Extremismus - Berlin:Verfassungsschutz: Gefestigte Szene von Demokratieverächtern

Berlin
Kugelschreiber mit der Aufschrift "Verfassungsschutz" liegen auf einem Tisch. Foto: Soeren Stache/dpa-Zentralbild/dpa/Symbolbild (Foto: dpa)

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Berlin (dpa/bb) - Eine tiefsitzende Demokratieskepsis und Demokratieverachtung in Teilen der Gesellschaft ist nach Ansicht des Berliner Verfassungsschutzes durch die Corona-Pandemie sichtbar geworden. Falschmeldungen und Verschwörungserzählungen würden diese Verachtung noch verstärken, es gebe inzwischen eine "gefestigte Szene", teilten Innensenatorin Iris Spranger (SPD) und Verfassungsschutz-Chef Michael Fischer am Dienstag bei Vorlage des Jahresberichts 2021 mit. Hass und Hetze, die vor allem über Chatkanäle verbreitet würden, führten immer häufiger auch zu physischer Gewalt.

Seit dem vergangenen Jahr beobachte man daher als neuen Teil des Extremismus den Bereich "Bestrebungen zur Delegitimierung und Destabilisierung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung".

Zugleich gab es im vergangenen Jahr so viele registrierte Übergriffe auf Journalisten wie nie zuvor, hieß es vom Verfassungsschutz. Diese Entwicklung sei auch Ausdruck des von Rechts propagierten Feindbildes der sogenannten "Lügenpresse". Diese Entwicklung sei auch darauf zurückzuführen, dass Verfassungsfeinde seit einigen Jahren gezielt gegen Medien agieren würden, sagte Spranger.

Fischer ergänzte, die Situation habe sich zugespitzt, die Pressefreiheit sei aber ein "sehr, sehr hohes Gut", daher sei es wichtig, extra auf dieses Thema aufmerksam zu machen. Attacken auf die Medien habe es aber auch von Linksextremisten immer wieder gegeben, ebenso sei das "Feindbild Medien" in den islamistischen Ideologien fest verankert.

Spranger betonte die Wichtigkeit des Verfassungsschutzes. "Unsere Stadt wird regelmäßig von Verfassungsfeinden aus allen extremistischen Bereichen als Bühne für ihre Aktivitäten missbraucht." Zudem seien Geheimdienste aus dem Ausland in Berlin sehr präsent. Gerade der Krieg Russlands gegen die Ukraine mache deutlich, wie wichtig auch die Spionageabwehr sei.

Die Innensenatorin versicherte, alles gegen Rechtsextremisten etwa bei der Polizei zu tun. "Wir wissen um die Gefahr, die natürlich von Rechtsextremisten auch in Sicherheitsbehörden ausgehen kann." Sie würden das Vertrauen in die Behörde untergraben. 74 Verdachtsfälle habe es im vergangenen Jahr in Berlin gegeben, wie das Bundesamt für Verfassungsschutz kürzlich mitteilte.

Der Verfassungsschutz zählte 2021 in Berlin in den Bereichen Rechtsextremismus, Linksextremismus, Islamismus und weiteren Extremismus-Bereichen insgesamt etwa 10.000 Menschen, davon sind mindestens 2700 gewaltorientiert.

Rechtsextremismus: Zu diesem Spektrum gehören 1440 Menschen, etwa gleich viel wie 2020. Davon gelten 750 als gewaltorientiert. Zunehmend wird die Neonazi-Gruppe Der Dritte Weg zum "dominierenden Akteur". Das Potenzial der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter ist mit etwa 670 Menschen unverändert geblieben.

Linksextremismus: In diesem Bereich sind 3800 Menschen aktiv, 200 mehr als im Vorjahr. Der Zuwachs kam durch mehr Mitglieder bei der "Roten Hilfe", einer Organisation, die unter anderem linksextreme Straftäter finanziell unterstützt. Gewaltbereite Linksextremisten gibt es 950, etwas weniger als im Vorjahr. Die meisten Aktivitäten der linksextremistischen Szene hatten mit Räumungen verschiedener früher besetzter Häuser zu tun. Gewalttätig waren besonders Mitglieder des linksautonomen Spektrums.

Islamismus: Das Potenzial an Menschen wuchs um 90 auf 2260. Davon profitierten besonders gewaltbereite Gruppen, die insgesamt auf rund 1000 Mitglieder kommen. Viele Menschen aus dieser Szene waren beteiligt an den antisemitischen und israelfeindlichen Ausschreitungen bei Demonstrationen im Frühjahr 2021, hieß es. Slogans wie "Bombardiert Tel Aviv" und "Stich die Siedler ab" seien skandiert worden. Die israelfeindliche-antisemitische Haltung gehöre zur Ideologie der islamistischen Gruppen. Teile des islamistischen Spektrums begrüßten auch die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan und erhofften sich davon eine Signalwirkung.

© dpa-infocom, dpa:220524-99-413367/3

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