Zensur:Wenn der Staat das Internet abschaltet

Arrests made in Istanbul protests against new internet law

Demo gegen Internet-Blockaden ihrer Regierung: junge Türken in Istanbul (2014).

(Foto: dpa)

Irak will verhindern, dass Schüler in Prüfungen tricksen. Oft folgen Abschaltungen aber unsaubere Wahlen oder Gewalt. Das Werkzeug staatlicher Willkür wird immer beliebter.

Von Jannis Brühl

Als die Menschen im Irak aufwachten, war das Internet weg. Die Regierung ließ von Samstag bis Montag zwischen fünf und acht Uhr alle Knotenpunkte an den Landesgrenzen blockieren. So sollten nach Angaben der Regierung Schüler gehindert werden, sich vor den Abschlussprüfungen online richtige Ergebnisse zu besorgen. Deshalb hatte das Kommunikationsministerium auf Bitten des Bildungsministeriums das Internet im ganzen Land - außerhalb des autonomen Kurdistan - ausgeknipst.

Es klingt wie eine Posse, die nur ein Land betrifft. Iraks Regierung sieht Prüfungsbetrug als nationales Problem. In den Stunden zwischen der Auslieferung der zentralisierten Tests an die Schulen und dem Examen hatte es immer wieder undichte Stellen gegeben. Über spezialisierte Facebook-Gruppen gab es 2015 dem Sender NBC zufolge die Ergebnisse schon für neun Dollar zu kaufen. Doch dass die Regierung zum drakonischen Mittel der Internet-Abschaltung greift, ist ein Problem, das weit über den Irak hinausgeht. Deji Olukotun von der Bürgerrechtsgruppe Access Now sagt: "Das war unverhältnismäßig. Die haben einen Vorschlaghammer benutzt, nur damit Schüler nicht abschreiben."

Staaten schalten immer öfter das komplette Netz in ihrem Land oder bestimmten Regionen ab. Von Nauru in der Südsee bis Indien, Pakistan und der Türkei: Access Now, eine der wenigen NGOs, die sich mit diesem Mittel staatlicher Willkür beschäftigt, zählte vergangenes Jahr 15 Abschaltungen. Allein in den ersten Monaten 2016 waren es bereits zwölf. "Das Problem wird immer drängender", sagt Olukotun. "Abschaltungen des Netzes sind oft Frühindikatoren für Menschenrechtsverletzungen und sie sind katastrophal für die Wirtschaft." Vergangenes Jahr verurteilten die OSZE und der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit "Abschaltknöpfe" (kill switches) für das Internet in einer gemeinsamen Erklärung.

Die Regierung schaltet ihre Gegner ab

Insbesondere in Afrika und Asien, wo mobile Bezahlsysteme weit verbreitet sind, haben Eingriffe ins Netz eine Schockwirkung in der Gesellschaft. Sie bringen große Teile des öffentlichen Lebens zum Erliegen und schränken den Zugang zu Informationen ein. Der ist insbesondere in jenen Notfällen wichtig, den viele Regierungen als Grund für die Abschaltung anführen. So tat es etwa die türkische, als sie nach einem Anschlag in Ankara im März Facebook und Twitter blockierte. So ein massiver Eingriff beschränkt auch das Teilen von Informationen, ob eine "Mir geht es gut"-Nachricht an Verwandte oder Berichterstattung von Journalisten. Er ist ein Mittel, eine Gegenmacht, die sich im Netz formiert, im Wortsinne abzuschalten.

Ägyptische Telekom-Anbieter haben den ehemaligen Präsidenten Hosni Mubarak und seine Clique auf etwa 60 Millionen Dollar verklagt, weil sie 2011 während des Aufstandes für vier Tage das Internet lahmlegte. Als die Regierung Ugandas während der Präsidentenwahl Anfang des Jahres das mobile Internet abschaltete, wurden Schätzungen von Access Now zufolge am Tag 25 Millionen Dollar vernichtet. "Besonders die Banken sind angepisst, wenn ihnen deshalb Geschäfte entgehen", sagt Olukotuns Kollege Peter Micek.

Die Argumentation der Staaten für die Abschaltungen ist unterschiedlich: In der Republik Kongo ließ der mit einer Unterbrechung seit 1979 amtierende Präsident Denis Sassou-Nguesso während der Wahlen alle Mobilfunk- und Datennetze für 48 Stunden abschalten, um angeblich "illegales Berichten über Wahlergebnisse" zu verhindern. In Uganda hieß es, dass während der Wahlen über mobile Bezahlsysteme Bestechungsgelder gezahlt würden. Dass die Abschaltung Aktionen der Opposition lähmte, dürfte den Amtsinhabern gut gepasst haben.

Strafe für den Aufstand: ein Monat Whatsapp-Sperre

Mal ist das Handynetz betroffen, mal einzelne Dienste, die wichtige Kommunikationssysteme für ihre Nutzer sind. Behörden in Brasilien ließen Whatsapp schon zweimal per Gerichtsbeschluss blockieren, weil das Unternehmen Ermittlern keine Daten über einen Nutzer aushändigen wollte. 100 Millionen Brasilianer waren betroffen. Indien unterbrach mobile Internetdienste in Kaschmir während Zusammenstößen mit Demonstranten, nachdem Protestierende erschossen worden waren. Das erschwerte es, mögliche Vergehen der Sicherheitskräfte zu dokumentieren.

Staaten setzen Abschaltungen auch als Strafe ein, zum Beispiel Äthiopien: Kurz nach einem Aufstand in der Region Oromia, bei dem Dutzende Bewohner erschossen wurden, drehte die Regierung über den staatlichen Telefon-Monopolisten der gesamten Region einen Monat lang den Zugang zu Whatsapp und Facebook Messenger ab.

Dass das Problem nicht auf instabile und autoritäre Staaten beschränkt ist, zeigt nicht nur der Fall aus Brasilien. In den USA hat das Heimatschutzministerium die Standard Operation Procedure 303 geschaffen. Sie regelt, wie im Fall "nationaler Krisen" mobile Netze an bestimmten Orten wie Tunneln, Brücken, aber auch in ganzen Städten deaktiviert werden.

Und Deutschland? Zwar erklärt die Bundesnetzagentur, dass die rechtlichen Grundlagen für einen solchen Eingriff auf Bundesebene fehlten. Die Polizeigesetze mehrerer Bundesländer wie Thüringen und Rheinland-Pfalz erlauben es aber explizit, Kommunikation abzuschalten. Das gilt auch, wenn davon unverdächtige Personen betroffen sind.

Manche Unternehmen merken nichts von Abschaltungen

Die Dunkelziffer der Abschaltungen sei hoch, sagt Olukotun, sie zu erfassen schwierig. Facebook und Google etwa speichern Störungen in eigenen Systemen, die Telefonanbieter teilweise gar nicht. NGOs müssen sich oft auf Augenzeugenberichte verlassen. "Manchmal dachten die Unternehmen auch, es sei ein Fehler in ihrer Software", sagt Olukotun. Die Regierungen sagen ihnen nicht immer Bescheid, wenn sie technische Maßnahmen ergreifen. "Überraschend war, dass manche der Unternehmen gar nicht wissen, dass sie geblockt werden."

Wie kann die Brechstangen-Methode der Regierungen verhindert werden? Oft seien es zwei Gruppen innerhalb einer Regierung, die sich befehden, sagt Olukotun. Eine, die das Netz aus wirtschaftlichen Gründen am Laufen halten will; und eine, in der Regenten oder Minister ihre Macht mit Abschaltungen sichern wollen. An die erste, kommerzielle Gruppe wollen die Aktivisten von Access Now appellieren. Sie wollen außerdem die Netzbetreiber dazu bringen, Widerstand zu leisten, auch gemeinsam mit ihren Konkurrenten. Es wäre eine Allianz von Bürgerrechtlern und Konzernen, wie man sie aus dem Streit zwischen Apple und dem FBI um Verschlüsselung kennt.

In der Zentralafrikanische Republik trafen sich nach einer Blockade aller SMS die Chefs der vier großen Anbieter und sagten der Regierung: 'Das ist schlecht für unser Geschäft.' Am Ende hatten sie Erfolg. Nach acht Wochen konnten die Menschen wieder SMS verschicken.

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