Inkassofirmen:Wie Konzerne an verschuldeten Menschen verdienen

Nachbarschaft - Briefkasten

Es dauert nicht lange und dann kommt Post, viel Inkasso-Post.

(Foto: dpa)
  • Große Unternehmen wie Otto oder Bertelsmann investieren in immer mehr Inkassofirmen.
  • Sie verdienen gut an den Gebühren, weil die Bundesregierung versäumt hat, diese zu deckeln.
  • Auch wenn Firmen und Anwälte zu hohe Kosten berechnen, müssen sie kaum Konsequenzen fürchten.

Von Kristiana Ludwig

Manchmal ist es nur ein einziger Satz, der alles verändert. Der von Karen Baier hatte genau fünf Worte. "Du hast doch eine andere", sagte sie zu ihrem Mann. Da nahm er sein ganzes Geld und verließ sie.

Vor ihrem Satz lebte Baier am Rand eines Berliner Schlossparks. Ihr Mann ging zur Arbeit, sie erzog die vier Kinder. In das Leben danach startet sie mit einem Abschluss als Bäckereifachverkäuferin, aber ohne Job. Um Unterhalt muss sie kämpfen. Das Fitnessstudio und die Schulkantine, die Tiefkühlkost - plötzlich kann Baier die Rechnungen nicht mehr bezahlen. Es dauert nicht lange und sie bekommt Post, viel Post. Denn für eine ganze Branche wird sie nun zu einem interessanten Fall.

Großkonzerne wie das Medienunternehmen Bertelsmann oder das Handelshaus Otto haben das Schuldengewerbe längst als Wachstumsmarkt entdeckt. Sie kaufen immer neue Inkassounternehmen, um von den Gebühren zu profitieren. Maschinell Mahnschreiben zu verschicken, ist in Deutschland deshalb so lukrativ, weil die Bundesregierung bisher versäumt hat, die Inkassokosten wirksam zu deckeln. Ganz legal genehmigen sich die Firmen für jeden ihrer Massenbriefe satte Vergütungen. Und auch wenn sie die Regeln übertreten und zu viel berechnen, müssen sie selten Konsequenzen fürchten: Das Gesetz schützt Schuldner nur dann, wenn sie die erfundenen von den erlaubten Gebühren unterscheiden können und selbst detaillierte Beschwerden einlegen. Wer sich nicht auskennt, bleibt in der Pflicht. So verdienen Inkassofirmen an Unwissenheit.

Goldgrube Deutsche Bahn

Die Deutsche Bahn, zum Beispiel, ist für sie eine Goldgrube. Jeden Schwarzfahrer, der in Deutschland sein "erhöhtes Beförderungsentgelt" nicht bezahlt, überweist die Bahn nach Baden-Baden. Dort sitzt die Unternehmensgruppe Arvato Infoscore mit rund 2000 Mitarbeitern in einem Gebäude, das aus einem Turm und zwei Flügeln besteht. Ein Eingang führt von der Rheinstraße hinein, in das Haus Nummer 99. Das ist der Infoscore-Eingang. Eine zweite Tür führt zur Murgstraße 3 - und damit zum Briefkasten der Rechtsanwaltsgesellschaft Rainer Haas & Kollegen.

Schuldnerberater beobachten seit Jahren, wie Infoscore und die Anwälte gemeinsam auftreten. So bekam auch Karen Baier, nachdem sie ohne Ticket in der S-Bahn saß, zuerst Mahnschreiben von der Firma. Kurz darauf meldeten sich Haas & Kollegen bei ihr, mit zusätzlichen Gebühren. Aus 40 Euro Strafe waren so knapp 135 Euro geworden, inklusive rund 38 Euro Rechtsanwaltsgebühren.

Dass ein Inkassounternehmen und eine Rechtsanwaltskanzlei denselben Fall bearbeiten, ist nicht verboten - wohl aber, dass einer die doppelten Kosten abrechnet. Denn laut Gesetz sollen Firmen genauso wie Anwälte gerichtliche Mahnverfahren anstoßen, um Schuldnern Gebühren zu ersparen. Trotzdem wies das Landgericht Baden-Baden, das für die Rechtsaufsicht verantwortlich ist, im Januar eine Beschwerde gegen die Infoscore-Praxis ab. Das Gesetz regele lediglich die Vergütung von Inkassounternehmen und nicht die von Anwaltskanzleien, stellte das Gericht fest. Und die Firma streicht die zusätzlichen Anwaltskosten schließlich nicht selbst ein.

Das Haus hat zwei Türen und berechnet doppelte Gebühren

Rechtlich sind beide Türen sauber getrennt. Und doch profitiert eine einzige Familie von der Konstruktion: Bis 2009 verdiente der Infoscore-Gründer Sigmund Kiener Millionen mit dem Verkauf seiner Firmen an Bertelsmann. Sein Sohn Stefan Kiener verdient noch heute: Ihm gehört die Rechtsanwaltsgesellschaft Rainer Haas & Kollegen.

Die Deutsche Bahn sieht in den doppelten Briefen kein Problem. Ein weiteres Schreiben vom Rechtsanwalt verleihe der Forderung eben "Nachdruck", sagt ein Sprecher. Der Konzern wolle den Mahnprozess nicht verteuern, aber er wolle sein Geld. Dafür beauftrage er gern beide Seiten vom Haus der zwei Türen. Ob Kosten gerecht sind, lässt sich nur von Fall zu Fall überprüfen, erläutert das Landgericht. Nämlich dann, wenn ein Schuldner selbst Widerspruch gegen einzelne Bestandteile der Mahnschreiben einlegt. Ein formales Verfahren, das Rechtswissen voraussetzt. Für viele Schuldner ist es zu kompliziert.

Karen Baier hätte wohl Erfolg gehabt, wenn sie sich gewehrt hätte. Die Baden-Badener Anwälte ließen es fast nie auf einen Prozess ankommen und verzichteten lieber umstandslos auf die Extrakosten, sagt Dieter Zimmermann, Professor für Recht in Darmstadt und Schuldnerberatungsexperte. "Das Hauptziel ist eine außergerichtliche Einigung", heißt es auch vom Bahnsprecher. Haas & Kollegen setzten offensichtlich darauf, dass ein Großteil der Schuldner sich nicht beschwere, sagt Zimmermann.

Auf Anfrage entgegnet die Rechtsanwaltsgesellschaft, das sei "nicht zutreffend". Auch Arvato Infoscore streitet ab, Kosten unnötig in die Höhe zu treiben. Vielmehr sei der Zusatzauftrag an die Anwälte "ganz im Interesse der betroffenen Verbraucher". Sie bekämen so schließlich "eine weitere Gelegenheit" zu zahlen ohne vor Gericht zu müssen. Masseninkasso als Chance? Für Jakob Kohl war es das nicht, im Gegenteil.

Auch wenn man zahlt, hören die Kosten nicht auf zu steigen

Das Geräusch, das Kohls Raum durchdringt, ist schwer zuzuordnen. Vielleicht ist es die Betonsäge. Der Flur draußen ist staubig, Kabel hängen von der Decke und alle Klingelschilder wurden abgerissen. Jakob Kohl muss sich entscheiden, zwischen Lärm und Hitze. Er steht auf und schließt das Fenster. Kohl war 18 Jahre alt, als er sich für diese Wohnung entschied. Es gibt hier genug Platz für ein Bett und einen Computertisch, außerdem eine Kochnische im Flur. Heute ist Kohl neun Jahre älter. Die Miete wurde zweimal erhöht, der Nachbar hat angefangen zu trinken, manchmal erbricht er sich in den Flur. Er wäre längst weg hier. Aber mit 4000 Euro Schulden auf dem Konto bekommt er keinen neuen Mietvertrag in Berlins Randbezirken.

"Riskieren Sie nicht, dass Ihre Existenz bedroht wird", schreibt ihm die HFG Inkasso GmbH in einem ihrer unzähligen Briefe: "Bieten Sie uns eine Rate an, die Sie sich leisten können." In den ersten Jahren kam diese Post fast täglich. Nach seiner Kochausbildung fand Kohl keine Stelle. Stattdessen machte er eine zweite Lehre. Fünf Jahre lebte er von rund 650 Euro im Monat. "Ich hatte immer Geldmangel", sagt Kohl. Er habe versucht, die Rechnungen in Teilen zu begleichen. Erfolglos.

"Schuldner wollen oft Raten zahlen, aber Inkassokosten hören deshalb nicht auf zu steigen", sagt Laura Stradt von der Caritas Schuldnerberatung in Berlin-Lichtenberg. Zu ihr kommen diejenigen, deren Briefkästen überquellen vor Mahnbriefen. Solche wie Karen Baier oder Jakob Kohl, deren richtiger Name nicht in der Zeitung stehen soll. Um sich gegen zu hohe Kosten zu wehren oder Einigungen auszuhandeln, brauche es Hartnäckigkeit, sagen sie, manchmal über Jahre.

Inkassofirmen setzen auf Papierflut

Die Bertelsmann-Tochter BFS Risk & Collection GmbH etwa mogelte in den vergangenen Jahren häufig eine Zusatzgebühr in ihre Mahnbescheide - eine "Titulierungsgebühr", wie sie es nannte, die Schuldner mehr als 100 Euro kosten konnte. Unzulässig, stellte das zuständige Oberlandesgericht Hamm im Frühling fest. Auch Jakob Kohl hatte die BFS-Gebühr kennengelernt. Doch als er 2013 Widerspruch einlegte, antwortete ihm die BFS ihrerseits mit einem Brief. Sie drohte, "das Klageverfahren durch unseren Rechtsanwalt gegen Sie einzuleiten". Kohl solle "den Widerspruch zurücknehmen", schrieb BFS, und legte dafür gleich eine "vorbereitete Erklärung" bei.

Die Papierflut ist das Kapital großer Inkassounternehmen. Neun Millionen Mahnschreiben verschickt allein das Essener Unternehmen GFKL im Jahr (PDF GFKL Imagebroschüre). Die Gesellschaft gehört zu den drei größten Inkassodienstleistern Deutschlands. Die Eos-Gruppe, die mit mehr als 9000 Mitarbeitern in 26 Ländern und einem Umsatz von mehr als 550 Millionen Euro zum Otto-Konzern gehört, setzt auf Anrufe und Hausbesuche bei den Schuldnern. Mit "anforderungsgerechter Argumentation" sollen Mitarbeiter "Zahlungsvereinbarungen" an der Tür treffen. Auf die Raten schlägt Eos dann "Einigungsgebühren" drauf. Man halte sich an den gesetzlichen Rahmen, erklärt die Firma.

"Der Markt für Forderungsmanagement", schreibt Otto in seinem Geschäftsbericht, sei "attraktiv": Die marktführenden Unternehmen "haben in den letzten Jahren hohe Investitionen getätigt und sind daher stark gewachsen". Auch für Bertelsmann ist das Geldeintreiben ein "Wachstumsfeld" (PDF). Wie seine Konkurrenten expandiert der Konzern ins Ausland und übernahm gerade den Onlineshop-Betreiber Netrada, auch um Zahlungsabwicklung und Inkassodienste aus einer Hand anbieten zu können.

Das Justizministerium hatte Grenzen für Inkassokosten geplant, aber nie umgesetzt

Denn die beachtlichen Gewinnspannen erreichen die Unternehmen ganz legal: "Inkassounternehmen berechnen den selben Satz, den ein Rechtsanwalt für die Abwicklung eines Autounfalls nehmen würde", sagt Marcus Köster von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Vor zwei Jahren hatte die Bundesregierung ein Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken erlassen. Doch gegen Masseninkasso wirkte das kaum, sagt Köster.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) räumt offen ein, dass "Höchstsätze" für Inkassogebühren zwar geplant, aber nie verordnet wurden. Denn nach der aktuellen Gesetzeslage könnten Inkassounternehmen vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, wenn die Politik versuchte, ihnen Grenzen zu setzen. Schließlich könnten Anwaltskanzleien dann weiterhin kassieren. Eine Regelung, die sowohl Anwälte als auch Firmen in die Schranken weist, werde im kommenden Jahr "in die Prüfung einbezogen", sagt ein Ministeriumssprecher. Auch die "Aufsicht über Inkassounternehmen" werde dann ein Thema sein.

Otto hat die Gefahr für seine Wachstumssparte schon gewittert. Es bestehe "das Risiko, dass sich die rechtlichen Rahmenbedingungen verschärfen", schreibt der Konzern in seinen diesjährigen Geschäftsbericht (PDF), "was die Forderungsrealisierung erschweren kann".

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