Regierung - Erfurt:Ärger in Koalition über Ramelow-Vorstoß

Corona
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow. Foto: Michael Reichel/dpa-Zentralbild/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

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Erfurt (dpa/th) - Ungeachtet aller in Aussicht gestellten Lockerungen müssen die Thüringer wohl weiter in Bussen, Bahnen und Geschäften Masken zum Schutz vor Corona-Infektionen tragen. Er werde dem Kabinett vorschlagen, dass in öffentlichen Verkehrsmitteln der Mund-Nasen-Schutz bleiben solle, sagte Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) am Montag in Interviews mit RTL/ntv und MDR. In der Kabinettssitzung am Dienstag solle aber darüber beraten werden, ob und wie erlassene Kontaktverbote gelockert werden könnten.

Zuvor hatte Ramelow mit seinem Vorpreschen bei den Corona-Lockerungen bundesweit und auch in Thüringen massive Kritik ausgelöst - auch aus den Reihen der eigenen rot-rot-grünen Koalition. So stellte sich Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne) gegen Überlegungen, bald auf landesweite Corona-Schutzvorschriften zu verzichten.

Innenminister Georg Maier (SPD) wiederum monierte, Ramelows Vorstoß habe die Akzeptanz vieler Menschen für die bestehenden Regeln untergraben. Beide gingen davon aus, dass das Kabinett am Dienstag zwar über den weiteren Thüringer Weg in der Corona-Krise beraten, jedoch keinen Beschluss fassen werde.

Am Wochenende hatte Ramelow angekündigt, den allgemeinen Lock-down beenden und künftig auf landesweite Corona-Schutzvorschriften verzichten zu wollen. An deren Stelle sollen lokale Regeln abhängig vom örtlichen Infektionsgeschehen treten und die Menschen mehr Eigenverantwortung übernehmen.

Den Plan verteidigte der Regierungschef am Montag mit Verweis auf das aktuelle Infektionsgeschehen. "Ich habe nicht gesagt, dass die Menschen sich umarmen sollen oder den Mund-Nasen-Schutz abnehmen und sich küssen sollen", sagte er dem MDR. Es gebe keinen Grund, leichtfertig zu werden. "Das heißt, dass bewährte Regelungen wie das Abstandhalten nicht aufhören sollen." Doch könne nunmehr das Management der Corona-Krise geändert werden.

Bei einem Treffen mit Kirchenvertretern am Montagnachmittag in Erfurt war Ramelow weiter sichtlich bemüht, die Wirkung seines Vorstoßes abzumildern. Das Virus sei nach wie vor gefährlich, stellte er fest. "Ich neige nicht dazu, jetzt Empfehlungen abzugeben, das man alles, was man antrainiert und angelernt hat, jetzt auf einmal ignorieren sollte." Er habe lediglich gesagt, er könne sich vorstellen, bei einer ganzen Reihe von Verboten zu Geboten überzugehen.

Ihm sei es etwa ein Anliegen, von bestimmten polizeilichen Maßnahmen Abstand nehmen zu können, erläuterte Ramelow. "Wenn in der Fußgängerzone zwei Familien laufen, möchte ich nicht mehr, dass die Polizei dort hingehen muss und sagen muss: Sind Sie nun aus einem Haushalt, aus zwei Haushalten, oder aus drei Haushalten?"

Dass der Kampf gegen das Coronavirus in Thüringen so erfolgreich sei, habe mit der hohen Akzeptanz der Menschen für Maßnahmen wie die Kontaktbeschränkungen zu tun, an die sie sich wochenlang gehalten hätten, konstatierte Ministerin Siegesmund. "Diese Schutzmaßnahmen darf man jetzt übers Wochenende nicht leichtfertig als erledigt abtun."

Massive Kritik kam auch aus Kommunen. "Das ist brandgefährlich", sagte der Präsident des Gemeinde- und Städtebundes, Michael Brychcy (CDU). Und Gothas Oberbürgermeister Knut Kreuch (SPD) mahnte: "Thüringens Menschen brauchen klare Festlegungen auf dem Weg zur Normalität und kein Wischiwaschi von widersprüchlichen Verordnungen." Ein Flickenteppich wäre die Brutstätte einer neuen Corona-Pandemie.

Unterstützung erhielt Ramelow dagegen aus dem Eichsfeld. "Ich glaube, dass sein Weg wohl ein kühner, dennoch aber ein richtiger ist", erklärte Landrat Werner Henning (CDU). "Man kann keine mündige und freie Gesellschaft dauerhaft mit einer staatlichen Corona-Polizei und einem Bußgeldkatalog regieren."

Außerhalb Thüringens schlug Ramelows Ansinnen zu Wochenbeginn ebenfalls weiter hohe Wellen. Die Länder sollten bei weiteren Lockerungen der Corona-Regeln nach Ansicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) "mutig und wachsam" vorgehen. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, die Kanzlerin halte Empfehlungen und Gebote nicht für ausreichend. Sie plädiere vielmehr dafür, dass es zur 1,5-Meter-Abstandsregel, zu Kontaktbeschränkungen und Hygienevorschriften weiterhin "verbindliche Anordnungen geben soll".

Unterdessen kündigte auch Sachsen eine grundlegende Änderung beim Umgang mit Corona-Einschränkungen an. "Wenn die Zahl der Neuinfektionen weiterhin stabil auf einem niedrigen Niveau bleibt, planen wir für die Zeit ab dem 6. Juni in der nächsten Corona-Schutzverordnung einen Paradigmenwechsel", sagte Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) in Dresden.

In Thüringen wurden zum Start in die neue Woche nur sechs neue Infektionen binnen 24 Stunden registriert. Damit wurden seit Beginn der Corona-Pandemie 2871 Infizierte gezählt; schätzungsweise 2480 davon gelten inzwischen als genesen; 152 Menschen starben seither mit oder an einer solchen Infektion. Die landesweite Infektionsrate betrug 5,8 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen. In neun Kreisen und kreisfreien Städten lag die Quote bei null; der höchste Wert wurde für den Kreis Sonneberg in Südthüringen mit 35,6 ausgewiesen.

Angesichts der niedrigen Infektionszahlen will das Innenministerium in Erfurt den Landeskrisenstab zur Corona-Pandemie vorerst auflösen. Minister Maier wolle diesen Schritt kommende Woche (2.6.) im Kabinett vorschlagen, sagte eine Sprecherin des Ressorts am Montag. Zuvor hatte der MDR Thüringen darüber berichtet. Es sei nicht mehr zu vertreten, den Stab sieben Tage die Woche 24 Stunden im Dienst zu halten, wurde Maier zitiert. Stattdessen soll Ramelow zufolge die Kapazität im Gesundheitsministerium hochgefahren werden. Begründung: "Damit die Steuerung und Abwehr von Infektionen in den Gesundheitsämtern lokal viel stärker betrachtet wird."

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