Verbände - Erfurt:Jedes zehnte Unternehmen erwägt Abwanderung aus Thüringen

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Erfurt (dpa/th) - Viele Unternehmen in Thüringen rechnen mit einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation in der ersten Jahreshälfte 2023. Nach einer Umfrage des Verbandes der Wirtschaft Thüringen (VWT), deren Ergebnisse am Freitag in Erfurt vorgestellt wurden, erwartet jeder zweite befragte Manager eine Verschlechterung im Vergleich zum ersten Halbjahr 2022. Fast jeder Fünfte habe angegeben, wegen der Energiekrise oder Lieferketten- und Arbeitskräfteproblemen die Produktion gedrosselt oder unterbrochen zu haben, sagte VWT-Präsident Hartmut Koch.

Zwölf Prozent der Befragten denken laut der Umfrage über eine Verlagerung ihres Unternehmens an einen anderen Standort nach; 21 Prozent wollen künftig vor allem außerhalb Thüringens investieren. Koch sieht darin auch ein Warnsignal an die Landes- und Bundespolitik, die Standortbedingungen zu verbessern. Dazu gehörten wettbewerbsfähigere Energiepreise, aber auch eine Willkommenskultur für ausländische Arbeitnehmer, die dringend gebraucht würden, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Bei der Willkommenskultur sehe er in einigen Regionen Thüringens Probleme, sagte Koch, ohne sie konkret zu benennen.

Positiv bewertete er Pläne von Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), bei der Ausbildungsvorbereitung von jungen Leuten aus dem Ausland oder mit Migrationshintergrund neue Wege zu gehen. Geplant ist laut Wirtschaftsministerium der Aufbau einer "German Professional School" (GPS) zur Gewinnung und Vorbereitung von Schulabsolventen aus dem Ausland für eine Ausbildung in Thüringen. Der Start solle dieses Jahr voraussichtlich im September mit etwa 300 jungen Leuten erfolgen, die bereits in Thüringen leben. Das Ministerium plant, die Kapazitäten innerhalb von sieben Jahren auf 5000 junge Leute auszubauen.

Wenig Bedarf sieht der VWT-Präsident dagegen bei den Finanzhilfen aus dem Thüringer Härtefallfonds. Nach einer Befragung sagten 67 Prozent der Firmen, sie wollten keinen Antrag auf die Unterstützung stellen. Sie kann gezahlt werden, wenn Unternehmen wegen der Energiekrise in existenzielle Probleme geraten. Als Gründe seien die Konditionen für die Gewährung von Finanzhilfen genannt worden, aber auch, dass das Geld nicht benötigt werde oder der bürokratische Aufwand zu hoch sei, sagte Koch.

Thüringen hatte Ende 2022 das Härtefallprogramm mit einem Volumen von 120 Millionen Euro gestartet, das nach Angaben des Wirtschaftsministeriums bisher nur schwach nachgefragt wird. Etwa 50 Anträge gebe es. Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) hat bereits vorgeschlagen, einen Teil des Geldes zur Förderung von Energieinvestitionen zu nutzen. Noch sei es zu früh, umzuschwenken, sagte Koch. Derzeit sei noch nicht absehbar, wie viele Firmen wegen hoher Energiekosten in Schieflage geraten könnten. Geprüft werden sollten die Zugangskriterien für die Finanzhilfen aus dem Härtefallprogramm.

© dpa-infocom, dpa:230127-99-380665/3

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: