Windows Vista und seine Schrift:Der Bauch des "a"

Grafiker werfen Microsoft vor, die Standardschrift für das neue Windows Vista geklaut zu haben. Es wäre nicht das erste Mal, dass solche Vorwürfe erhoben werden.

Jakob Klein

Ein phantasievoller Kalligraph kann mit Tuschestange, Federkiel, Pinsel, Spitzhacke, mit der Kreissäge und sogar mit Erdbeermarmelade Seiten voller Schönheit erschaffen." Diesen Satz haben die Gestalter von Microsoft formuliert. Dass die Phrase nun für Streit sorgt, liegt nicht an ihrem Inhalt, sondern am Aussehen der Buchstaben.

Das Logo von Windows Vista

Das Logo von Windows Vista, der kommenden Version des Microsoft-Betriebssystems für Büro- und Heimrechner.

Der Satz steht in einem Geschmacksmuster, geschrieben in der neuen Schriftart "Segoe". Doch diese sei nicht phantasievoll, sondern schlicht kopiert, sagt jetzt ein Konkurrent. Dabei geht es nicht um irgendeine Schrift.

Die Segoe wird vorraussichtlich Büros und Schreibtische auf der ganzen Welt beherrschen. Das neue Betriebssystem Windows Vista und die nächsten Office-Programme wie Word, Excel und Powerpoint sollen nach Segoe aussehen: Fenstertitel und Dialogboxen, Menüs und der Arbeitsplatz.

Anschauliche Argumente

"Es ist eine neutrale, ernste Schrift. Sie ist perfekt für das internationale Publikum," schwärmt Simon Daniels, Leiter der Schriftentwicklung bei Microsoft.

Doch die Bad Homburger Firma Linotype hat Einspruch bei der Behörde für Marken und Geschmacksmuster im spanischen Alicante eingelegt. Das Unternehmen hat anschauliche Argumente. Denn wer einen Satz in der Segoe von Microsoft schreibt und den gleichen Satz in der Linotype-Schrift "Frutiger Next", erkennt kaum Unterschiede.

Nur wer penibel hinschaut, sieht etwa bei der Ziffer 1 und dem kleinen "j" Abweichungen.

Diese Geschichte lässt Typographen aufhorchen. Denn Microsoft sah sich bereits einmal mit Plagiat-Vorwürfen konfrontiert. "Unter Schriftgestaltern ist die Meinung da einhellig," sagt Ingo Preuß, Gründer von typeforum.de, "mit der Segoe wiederholt sich der Fall Arial".

Der beginnt im Jahr 1957 am Zürcher Flughafen. Damit der Airport sicher und modern aussieht, lassen die Betreiber eine eigene Schrift entwickeln: Es entsteht die "Helvetica". Heute kennt sie jeder, denn viele Zeitungen und Firmen nutzen sie.

Der Bauch des "a"

Auch dem aufstrebenden Konzern Microsoft gefällt sie. Modern und sicher, das passt nicht nur zu einem Flughafen, sondern auch zu einem Betriebssystem.

Doch statt die Schrift von Linotype zu kaufen, bringt Microsoft eine eigene, wenn auch auffällig ähnliche Schrift heraus: die "Arial", heute Standard auf "Squillionen von Dokumenten", wie es Simon Daniels stolz ausdrückt.

Nach dem Erfolg der Zürcher soll auch der Pariser Flughafen 1970 eine eigene Schrift bekommen. Die Gebäude sind rund angelegt, deshalb fällt die Orientierung besonders schwer. Man fragt den Typographen Adrian Frutiger. Der macht Versuche mit verschiedenen Symbolen und Schriften und überarbeitet eine frühere Schrift.

Es entsteht die "Frutiger". Und an diesem Punkt scheint sich die Geschichte zu wiederholen: Das neue Windows sieht der Beschilderung des Pariser Flughafens sehr ähnlich.

In die Jahre gekommen

Pikant dabei: Die Segoe ähnelt einer wenige Jahre alten Weiterentwicklung der Frutiger, genannt "Frutiger Next". Diese entstand für die Beschilderung der Alten Pinakothek in München. 1997 hat sie der Schriftgestalter Erik Faulhaber entworfen.

Die ursprüngliche Frutiger war in die Jahre gekommen. Und Computer boten andere Möglichkeiten als der Bleisatz der 70er Jahre. "Zu Besuch bei Adrian Frutiger in der Schweiz, zeigte ich ihm die drei Schnitte," sagt Faulhaber. "Da hatte er die Idee, ich solle doch die ganze Schriftfamilie überarbeiten."

Also nahm sich Faulhaber Zeit. Zwei Jahre lang tüftelte der freie Gestalter für Linotype an der neuen Schrift. Vor allem die Unterschiede zwischen fetten, normalen und kursiven Zeichen beschäftigten ihn. "Eine Liebeserklärung", nennt er das Ergebnis, "sie ist zurückhaltend, aber nicht schüchtern".

Wie ihr Vorbild, verkaufte sich auch die "Next" erfolgreich. "Als Frutiger meine Überarbeitung vor sich sah, hatte er Freudentränen in den Augen", erinnert sich Faulhaber.

Der Bauch des "a"

Zu jener Zeit muss Microsoft sich auf die Suche nach einer neuen Schrift für Windows gemacht haben. Besonders technische Überlegungen spielten eine Rolle. Auf Flachbildschirmen wirken ältere Schriften oft bleich.

Deshalb entwickelte Microsoft die neue Darstellungstechnik "Clear Type" und die Segoe. Das "exklusive Aussehen" mache es schwer, die optische Anmutung von Windows Vista zu kopieren, sagt Daniels.

Doch die Gemeinsamkeit mit der Frutiger Next erkennt man zum Beispiel am kleinen "a". In der alten Frutiger sieht es aus wie in diesem Text, hat einen kleinen Bauch und darüber einen Bogen.

Dem kursiven "a" der Überarbeitung hat Faulhaber jedoch einen großen Bauch gegeben, es sieht aus wie ein "a" in Schreibschrift. Und den selben Bauch hat auch das kursive "a" der Segoe.

Nur der Strich ist schützbar

Für einen rechtlich wirksamen Schutz genügt das nicht. "Für mich macht es keinen Unterschied, ob ich einen Strich auf Papier mache oder im Computer einen Buchstaben forme.

Aber nur der Strich ist als Kunst schützbar", erklärt Gestalter Preuß. Diese weiten Grenzen hätten in der Vergangenheit alle Firmen genutzt, auch Linotype. Doch der Fall Segoe offenbart eine neue Qualität. Denn Microsoft versucht, sich das vermeintliche Plagiat schützen zu lassen.

Doch nicht als Kunstwerk, sondern als Software für den Computer. Das Ergebnis: Nicht Ähnlichkeit ist dann entscheidend, sondern wie der Computer die Schrift speichert. So kann eine Linie als eine Reihe vieler nebeneinander liegender Punkte, aber auch als Verbindung zwischen zwei Punkten abgespeichert sein.

Die meisten Schriften sind heute mathematisch als Kurven oder Formen beschrieben. Und da gibt es für die selbe Darstellung mehrere Formeln.

Deshalb genügt es Linotype rechtlich nicht, dass die Segoe der Frutiger Next so ähnlich sieht. Entscheidend ist, wie die Schriftdatei technisch entstanden ist. Bedenklich wäre es, sollten die Dateien einfach kopiert worden sein.

Ein bisschen geehrt

Weniger bedenklich wäre es, hätte man eine Schrift gescannt und nachgemalt, denn dabei entstehen neue Daten. Eine Eigenschaft der Segoe ist, so steht es auf einer Microsoft Website, dass sie gut zu scannen sei.

Um auszuschließen oder zu beweisen, wie die Segoe zustande gekommen ist, bräuchte man die elektronischen Daten von Microsoft. Doch die stellt der Konzern nicht zur Verfügung. "Das Achten von Schriftentwürfen hat ausschließlich mit Moral zu tun", sagt Preuß.

Und auch Faulhaber ärgert mehr ein "möglicherweise schlechtes Ergebnis". Von der weiteren Verbreitung seiner Schriftidee fühle er sich sogar "ein bisschen geehrt".

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