Sportpolitik:Sport fürchtet "Notlage" - Olympia-Vorbereitung in Gefahr

Sportpolitik
DOSB-Leistungssportchef Dirk Schimmelpfennig. Foto: Michael Kappeler/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Frankfurt/Main (dpa) - Der deutsche Sport bleibt im Krisenmodus. Die drastisch steigenden Energiekosten erschweren auch die Reform des Spitzensportsystems und trüben so die Erfolgsaussichten für die Olympischen Spiele 2024 in Paris.

Wenn die Luft- und Wassertemperatur in Hallen und Bädern gesenkt werden muss oder es gar zu Schließungen kommen sollte, sind Beeinträchtigungen für Training und Wettkämpfe zu befürchten. "Die Einsparungen sind notwendig, genauso notwendig ist es aber, die Möglichkeiten für den Sport zu erhalten", sagte Dirk Schimmelpfennig, Leistungssportchef des Deutschen Olympischen Sportbundes. "Besonders nach zwei Jahren der Corona-Pandemie mit enormen Einschränkungen."

Gerade Sportarten mit hohen Trainingsumfängen wie der Schwimmsport würden "natürlich massiv zurückgeworfen", wenn das Training über einen gewissen Zeitraum unterbrochen werden müsste, sagte er. "Es muss gewährleistet sein, dass wir von der Politik so unterstützt werden, um den Sportbetrieb insgesamt im deutschen Breiten- und Leistungssport aufrechtzuerhalten."

Olympia-Qualifikationen stehen an

Schließlich stehen im vorolympischen Jahr 2023 die Qualifikationen für die Sommerspiele ein Jahr später in Paris an. Der DOSB sei mit den Verbänden im Dialog über Energieeinsparungen von mindestens 20 Prozent und werde Lösungen finden, wie das alles gut überbrückt werden könne, um keine "drastischen Einschränkungen" zu haben. Angesichts der Schwächen der Spitzensportreform blickt er den Spielen dennoch sorgenvoll entgegen: "Wir wissen alle, dass es in Richtung Paris schwierig sein wird, den Abwärtstrend bei Olympischen Spielen seit 1992 zu stoppen."

Besonders groß ist die Sorge des Deutschen Schwimm-Verbandes, nach der Corona-Krise "in die nächste große Notlage zu schlittern", sagte DSV-Leistungssportdirektor Christian Hansmann. Wenn viele Bäder in Deutschland schließen oder man die Temperatur herunterregeln müsste, beträfe es die breite Basis im DSV genauso wie die Elite. "Da sehe ich eine große Gefahr, dass wir in einem Jahr niemand mehr in die Spitze bekommen, weil die Trainingsbedingungen sich weiter verschlechtern", mahnte Hansmann.

Ein Schwimmer, der zweimal am Tag zwei Stunden im Wasser sei, könne bei 25 Grad nicht leistungsorientiert trainieren. "Das ist einfach zu kalt. Das Verletzungsrisiko steigt, Erkältungen häufen sich", sagte er. Deshalb sollten hochtemperierte Außenbecken abgeschaltet, Saunen und Freizeitbecken nicht geöffnet werden. Ganz zum Schluss, wenn alles nicht mehr reicht, sollte die Wassertemperatur in Sport- und Lehrsportbecken gesenkt werden. "Das sollte aber das allerletzte Mittel der Wahl sein."

15 Grad Celsius in Sporthallen empfohlen

Wichtig ist die Raumtemperatur auch für Hallensportarten oder jene, die im Winter draußen nicht mehr trainieren können. "Keine Frage, auch die Leichtathleten mit ihren 7700 Vereinen werden beim Sparen mithelfen, allerdings geht dies nur in dem Maße, wie ein Training noch verantwortbar ist", teilte der deutsche Verband auf dpa-Anfrage mit. Im Leistungssportbereich würde der Großteil der Sportler von solchen Maßnahmen betroffen sein: "Eins ist klar, kein Sportler und keine Sportlerin sollte beim Wintertraining in der Halle frieren."

Vom Arbeitskreis Maschinen- und Elektrotechnik staatlicher und kommunaler Verwaltungen wird eine Mindesttemperatur von 15 Grad Celsius in Sporthallen empfohlen. Sportverbände haben zudem eigene Vorgaben. Für den internationalen Volleyballverband darf es bis zehn Grad Celsius kalt sein; die deutschen Verbände für Tischtennis und Handball schreiben 15 Grad und der Badminton-Weltverband 18 Grad vor. Wie weit angesichts exorbitant teuer gewordener Gaspreise Luft und Wasser heruntergekühlt werden, entscheiden zumeist die Kommunen.

Die Hilferufe des organisierten Sports nach rascher staatlicher Unterstützung sind bisher nicht erhört worden. Im dritten Entlastungspaket des Bundes kommt die 27 Millionen Mitglieder große Sportbewegung mit 90 000 Vereinen gar nicht vor. "Ob daneben und über die von der Bundesregierung bereits beschlossenen Entlastungspakete hinaus weitere Maßnahmen notwendig werden, bleibt abzuwarten", teilte das Bundesinnenministerium auf dpa-Anfrage mit. Mahnungen, Sportstätten nicht zu schließen, werden manchmal so gekontert: "Schwimmbäder gehören wohl nicht zum kritischen Bereich, genauso wie die Produktion von Schokoladenkeksen", befand in einem Interview Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur.

Landessportbünde schlagen Alarm

Systemrelevant war der Sport in der Corona-Krise schon nicht. Die Folge war ein langer Stillstand mit einem Aderlass an Mitgliedern, an Trainern, an Ehrenamtlichen. Die 16 Landessportbünde schlagen erneut Alarm. "Die Energiekrise ist für den organisierten Sport bedrohlicher als die Corona-Krise", warnte die hessische Präsidentin Juliane Kuhlmann. Wenn keine Hilfen kämen, "gehen wohl bei vielen Vereinen die Lichter aus".

Der LSB Sachsen sprach von einem "Schreckensszenario infolge nicht zu bewältigender Energiekosten". Indem die Hallen kalt blieben, das Duschen untersagt und manch ein Training ganz abgesagt werden müsse, werde dem Sport jegliche Attraktivität und Grundsubstanz genommen: "Wenn wir eins in zwei Jahren Pandemie gelernt haben, dann doch wohl das: Kein Sport darf nicht die Lösung sein!"

"Es geht jetzt wirklich ans Eingemachte", sagte die im DOSB-Vorstand für Sportentwicklung zuständige Michaela Röhrbein. Mit einer repräsentativen Umfrage will der DOSB aussagekräftige Zahlen zur Auswirkung der Energiekrise auf den Breitensport sammeln, um die Forderung nach Finanzhilfe an Bund und Länder zu konkretisieren.

© dpa-infocom, dpa:220912-99-734529/4

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: