Prozess:Kinder in Teich ertrunken: Trägt Ex-Bürgermeister Mitschuld?

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Akten liegen in einem Gerichtssaal auf der Richterbank. (Foto: Lennart Preiss/dpa/Symbolbild)

Im Sommer 2016 ertranken drei Geschwister in einem Teich in Neukirchen. Das Amtsgericht Schwalmstadt befand, der damalige Bürgermeister der nordhessischen Stadt sei mitschuldig an dem Unglück. Jetzt wird der Fall neu aufgerollt.

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Marburg (dpa/lhe) - Der „tragische Unglücksfall“ begleite ihn sein ganzes Leben, sagte der ehemalige Bürgermeister von Neukirchen (Schwalm-Eder-Kreis), Klemens Olbrich (CDU), am Mittwoch vor dem Landgericht Marburg. Gut sechseinhalb Jahre ist es her, dass drei Geschwister in einem Dorfteich in der nordhessischen Stadt ertrunken sind. Jetzt muss sich Olbrich zum zweiten Mal vor Gericht der Frage stellen, ob er eine Mitschuld an dem Unglück trägt.

Am Mittwoch begann der Berufungsprozess am Landgericht Marburg, in dem der Fall neu aufgerollt wird. Olbrich bekräftigte am ersten Verhandlungstag, er habe den Teich nicht als gefährlich wahrgenommen. „Es gab keine Hinweise aus der Bevölkerung, auch nicht von professionellen Dritten.“ Die Notwendigkeit von Sicherheitsmaßnahmen sei nie ein Thema gewesen. „Dass Wasser per se gefährlich ist, das weiß man ja“, erklärte er. Aber über diese abstrakte Gefahr hinaus habe es keine Wahrnehmung gegeben.

Die drei Geschwister im Alter von 5, 8 und 9 Jahren waren im Juni 2016 in dem Teich im Neukirchener Ortsteil Seigertshausen ertrunken. Die Familie verlor drei ihrer seinerzeit sechs Kinder. Die Anklage geht davon aus, dass mindestens ein Kind beim Spielen ins Wasser fiel und die anderen beim Versuch, Hilfe zu leisten, ebenfalls verunglückten. Wegen der gepflasterten und rutschigen Uferböschung hätten sie sich nicht retten können.

Das Amtsgericht Schwalmstadt befand, Olbrich habe die Verkehrssicherungspflicht für den Teich verletzt. Die Wasserstelle habe erhebliches Gefahrenpotenzial aufgewiesen, das der Bürgermeister habe erkennen können. Das Gericht verurteilte den heute 65-Jährigen wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen und verhängte im Februar 2020 eine Geldstrafe von 12 000 Euro (120 Tagessätze zu 100 Euro) zur Bewährung auf zwei Jahre. Sowohl Olbrich als auch die Staatsanwaltschaft Marburg legten Berufung ein.

Am Mittwoch stand zunächst ein Schreiben der GVV Kommunalversicherung vom April 2014 im Mittelpunkt. Darin schätzte die Mitgliederversicherung für Städte, Gemeinden, Kreise, kommunale Unternehmen und Sparkassen den Teich auf die Anfrage eines Verwaltungsmitarbeiters der Stadt hin als verkehrsgefährlich ein. Aus haftungsrechtlichen Gründen empfahl sie der Kommune, das Gelände einzuzäunen beziehungsweise abzusichern.

Olbrich will den Inhalt des Schreibens erst im März 2020, und somit erst kurz nach dem Urteil des Amtsgerichtes, zur Kenntnis genommen haben. Zwar sei ihm der Brief 2014 „mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit“ vorgelegt worden - darauf lässt auch ein Sichtvermerk Olbrichs in Form eines roten Striches schließen. Aber er habe weder auf den Betreff noch auf den Inhalt geschaut, sondern lediglich das Logo des Versicherers wahrgenommen. Er sei davon ausgegangen, es handle sich um ein „normales Versicherungsschreiben“ und habe es an die zuständige Abteilung weitergeleitet. Auch habe er nicht vermerkt, um Rücksprache zu bitten, wie sonst üblich in fraglichen Fällen, erklärte er.

„Ich ging davon aus, dass das Schreiben in der zuständigen Abteilung bearbeitet wird“, so Olbrich weiter. In der Folge sei niemals jemand mit dem Anliegen auf ihn zugekommen. Der Ex-Bürgermeister betonte, andernfalls wären Maßnahmen eingeleitet worden. „Natürlich hätten wir das gemacht. Das ist unser täglich Brot.“ Er könne nicht erklären, warum das Schreiben nicht bearbeitet wurde. Erst im März 2020 sei das Dokument ihm dann zur Kenntnis gebracht worden. Er habe damals ein paar freie Tage gehabt. Anschließend habe ihn sein Vertreter auf das Schreiben aufmerksam gemacht.

Den Verdacht, er habe den Brief bewusst zurückgehalten, wies Olbrich vehement zurück. „Ich muss nichts vertuschen, es gab keinen Plan. Hätte ich das Schreiben früher gekannt, hätte es auf den Tisch gehört.“

Das Landgericht Marburg hat bislang drei weitere Verhandlungstage eingeplant.

© dpa-infocom, dpa:230207-99-509137/4

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