Euro-Krise:Schatten der Angst

Ein gespaltenes Europa versucht, seine Währung zu retten - doch einfach ist das nicht. Kanzlerin Merkel widersetzt sich vehement dem Plan, durch die Ausgabe europäischer Staatsanleihen die Gemeinschaftswährung zu stabilisieren. Rückendeckung erhält "Frau Europa" von Frankreichs Präsident Sarkozy. Beim EU-Gipfel müssen sich beide auf heftige Gegenwehr einstellen.

Cerstin Gammelin

Die Krise hat Europa in eine merkwürdige Stimmung versetzt. Müsste ein Wort reichen, diese zu beschreiben, es hieße: zwiespältig. Manche wollen verschuldete Länder um jeden Preis retten, andere nicht. Die einen wollen den Euro behalten, andere die nationale Landeswährung zurück. Nichts ist mehr so wie, es vor einem Jahr zu sein schien.

Deutsch-Französische Regierungskonsultationen

Gemeinsam gegen Euro-Bonds: Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy. 

(Foto: dpa)

Hohe polnische Diplomaten in Brüssel machen ihrem Berufsstand gerade alle Ehre, werden sie abends, beim Bier, gefragt, ob ihr Land den Euro überhaupt noch haben will. Meist seufzen sie ein wenig. "Ja, der Euro", der sei wohl ziemlich in der Krise. Aber dennoch. Warschau bleibe selbstverständlich bei seinem Wunsch, die Gemeinschaftswährung gegen den Zloty zu tauschen. Nur, wann es so weit sein werde, das sei offen, "schließlich müssen wir sehr harte Bedingungen erfüllen, und keiner weiß, wann wir das schaffen." Es folgt ein diplomatisches Augenzwinkern. Man müsse jetzt auch erst einmal abwarten, ob die Rettungsfonds ausreichten, ob die Schuldenberge abgetragen würden. Ja, zugegeben, in den vergangenen Wochen sei man gelegentlich erleichtert gewesen, noch nicht Mitglied im Euro-Klub zu sein. Das sei doch verständlich, oder?

Ebenso wie das Gefühl der Polen für den Euro ist auch das Verhältnis vieler europäischer Regierungschefs zu den deutschen Vorschlägen, wie die gemeinsame Währung krisenfest gemacht werden kann, vor allem zwiespältig. Auf der Skala zwischen totaler Ablehnung und völliger Zustimmung pendeln die meisten Länder um den Mittelpunkt - mit Ausschlägen in beide Richtungen, so sagt es ein hoher Diplomat eines kleineren Landes. Ja, die Deutschen hätten oft in der Sache recht. Aber man wolle nicht ständig hinter Berlin hertraben. Oder hinter Berlin und Paris. "Wir haben keinen Appetit mehr auf deutsch-französische Vorschläge", sagt ein hoher Diplomat eines großen Landes. Keine "Theaterauftritte" mehr, fordert Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn.

Dass die Stimmung so ambivalent ist, dazu tragen auch die wankelmütigen Regierungschefs bei. Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy wollte noch vor Jahresfrist seine Kollegen davon überzeugen, sich viele Milliarden Euro zusätzlich zu leihen. Das Geld sollte den Ländern einen "Wachstumsschock" verpassen und aus der Krise hinauskatapultieren, verkündete er damals lauthals. Zwei milliardenschwere Rettungspakete für überschuldete Euroländer später erscheint der umtriebige Franzose beinahe wie ein Schatten von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Präsident Sarkozy ist auf die deutsche Stabilitätskultur umgeschwenkt. Er spart, er reformiert und wirbt sogar dafür.

Unter den Wankelmütigen findet sich neuerdings auch Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker. Juncker, den die Euroländer zu ihrem Sprecher gewählt haben, tourte in den vergangenen Wochen durch ganz Europa, um für einen seit Jahren umstrittenen Vorschlag zu werben. Mit großen Auftritten versuchte er die Partner davon zu überzeugen, einen Teil der Schulden durch gemeinsame Staatsanleihen zu finanzieren - mit bescheidenem Erfolg. Nach klaren Absagen aus Berlin und Paris schaffte es der Euro-Bonds nicht einmal auf die Tagesordnung des Gipfeltreffens der europäischen Staats- und Regierungschefs an diesem Donnerstag und Freitag in Brüssel. Juncker ließ daraufhin seinen Außenminister Asselborn erklären, die ganze Angelegenheit sei ja auch nicht so dringend. Sie habe Zeit, mindestens bis zum nächsten Jahr. Und wenige Stunden vor dem Gipfel verkündete er dann doch wieder, er werde seinen Vorschlag selbstverständlich auf den Tisch legen, Tagesordnung hin oder her.

Mit solchen Ankündigungen treibt ausgerechnet der gewählte Hüter des Euro die Verwirrung darüber, wie die Währung gerettet werden kann, auf eine neue Spitze. Zusätzlich ärgert er einige seiner Mitstreiter, die durchblicken lassen, wer das Konzept der Euro-Bonds geschrieben habe. Sie erzählen, dass in Brüsseler Denkfabriken und in der Europäischen Kommission einige sehr engagierte Wissenschaftler und Beamte sitzen, die aus eigener Überzeugung daran arbeiten, die europäischen Länder enger zusammenrücken zu lassen. Viele stammen aus den Ländern, die die Gemeinschaft gegründet, den Binnenmarkt und den Euro geschaffen haben. Sie wollen nun auch gemeinsam wirtschaften, ähnliche soziale Standards für alle schaffen. Die in vielen Staaten zu beobachtende Tendenz, national zu denken, steht diesem Wunsch entgegen; deswegen weigern sich die zuständigen EU-Kommissare derzeit, solche Ideen offiziell zu propagieren.

Die Krux mit den Zinsen

Aus dieser Untergrundbewegung stammen wohl die Grundzüge des Konzepts, das Juncker gemeinsam mit dem italienischen Finanzminister Giulio Tremonti vor ein paar Tagen lancierte. Ein italienischer Beamter formulierte die Idee, gemeinsame Anleihen auszugeben, zu einem ausgereiften Konzept. Das Konzept wäre wohl in der Schublade gelandet, hätte es der Italiener nicht über seinen Finanzminister dem Chef der Euro-Gruppe zugespielt. Der warf es dann in die öffentliche Debatte.

Dass wankelmütige Politiker nicht helfen, die Krise zu lösen, zeigt schon ein Blick auf die Reaktionen der Finanz- und Börsenmanager. Sie sehen dem Treiben in Brüssel einigermaßen interessiert zu - und wetten weiter gegen den Euro. Vor dem Gipfeltreffen drohen sie, weitere hochverschuldete Länder schlechter zu bewerten. Damit würden die noch mehr Zinsen zahlen müssen, um ihre Schulden zu refinanzieren. Die europäischen Staats- und Regierungschefs mühen sich nun, ihr Treffen als ruhige Arbeitssitzung erscheinen zu lassen. "Ein ganz normaler Gipfel", heißt es in deutschen Regierungskreisen. Ein bisschen mulmig ist ihnen dennoch zumute. Schließlich reist auch der Chef der Europäischen Zentralbank an, Jean-Claude Trichet. Was ungewöhnlich ist. Als er im Mai diesen Jahres auf einem Sondergipfel zum selben Thema referierte, beschloss die Europäische Union zwei Tage später den 750 Milliarden Euro umfassenden Rettungsschirm.

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