Terrorismus - Celle:Ministerin sagt in Terrorprozess aus

Celle (dpa) - Nur wenige Meter und eine Panzerglasscheibe trennen Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza von den bundesweit mutmaßlich schlimmsten Drahtziehern der Terrormiliz Islamischer Staat. Dass die CDU-Politikerin im adretten Hosenanzug am Dienstag im Oberlandesgericht Celle über Stunden gemeinsam mit Hassprediger Abu Walaa und vier bärtigen Mitangeklagten im Hochsicherheitssaal sitzt, hat einen besonderen Grund. Da Havliza vor ihrer Ernennung zur Ministerin als Richterin in Düsseldorf zahlreiche Terrorprozesse verhandelte, wird sie für eine Zeugenaussage zu einem der Angeklagten benötigt.

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Celle (dpa) - Nur wenige Meter und eine Panzerglasscheibe trennen Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza von den bundesweit mutmaßlich schlimmsten Drahtziehern der Terrormiliz Islamischer Staat. Dass die CDU-Politikerin im adretten Hosenanzug am Dienstag im Oberlandesgericht Celle über Stunden gemeinsam mit Hassprediger Abu Walaa und vier bärtigen Mitangeklagten im Hochsicherheitssaal sitzt, hat einen besonderen Grund. Da Havliza vor ihrer Ernennung zur Ministerin als Richterin in Düsseldorf zahlreiche Terrorprozesse verhandelte, wird sie für eine Zeugenaussage zu einem der Angeklagten benötigt.

"Frau Ministerin, ich muss Sie wie jeden Zeugen belehren", sagt der Vorsitzende Richter Frank Rosenow lachend, als Havliza (61) im Zeugenstand Platz nimmt. "Sie müssen hier die Wahrheit sagen, sonst machen Sie sich strafbar." Havliza nimmt die ungewöhnliche Ansage sportlich, sonst wird ihr bei Gerichtsbesuchen als Justizchefin quasi der rote Teppich ausgerollt. Stattdessen erwartet sie eine über zweistündige Detailbefragung zu den Aussagen eines Gymnasiasten aus Duisburg, den sie 2017 als Unterstützer der Terrormiliz verurteilte. Zu einer erneuten Aussage in Celle war der junge Mann nicht bereit, deshalb ist Havlizas Erinnerung an seine Schilderungen in Düsseldorf gefragt.

Es sind erschütternde Einblicke in die Radikalisierung junger Menschen, die ihren Eltern entgleiten und ihr Heil in einer radikalen Religionsauslegung suchen. Wie Havliza aussagt, hat der mitangeklagte Reisebüroinhaber Hasan C. aus Duisburg den Gymnasiasten und andere junge Männer in einem Hinterzimmer in der Ideologie des Islamischen Staates geschult und mit ihnen Hinrichtungs- und Anschlagsvideos "schlimmster Art" angeguckt, auch ein Köpfungsvideo mit "Dschihadi John". Ob ihm da nicht schlecht geworden sei, habe sie den Jugendlichen gefragt. Ihnen sei beigebracht worden, dass es gerechtfertigt sei, Ungläubige so zu töten, habe der Schüler gesagt.

Täglich habe der Gymnasiast den Angeklagten aufgesucht, der für ihn zu einer wichtigeren Vertrauensperson als der eigene Vater geworden sei. Greifbar wird die Radikalisierung im Gerichtssaal plötzlich, als zwei Fotos an die Wand projiziert werden, die die Islamschüler in dem Hinterzimmer des Reisebüros in Duisburg-Rheinhausen zeigen. Zwei heimliche Schnappschüsse, mutmaßlich von einem auf die Szene angesetzten V-Mann. Dem Ausreisewunsch des Jugendlichen nach Syrien habe der Reisebüroinhaber aber eine klare Absage erteilt, sagte Havliza. Er solle erst studieren, seine Zeit werde noch kommen. Gleichzeitig solle C. gesagt haben: "Bringt mir junge Leute."

Während all der Schilderungen schüttelt der Reisbürochef hinter dem Panzerglas wie so oft in dem Prozess den Kopf, wirft die Hände in die Luft und lächelt. Abu Walaa, der wegen seiner Videoauftritte mit abgewandtem Kopf auch als "Prediger ohne Gesicht" bezeichnet wird, streicht sich währenddessen über seinen gepflegten Bart. Seine Auftritte als Prediger stehen außer Frage, seine tatsächliche Rolle bei der geplanten Ausreise radikalisierter junger Leute bleibt auch im Fall des Duisburger Gymnasiasten vage. Den Schüler zumindest stoppten die Sicherheitsbehörden, ehe er sich auf die Reise machte.

Abu Walaa und den vier Mitangeklagten wird vorgeworfen, junge Menschen vor allem im Ruhrgebiet und im Raum Hildesheim islamistisch radikalisiert und in die IS-Kampfgebiete geschickt zu haben. Sie müssen sich wegen Unterstützung und Mitgliedschaft in der Terrormiliz verantworten. Der seit inzwischen knapp zwei Jahren laufende Prozess geht auf die Zielgerade. Die Angeklagten erwarten lange Haftstrafen.

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