Widerstand gegen NSA-Überwachung:Snowden rüttelt die Tech-Konzerne wach

Lesezeit: 3 min

Szene im Hauptquartier von Facebook im kalifornischen Menlo Park (Foto: dpa)

Ach, was sind wir empört. Jetzt haben auch amerikanische Internetkonzerne wie Facebook und Google bemerkt, dass der Geheimdienst ihrer Heimat reihenweise die Privatsphäre ihrer Nutzer verletzt. Die plötzliche Wut im Silicon Valley dient dem Geschäftsinteresse - und ist legitim.

Ein Kommentar von Bastian Brinkmann

Guten Morgen! Jetzt sind auch die US-amerikanischen Tech-Konzerne aufgewacht. In einer großen Kampagne fordern AOL, Apple, Facebook, Google, LinkedIn, Microsoft, Twitter und Yahoo eine Reform der staatlichen Überwachung. Die Enthüllungen des Sommers über die NSA-Spionage hätten gezeigt, dass dies dringend nötig sei, schreiben sie an den US-Präsidenten Barack Obama und die Kongressabgeordneten.

Immerhin 185 Tage hat es gedauert, bis die Konzerne diese Einsicht öffentlich bewerben. Am 7. Juni wurde das Überwachungsprogramm Prism bekannt, seitdem folgt Enthüllung auf Enthüllung. Vorher war das Thema den Unternehmen praktisch keinen Aufschrei wert. Dafür gibt es fünf Gründe.

1. Den Kunden war es egal

Das Internetten als Kulturtechnik ist noch relativ neu. Facebook hat zwar schon mehr als eine Milliarde Mitglieder, aber die Seite wächst noch. Nutzerzahlen für kleinere Dienste wie Whatsapp schießen in die Höhe. Für viele Menschen ist die digitale Kommunikation also "Neuland", wie die Kanzlerin sagen würde. Was soll man da reinschreiben? Was nicht? Wie sicher ist der Kram überhaupt? Jeder neue Dienst ist für den Durchschnittsmenschen eine Herausforderung. Der unsichtbaren Gefahr des Abhörens maßen dementsprechend nur sehr wenige Kunden große Bedeutung bei.

2. So sollte es auch bleiben

Wer wirklich sichere digitale Kommunikation will, muss den Menschen von digitaler Kommunikation abraten. Das ist die bittere Wahrheit, die die Geschäftsgrundlage der jetzt aufgeschreckten Konzerne angreift. Von sich heraus hätten sie das Thema daher nachvollziehbarerweise nicht auf die Agenda gesetzt. Erst seit die Unterlagen des Whistleblowers Edward Snowden öffentlich werden, müssen sich die Anbieter dafür rechtfertigen, welche Verschlüsselung sie benutzen - und welche nicht. Und erst jetzt droht ein Vertrauensverlust unter den Kunden, der ihre Profite gefährden könnte.

3. Widerstand stört die Regierungsbeziehungen

Die Konzerne operieren teilweise Gesetzen zufolge, die viele Jahre alt sind. Damit eventuelle Updates in ihrem Sinne ausfallen, baut die Branche ihre Lobbyarbeit massiv aus. Sie möchte aber nicht gleichzeitig im Hinterzimmer kuscheln und auf den Tisch hauen. Jetzt haben die Konzerne keine andere Wahl mehr als Alarm zu schlagen.

4. Gegenwehr ist teurer als Mitmachen

Der E-Mail-Anbieter Lavabit hat einen hohen Preis gezahlt, um die Überwachung seiner Nutzer zu stoppen: Er machte dicht. Schon vorher nervte er die Regierungsstellen. Als das FBI seinen geheimen Schlüssel anforderte, um kryptotechnisch geschützte E-Mails mitzulesen, druckte er ihnen den Code aus: auf sechs kleinstbedruckten Seiten ( PDF). Anwälte, die solche kreativen Gesetzeslücken ausnutzen, sind teuer. Staatliche Stellen drohen als Antwort mit Strafzahlungen, die schmerzen. Wenn Konzerne andererseits die Geheimdienste hineinlassen, bekommen sie sogar Kompensationszahlungen. Dass sich gewinngesteuerte Aktienkonzerne für die kostensparende Variante entscheiden, ist nur logisch.

5. Einzelne im Konzern finden die Überwachung mitunter gut

Natürlich sind auch viele entsetzt. Google-Ingenieure schimpfen auf Google-Plus deutlich ( "fuck you") über die Spionage. Andererseits läuft die politische Debatte in den USA anders als in Deutschland. Was ist schon ein bisschen Privatsphärenverlust, wenn stattdessen Terroranschläge verhindert werden? Während in Deutschland die Ablehnung überwiegt, werden in den USA Pro und Contra diskutiert.

Die neue Initiative ist natürlich nicht selbstlos. Die Konzerne haben in der NSA-Affäre bereits viel Kapital verloren. Und sie nutzen die Kampagne, um Lobbypositionen vorzutragen: "Regierungen sollen Serviceprovider nicht zwingen, lokal zu operieren." Genau das wird in Europa diskutiert. Wenn ein Deutscher einem Franzosen eine E-Mail schreibt, könnten die Daten nur durch Leitungen im Schengen-Raum übertragen werden - und damit vor dem Zugriff britischer und amerikanischer Geheimdienste geschützt werden. Wie sinnvoll dies tatsächlich ist, ist umstritten. Amerikanische Internetkonzerne haben wenig Lust, Server in Deutschland aufzustellen, wo strengere Datenschutzgesetze gelten.

Als Reaktion auf die Kampagne der Tech-Konzerne ist ein so altbekanntes wie falsches Argument zu erwarten. Viele werden wieder behaupten, was Google, Facebook und Co. täten, wäre doch viel schlimmer - oder mindestens genauso schlimm - als das, was die Geheimdienste sich herausnehmen.

Dieser Satz verharmlost die staatlichen Angriffe auf die Privatsphäre. Die Kunden der Internetkonzerne geben freiwillig ihre Daten her, die Firmen wollen einen nur in eine möglichst werberelevante Schublade stecken. Das kann man natürlich kritisch hinterfragen, doch am Ende verschwindet die einzelne Person im Big-Data-Haufen.

Bei Geheimdiensten ist es genau umgekehrt. Sie wollen möglichst viele Daten abgreifen - um dann individuelle Zielpersonen umfassend angreifen zu können. Nichts ist ihnen heilig. Sie finden heraus, welche Pornos die Zielperson gerne schaut, um sie moralisch zu zermürben.

Wer seine Daten amerikanischen Internetkonzernen übergibt, darf sich über Spionage nicht beschweren? Nach dieser Logik dürften Menschen, die in ihrer Freizeit gerne boxen, von Polizisten zusammengeschlagen werden. Rechtsstaat sieht anders aus.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: