Eigentlich war Wikileaks-Gründer Julian Assange nach Schweden gekommen, um Ruhe und Geborgenheit zu finden. Das Land mit den strengen Quellenschutzgesetzen erschien ihm als idealer Standort für die Zentralrechner seiner Website. Doch in diesen Tagen dürfte er sich kaum geborgen fühlen. Erst am Mittwoch leitete die Staatsanwaltschaft Stockholm offiziell Vorermittlungen gegen ihn ein: wegen Belästigung. Und die Journalisten quälen Assange mit immer unangenehmeren Fragen.
Egal, ob sich der Vorwurf der Belästigung gegen ihn erhärtet - das Image von Wikileaks-Gründer Julian Assange und seiner Enthüllungs-Plattform bleibt angekratzt.
(Foto: AP)Die Vorwürfe waren nicht das einzige, was den Ruf der Enthüllungswebsite in jüngster Zeit beschädigte. Dabei hatte alles vielversprechend angefangen: 2006 gegründet, wurde Wikileaks rasch zum Flaggschiff der "neuen Medien", die alles besser machen wollten als die etablierten Zeitungen, Radio- und Fernsehsender. Diese "alten Medien" haben nach Meinung der Netz-Avantgarde nämlich ein Glaubwürdigkeitsproblem. Man wirft den Redaktionen Geheimniskrämerei vor; den Medienkonzernen, dass sie in einem undurchsichtigen Geflecht von wirtschaftlichen Abhängigkeiten gefangen sind. Kurz: Es fehlt, so ein gängiges Urteil, der Branche an Transparenz.
Da kam nun Wikileaks mit der Idee, jeder Bürger solle brisante Insiderinformationen anonym ins Netz stellen dürfen. Quellen, die früher von Journalisten aufbereitet wurden, sollten für jedermann frei zugänglich sein. Bei einem Seminar in Stockholm erläuterte Julian Assange kürzlich die Rolle von Wikileaks: "Wir sind wie Anwälte. Wir vertreten die Interessen anonymer Tippgeber und bringen ihre Informationen vor das Gericht der Öffentlichkeit." Dort - nicht in einem Redaktionsbüro - soll dann geurteilt werden. Die Wikileaks-Mitarbeiter prüfen nur die Echtheit der ihnen zu
gespielten Dokumente, bevor sie erscheinen. Das ist, keiner wird es bestreiten, eine schöne, demokratische Idee. In der Praxis ergeben sich aber einige Probleme.
Angst vor Racheakten
Seinen bislang größten Coup landete Wikileaks im Juli, als die Website 75.000 geheime US-Dokumente über den Afghanistan-Krieg publizierte. Die Story war eine Weltnachricht. Aber es gab auch harsche Kritik, nicht nur aus dem Pentagon, auch von Organisationen wie Reporter ohne Grenzen. In den Dokumenten waren teilweise die Namen von afghanischen Mitarbeitern des US-Militärs zu lesen. Sie müssen nun Racheakte der Taliban fürchten, so der Vorwurf an Wikileaks. Es ist eben so, dass im "Gericht der Öffentlichkeit" auch Schurken sitzen, die kurzen Prozess machen.
Assange wies die Kritik zurück und versicherte, seine Mitarbeiter hätten die Dokumente geprüft und Namen von "Unschuldigen" geschwärzt. Was er damit meint, erklärte er beim Seminar in Stockholm an einem Beispiel. Assange zeigte Dokumente, in denen das amerikanische Militär berichtet, wie es einem afghanischen Radiosender Geld für pro-amerikanische Berichte zahlt. Der Chef des Senders wird mit Namen genannt. "Er hat sich bestechen lassen", sagte Assange. Damit sei der Mann in seinen Augen schuldig. Das Beispiel ist bemerkenswert, weil es zeigt, wie Wikileaks-Mitarbeiter klassische Journalisten-Aufgaben übernehmen: Sie sichten und filtern. Und sie bewerten. Wer Unschuldige von Schuldigen unterscheidet, ist nicht mehr bloß Anwalt. Er ist auch Richter.