Zukunft der Messenger:Bier bestellen per Whatsapp

Zukunft der Messenger: Verbreitetes Logo auf vielen deutschen Smartphones: Whatsapp.

Verbreitetes Logo auf vielen deutschen Smartphones: Whatsapp.

(Foto: Andrea Warnecke/dpa-tmn)
  • In Asien sind Messenger längst Allzweck-Werkzeuge für die Bestellung von Mahlzeiten, Lebensmitteln oder Taxis.
  • Schwappt der Trend auf Whatsapp und Co über?
  • Messenger könnten die zentrale mobile Anwendung werden - und damit wichtiger als Android und iOS.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Vorsicht, in dieser exotischen Meldung versteckt sich ein Stückchen Zukunft: Der japanische Messenger-Dienst Line ermöglicht seinen 36 Millionen Nutzern in Thailand künftig, aus der App heraus lieferbare Lebensmittel zu bestellen.

Eine Ladung Chang-Bier per Messenger ordern, statt mit Freunden zu chatten? In Deutschland, wo Whatsapp und Facebook Messenger den Ton angeben, klingt die Idee surreal. In Asien allerdings, wo Hunderte Millionen Nutzer das PC-Zeitalter übersprungen haben und in der Smartphone-Welt gelandet sind, erscheinen solche Funktionen schlicht logisch.

Die drei großen Smartphone-Messenger Line (Hauptkundschaft in Japan), WeChat (China) und Kakaotalk (Südkorea) versammeln zusammen mehr als eine Milliarde Nutzer hinter sich. Doch es ist nicht nur die gewaltige Zahl, die westliche Tech-Firmen beeindruckt, sondern auch der Entwicklungsstand: Die Messenger sind keine reinen Chat- und Fotosharing-Dienste mehr, sondern vereinen höchst unterschiedliche Funktionen in einer einzigen App.

Schweizer Taschenmessenger

Line ist schon länger für den umsatzträchtigen Verkauf bunter Digital-Sticker bekannt, die klassische Emoticons ziemlich altbacken aussehen lassen; Nutzer können in der App allerdings auch Games spielen oder Coupons von Firmen sammeln, denen sie folgen. Im Dezember kaufte Line dem US-Konzern Microsoft den Streamingdienst MixRadio ab, der bald in die App integriert werden dürfte. Mit der Lieferfunktion nähert sich Line auch WeChat an, das einer von mehreren Messengern des Alibaba-Rivalen Tencent ist. WeChat-Nutzer haben nicht nur zahlreiche Kommunikationsfunktionen, sie können über den Dienst auch mobil und online bezahlen oder sich gegenseitig Geld schicken.

In sieben asiatischen Regionen lassen sich seit einiger Zeit in der App auch Kleider, Essen oder ein Taxi bestellen - WeChat hat sich hierfür mit Tochterfirmen von Rocket Internet zusammengetan. In China steht mit dem direkten Alibaba-Konkurrenten JD.com ein mächtiger Partner für ähnliche Dienste bereit. Zudem lässt das Unternehmen inzwischen Marken ihre eigenen Shops in der App einrichten.

All das lässt im Westen genutzte Software wie Whatsapp und Facebook ziemlich knöchern aussehen. Im vergangenen Frühjahr machte sich WeChat bereits über Facebook-Chef Mark Zuckerberg lustig und legte einen Doppelgänger in einem Werbespot auf die Psychiater-Couch. Die Klage: Alle meine Freunde verlassen mich.

In Asien ist das Smartphone ein Ersatz für Plastikgeld

In Wahrheit hat Facebook noch genügend Freunde, doch es ist kein Geheimnis, dass im Hauptquartier in Menlo Park gerade intensiv darüber nachgedacht wird, was mit dem 19-Milliarden-Dollar-Einkauf Whatsapp passieren soll (und wohin sich der hauseigene Messenger entwickelt).

Facebooks Messenger-Chef David Marcus kam vergangenen Sommer von Paypal und bereiste Asien, um Eindrücke zu sammeln. "Es ist wirklich faszinierend", schwärmte er in einem Interview von den Multifunktions-Messengern, "allerdings funktioniert es dort eben, weil der Zustand des Marktes ein anderer ist als hier."

So ist Plastikgeld in vielen Gegenden Asiens kaum verbreitet; das Smartphone nimmt hier zunehmend die Ersatzrolle ein. Zudem gibt es für fast alle Funktionen, die WeChat und Co bieten, im Westen eigene Apps - in diesen Markt zu drängen, wäre ein deutlich höherer Aufwand. Und eine weitere Frage, die sich stellt: Wollen viele Messenger-Nutzer überhaupt mehr, als zu chatten und Fotos zu teilen?

Path, ein mäßig erfolgreiches US-Netzwerk, scheint daran zu glauben und bietet seit einiger Zeit einen ungewöhnlichen Dienst an: In seiner Messenging-App Talk können Nutzer in englischsprachigen Ländern Restaurants oder Geschäfte mit Fragen anchatten.

Digitaler Butler als Mittelsmann zu Marken

Genauer gesagt erhält ein menschlicher Digital-Concierge Fragen wie zum Beispiel "Wie lange ist die Schlange vor Ihrem Restaurant?" oder "Haben Sie das Smartphone xy vorrätig?" Der Concierge sucht nach der richtigen Antwort und übermittelt diese dann per Chat-Nachricht. Ein solcher Dienst ist aufwändig, öffnet aber die Türen für ein direkteres Verhältnis zwischen Unternehmen und Messenger-Nutzern - eine Vermittlung, die sich eine Plattform in der Theorie glänzend bezahlen lassen könnte.

Doch womöglich geht es auch um mehr. Ben Thompson, einer der derzeit klügsten Tech-Beobachter, sieht die Messenger-Dienste so dominant werden, dass sie "die mobile Plattform darunter überflüssig machen werden." Sein Szenario: "Wenn alle wichtigen Apps durch deinen Messenger-Dienst geleitet werden, ist das darunter liegende Betriebssystem - ob iOS oder Android - mehr und mehr irrelevant."

Warum Amerikaner kaum Whatsapp nutzen

Wer mit Amerikanern über Whatsapp spricht, erhält häufig fragende Blicke: Nur acht Prozent aller Mobil-Nutzer haben den Messenger installiert. Die Gründe sind unterschiedlich: So adaptierten die USA aus technischen Gründen schon SMS recht spät (der Durchbruch war etwa 2008), die Textnachrichten waren dafür in den vergangenen Jahren immer häufiger Teil von Mobilfunk-Verträgen, also "gefühlt" ohnehin kostenlos.

Inzwischen dürfte die Mobilchat-Nutzung gestiegen sein, was auch am Facebook-Messenger liegt, den im vergangenen Jahr 43 Prozent aller US-Smartphone-Nutzer installiert hatten. Mit 42 Prozent iPhone-Nutzern dürfte es zudem eine größere Gruppe geben, die über iMessage (die nicht von der SMS zu unterscheiden ist) kommuniziert - Statistiken hierzu fehlen jedoch.

Dass "die USA" kein Whatsapp nutzen, stimmt übrigens nicht: 47 Prozent aller Whatsapp-Nutzer dort sind hispanischer Herkunft - eine große Rolle dürfte die große Beliebtheit der App in Mittelamerika spielen, wo häufig noch Verwandte wohnen.

Auf dem Android-Kontinent Asien zeichnet sich eine solche Entwicklung bereits ab - ein Signal für den nächsten Umbruch in der noch jungen Smartphone-Welt?

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: