Werbung:Das Plakat glotzt zurück

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Wie wirkt Plakatwerbung? Das will ein US-Unternehmen mithilfe von Handydaten ermitteln.

(Foto: Jewel Samad/AFP)

Dich kenn ich doch: Neue Werbeplakate beobachten und analysieren Menschen, die an ihnen vorbeilaufen - um ihnen zielgenau Werbung zu schicken.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es gibt im Film "Minority Report" eine Szene, in der die von Tom Cruise verkörperte Figur John Anderton auf dem Weg zur U-Bahn permanent mit personifizierter Werbung berieselt wird. "John Anderton", ruft ihm eine Stimme fröhlich zu , die Videoleinwand zeigt köstlichen Gerstensaft: "Du könntest jetzt sicher ein Guinness vertragen." Er könnte auch, das verspricht ihm die nächste Anzeige, im Urlaub auf einer tropischen Insel all seine Sorgen vergessen. Oder sich ein neues Auto gönnen. Er wird auf seinem Weg andauernd fotografiert, sein Aufenthaltsort ist bekannt und damit auch, ob er sich später tatsächlich ein Bier genehmigt oder ein Auto kauft.

Die Handlung des Films spielt im Jahr 2054, doch zumindest das mit den Werbeplakaten und der anschließenden Beobachtung ist schon jetzt Realität. Die amerikanischen Firma Clear Channel Outdoor (CCO) hat ein System vorgestellt, mit dem das Nutzerverhalten jener Menschen überwacht werden kann, die sich in der Nähe eines der überdimensionalen Plakaten in amerikanischen Städten und an Highways aufgehalten haben. Vereinfacht ausgedrückt: Das Unternehmen will herausfinden, wer auch wirklich das Produkt kauft, das er gerade im Vorbeifahren auf einer Reklametafel gesehen hat. Und ihm anschließend auf diesen Tafeln jene Produkte anbieten, die er tendenziell auch kaufen wird.

Radar heißt das System, das am Montag in elf amerikanischen Großstädten wie New York und Los Angeles eingeführt wurde und bis zum Jahresende landesweit verfügbar sein soll. Es sind dabei nicht wie in "Minority Report" kleine Kameras neben den Tafeln angebracht - so was gibt es auch im wirklichen Leben bereits seit vielen Jahren -, es funktioniert vielmehr über die Mobiltelefone der möglichen Kunden. CCO hat sich dabei mit drei weiteren Unternehmen zusammengetan: Eine Tochterfirma des Mobilfunkanbieters AT&T sammelt die Aufenthaltsorte der Nutzer, PlaceIQ überprüft über die Daten zahlreicher Apps das Konsumverhalten der Handybesitzer, Placed bezahlt seine Kunden dafür, einzelne Bewegungen nachzuvollziehen und gezielt und zum richtigen Zeitpunkt Werbung auf Handy zu verschicken - etwa für eine Unterwäschemarke, wenn sich der Kunde gerade in einem Bekleidungsgeschäft aufhält.

Je nach Messergebnis können Firmen gezielt Werbung schalten

Über die gesammelten Daten will CCO das Verhalten der Menschen möglichst genau nachzeichnen: Wer etwa das Werbeplakat für den Film "Batman vs. Superman" gesehen hat und danach tatsächlich den Film im Kino schaut. "Am Ende können wir unseren Kunden genau sagen, wie der durchschnittliche Betrachter des Plakats aussieht und was er danach macht - das ist für Werbetreibende natürlich überaus wertvoll", sagt CCO-Vizepräsident Andy Stevens. Die Daten, die dabei gesammelt werden, sollen Firmen darüber hinaus die Möglichkeit schaffen, gezielt Werbung zu schalten - wenn also zuvor gemessen wurde, dass an einem Freitagabend zwischen 18 und 20 Uhr vor allem junge Menschen einen bestimmten Highway befahren und später am Abend ausgehen, dann gibt es in diesem Zeitraum eben Werbung für Restaurants, Bars und Nachtclubs. Ein Test mit der Schuhfirma Tom's sei laut Stevens positiv verlaufen, der Wiedererkennungswert der Marke sei ebenso gestiegen wie die Verkäufe. Ist das nun ein weiterer unerhörter Eingriff in die Privatsphäre der Menschen? "Die Menschen haben in diesem Fall keine Ahnung, dass sie gezielt ausspioniert werden", sagt Jeffrey Chester, Leiter des Center for Digital Democracy. Er hält das Datensammeln über Handyortung in Verbindung mit Reklametafeln für eine möglicherweise gefährliche Angelegenheit: "Zumindest ist es unheimlich."

CCO-Chef Steven selbst gibt ohne Umschweife zu: "Es hört sich ein bisschen gruselig an." Er versichert jedoch, dass sämtliche Daten anonym gesammelt werden und einzelne Nutzer nicht identifiziert werden können. Das Unternehmen nutze lediglich jene Daten, die sowieso erhoben werden und etwa bei Werbung im Internet und auf Mobiltelefonen bereits verwendet werden: "Man darf nicht vergessen", argumentiert er, "dass wir uns aus einem Ökosystem bedienen, das bereits existiert."

In der Tat scheinen Reklametafeln angesichts personifizierter Werbung im Internet und auf Handys wie ein Relikt aus längst vergangener Zeit - mit dem Unterschied, dass die Menschen nun langsam verstehen, dass sie beinahe permanent und gezielt ausgespäht werden. Natürlich, das behaupten Unternehmen wie CCO permanent, muss der Kunde der Überwachung zustimmen und kann jederzeit aussteigen - doch warnen Datenschutz-Experten, dass diese Regeln nicht ausreichend gekennzeichnet seien.

Die Kunden, sie sollten wissen: Die Szene aus "Minority Report" zeigt nicht etwa eine ferne Zukunft, sondern - in einer ziemlich exakten Annäherung - bereits die Gegenwart.

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