YouTube sperrt M.I.A.-Video:Der Stachel der Provokation hat sich abgenutzt

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Man mag einwenden, dass Costa-Gavras mit seinen Filmen lediglich die Verschwörungsphantasien des linksliberalen Bürgertums bediente. Ähnlich direkt richtet sich sein Sohn mit seinen Videos an die Empörung einer Generation Bürgerkinder, die mit der Antiglobalisierungsbewegung aufgewachsen ist und von einer Rebellion träumt, die mehr ist als eine schicke Pose. Doch das subtile Argumentieren war noch die Sache des politischen Pop.

Romain Gavras hat Erfahrung mit solchen Provokationen. Vor zwei Jahren drehte er zur Single "Stress" des französischen Dancerock-Duos Justice einen ganz ähnlichen Kurzfilm, der eine Gang vornehmlicher schwarzer Banlieue-Kids begleitet, die Passanten verprügeln, Frauen belästigen, sich mit der Polizei anlegen und ein Auto abfackeln.

Das war in einem Frankreich, das sich gerade von den nächtelangen Aufständen Jugendlicher in seinen Elendsvierteln erholte Provokation genug, um das Video aus dem Fernsehen zu verbannen. Für die Popkultur ist YouTubes Akt der Zensur allerdings nicht nur der Übergriff eines Medienmonopolisten, sondern auch ein Akt der Befreiung.

Gavras hat sich mit "Born Free" von einer Ästhetik abgewendet, die lange mit der politischen Inkorrektheit und mit dem Pornographischen gespielt hat. Geprägt haben diese Ästhetik die New Yorker Fotografen Terry Richardson und Ryan McGinley, Zentralorgan ist die Zeitschrift Vice, die inzwischen in 19 Länderausgaben erscheint.

Subversivität kennt keine Ironie

Dort ist die Koketterie mit Tabus wie Diskriminierung und Pädophilie genauso ironisch gebrochen wie das Spiel mit der Amateurpornographie. Der Stachel der Provokation hat sich jedoch längst abgenutzt. Ryan McGinleys Bilder wurden schon vor sieben Jahren im Guggenheim Museum gezeigt und Terry Richardsons Heimpornostimmung prägt längst die Bildsprache der Modekampagnen von Konzernen wie American Apparel .

Wenn die Ästhetik einer Subkultur die Seiten von Modemagazinen und Plakatwände erreicht, hat sie ihre subversiven Kraft verloren. Wenn Romain Gavras nun auf die Schockwirkung der Gewalt zurückgreift, um sie als politische Parole zu verwenden, dann kehrt er sich auch von der Ironie des Nullerjahre-Pop ab.

Die Selbstrettung des Referenzpop

In M.I.A. hat er da eine Gleichgesinnte gefunden. Schon auf ihrem ersten Album "Arular" stilisierte sie sich vor fünf Jahren ganz ironiefrei zur Rebellin, verpackte politische Parolen in zeitgenössische Beats und ging mit ihrem Vater hausieren, der in Sri Lanka die Tamil Tigers mitgründete.

Auch Gavras knüpft fern jeder Ironie an die Generation seines Vaters an. "Born Free" zitiert Costa-Gavras "Z" genauso wie Peter Watkins Agitpropfilm "Punishment Park", Eddie Adams Fotosequenz von der Erschießung eines Vietcong und die Crack-Reportagen von Eugene Richards.

Und dann ist das noch M.I.A.s Produzent Diplo, der den Song auf dem Stück "Ghost Rider" der Band Suicide aufbaut, in dem im Refrain der Satz "America. America is killin' its youth" mantraartig wiederholt wird. So rettet sich der Referenzpop der Nullerjahre aus der Ironie in die Politik. Und Googles YouTube adelt den Befreiungsschlag mit Zensur.

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