G 20: Merkel in Seoul:Machtkampf der Egoisten

Als die Katastrophe tobte, bewährten sich die G 20 glänzend. Nun geht es um langfristige Lösungen. Und was macht Kanzlerin Merkel? Vor Beginn des Gipfels fordert sie mehr Kooperation, doch reichen wird das noch lange nicht.

Nikolaus Piper

Die Worte hallen auf der ganzen Welt nach. "Das amerikanische Wachstumsmodell steckt in einer tiefen Krise", sagte Finanzminister Wolfgang Schäuble. Die USA hätten "zu lange auf Pump gelebt, ihren Finanzsektor übermäßig aufgebläht und den industriellen Mittelstand vernachlässigt". Der Deutsche setzte damit den Ton für den Gipfel der 20 großen Industrie- und Schwellenländer (G 20), der am Donnerstag in Seoul beginnt. Die Welle der USA-Kritik gipfelte im Beschluss einer obskuren chinesischen Ratingagentur, die Bonität der Vereinigten Staaten herabzustufen. Präsident Barack Obama wird in Korea einen schweren Stand haben.

G20-Gipfel - Merkel

Aufgalopp: Kanzlerin Angela Merkel hat kurz vor Beginn des G-20-Gipfels in Seoul noch einmal ihre Ablehnung gegen den US-Vorschlag für feste Vorgaben zur Begrenzung von Leistungsbilanzungleichgewichten zum Ausdruck gebracht - und sich für flexible Währungen ausgesprochen.

(Foto: dpa)

Schäubles Sätze sind ebenso richtig wie unfair. Richtig, weil Leben auf Pump am Anfang der Krise stand und Amerika lernen muss, Soll und Haben in Einklang zu bringen. Unfair, weil auch die Deutschen Karten in dem Schuldenspiel haben. Die deutschen Exporteure sind nicht Schuld an den amerikanischen Handels- und Haushaltsdefiziten, aber sie haben davon profitiert. Insofern sind auch die jüngsten Erfolge der deutschen Wirtschaft zum Teil geborgte Erfolge. Ein Exportüberschuss von sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts, wie ihn Deutschland 2010 erreichen wird, ist nicht nachhaltig. Die Schulden der einen sind die Vermögen der anderen. Die G 20 hatten sich eigentlich vorgenommen, diese Ungleichgewichte abzubauen, sie schaffen es aber nicht. Das ist das Drama im Hintergrund des Gipfels von Seoul.

Den jüngsten Akt in dem Drama eröffnete die US-Notenbank Federal Reserve. Mit dem Beschluss, weitere 600 Milliarden Dollar in die Wirtschaft zu pumpen, löste sie weltweit Furcht vor Inflation und einer Dollarkrise aus. Das wiederum schwächt Obamas Position. Es ist schwer, die Währungsmanipulation der Chinesen anzuprangern, wenn man gleichzeitig dem Verdacht entgegentreten muss, die eigene Notenbank ziehe in den globalen Währungskrieg. Der US-Präsident sah sich sogar gezwungen, die Federal Reserve zu verteidigen, ein ziemlich ungewöhnlicher Vorgang, denn die Fed ist eigentlich ebenso unabhängig wie die Europäische Zentralbank.

Dabei ist die Kritik überzogen. Anders gewendet: Amerikas Partner sorgen sich zu Recht, aber wegen der falschen Dinge. Die Fed setzt weder auf einen weichen Dollar noch auf Inflation. Derzeit ist immer noch Deflation das größere Risiko als eine Teuerungswelle. Vermutlich werden die jüngsten Aktionen der Notenbank sogar weitgehend folgenlos bleiben. Die eigentliche Gefahr liegt in der Blockade Washingtons, die nach dem jüngsten Wahlsieg der Republikaner droht. Es ist noch nicht abzusehen, ob die neue Mehrheit im Kongress auf Kooperation oder Krawall aus ist und wie Obama mit der neuen Lage umgehen wird. Im schlimmsten Fall bleiben Amerikas Probleme für zwei Jahre liegen. Dann in der Tat hätte das Geld der Fed die Funktion einer Droge. Die Schmerzen würden gelindert, aber die Therapie unterbleibt.

Bis auf weiteres steht Obama daher in der Defensive. Das Vorhaben seines Finanzministers Timothy Geithner, Deutsche und Chinesen zum Abbau ihrer Überschüsse zu drängen, ist weniger ein Plan als vielmehr eine Bitte. Konkrete Schritte werden daraus nicht folgen. Das bedeutet aber: Es wird in Seoul nichts Substantielles beschlossen werden. Die eigentliche Aufgabe wird darin liegen, das Instrument der G 20 intakt zu halten, was alles andere als trivial ist. Die Gipfel sind in ihrer jetzigen Form ein Produkt der Finanzkrise. Die USA erkannten, dass die alten Industrieländer die Probleme nicht mehr alleine lösen können und drängten darauf, die Schwellenländer aufzuwerten. Seither spielen Staaten wie China, Indien und Brasilien auf der globalen Bühne eine Rolle, die vor drei Jahren noch undenkbar erschien.

In den Katastrophenjahren 2008 und 2009 bewährten sich die G 20 glänzend: Eine zweite Depression wurde verhindert. Doch nun, da es um langfristige Lösungen geht, fällt die Krisenallianz auseinander. Amerikaner, Europäer und Chinesen handeln jeder für sich und häufig gegeneinander. Vielleicht ist dies unvermeidlich. Wenn das Haus brennt, fällt Solidarität leichter, als wenn der Brand gelöscht ist und es darum geht, die neuen Feuerschutzvorschriften umzusetzen.

Was nottut, ist eine Strategie der kleinen Schritte. Ein paar dieser Schritte sind die G20 schon gegangen. Es gibt neue Eigenkapitalvorschriften für Banken, die umgesetzt werden müssen. Die Finanzminister einigten sich auf eine Reform des Internationalen Währungsfonds, die China, Indien und anderen Schwellenländern mehr Einfluss gibt. Jetzt käme es vor allem darauf an, China zu einer Korrektur seiner Währungspolitik zu bewegen.

Ohne Aufwertung des Yuan ist an einen Abbau der globalen Ungleichgewichte nicht zu denken. Die Europäer werden weiter damit beschäftigt sein, die Währungsunion zu sichern und einen neuen Ausbruch der Schuldenkrise zu verhindern. Die jüngsten Nachrichten aus Irland zeigen, wie gefährlich die Lage noch immer ist. Und alle müssen sich an den Zustand gewöhnen, dass die Führungsmacht Amerika nachhaltig geschwächt ist - dass aber ohne Amerika auch kein Weltproblem gelöst werden kann.

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