittwoch wird der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) eine erste Bilanz ziehen und die Themen benennen, die die Verbraucher am häufigsten verunsichert haben.

Vor allem bei der Kennzeichnung von Fleisch und Wurst muss der Gesetzgeber nach Ansicht von VZBV-Vorstand Gerd Billen demnach handeln. "Wir brauchen ein Klarheitsgebot bei der Kennzeichnung von Fleisch und Wurst", sagt er. So enthielten beispielsweise Kalbs- oder Geflügelwurst nicht selten Fleisch von anderen Tierarten, ohne dass dies in der Produktbezeichnung deutlich werde. Gleiches gilt für Wildprodukte. Eine Verbraucherin hatte dem Portal beispielsweise eine Wurst gemeldet, bei der vorn auf der Verpackung groß "Hirschsalami" stand. Erst wenn man die Verpackung umdrehte, erfuhr man, dass die Salami lediglich 40 Prozent Hirschfleisch enthielt - und ansonsten aus Schweinefleisch bestand. Das ist erlaubt.

Nach den offiziellen Regeln darf eine "Wildwurst" auch Fleisch von anderen Tierarten wie etwa Rind oder Schwein enthalten, ohne dass darauf auf der Vorderseite der Verpackung hingewiesen werden muss. Doch nach Ansicht der Verbraucherschützer kann das bei den Konsumenten einen falschen Eindruck erwecken. Ihrer Ansicht nach sollten daher alle verwendeten Fleischarten immer vorn auf der Verpackung draufstehen. Die Bezeichnung könnte also beispielsweise lauten: "Salami vom Hirsch und Schwein".

"Erlaubt", "geändert", "getäuscht"

Das Internetportal, das vom VZBV und der Verbraucherzentrale Hessen betrieben und von Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner finanziell unterstützt wird, ist in drei Bereiche gegliedert: einen Informationsteil, der über rechtliche Grundlagen der Kennzeichnung informiert. Einen Forenbereich, in dem Verbraucher Fragen an Experten stellen können. Und schließlich den Produktbereich, wo Verbraucher Produkte melden können, bei denen sie sich getäuscht fühlen. Die Verbraucherschützer prüfen den Vorwurf und bitten den Hersteller um Stellungnahme. Anschließend bewerten sie den Fall und ordnen das Produkt einer von drei Kategorien zu: getäuscht, geändert oder erlaubt.

Die bereits erwähnte Hirsch-Salami etwa steht unter "erlaubt". Unter "geändert" werden solche Produkte eingestellt, bei denen der Hersteller auf die Beschwerde reagiert und beispielsweise die Verpackung anpasst. Unter "getäuscht" dagegen stehen Produkte von Herstellern, die die Kritik für unberechtigt halten. Derzeit befinden sich 170 Produkte in der Kategorie "getäuscht", 81 bei "geändert" und 35 bei "erlaubt".

Während die Lebensmittelwirtschaft das Portal von Anbeginn an kritisiert und von einem "Pranger" gesprochen hatte, haben die Verbraucher es längst angenommen. Das zeigt schon allein die Zahl der Zugriffe, die im Oktober 2012 beispielsweise bei 75.000 lag. Für Verbraucherschutzministerin Aigner steht fest: "Das Internetportal war von Beginn an ein großer Erfolg." Deswegen wolle sie es auch weiter fördern. Der Antrag wird derzeit im Ministerium geprüft. Ende Januar soll die Entscheidung fallen.

Nach Ansicht von VZBV-Vorstand Billen müssen jedoch nicht nur die Inhaltsstoffe von Wurst besser gekennzeichnet werden, sondern auch die Art der Fleischerzeugung müsse transparent werden. "Wer Qualität will, muss Qualität finden", sagte er. "Verbraucher müssen Fleisch aus artgerechter Haltung auf einen Blick erkennen können." Das neue Tierschutzlabel, das an diesem Mittwoch in die Supermärkte kommt, sei zwar "ein Gewinn und ein Fortschritt". Besser aber wäre "ein europaweit verbindliches Siegel". Dafür solle die Bundesregierung sich einsetzen.

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