Trümmer im All:Wenn der Weltraumschrott verglüht

Trümmer im All: So könnte es aussehen, wenn Satelliten von Segeln abgebremst und in der Erdatmosphäre zum Verglühen gebracht werden.

So könnte es aussehen, wenn Satelliten von Segeln abgebremst und in der Erdatmosphäre zum Verglühen gebracht werden.

(Foto: oh)

In der Erdumlaufbahn sammelt sich immer mehr Müll an. Die Münchner Firma HPS will das Problem mit einem Segel-Trick lösen.

Von Dieter Sürig

Braucht ein Astronaut einen Stuhl in der Raumstation - trotz Schwerelosigkeit? Ja, genau deswegen. Der "Münchner Weltraumstuhl" fixiert einen Astronauten so, dass er quasi in Sitzposition Arme und Beine frei bewegen kann, ohne wegzuschweben. So kann er sich auf seine Arbeit konzentrieren, Experimente machen - einfach effizienter arbeiten, ohne sich festhalten zu müssen. Ernst Pfeiffer hat den Stuhl Anfang der Neunzigerjahre mitentwickelt, der kam dann auf der damaligen russischen Raumstation Mir zum Einsatz, wo ihn der deutsche Astronaut Thomas Reiter benutzte.

Für Pfeiffer war es die Doktorarbeit, 25 Jahre später sitzt er in seinem Büro in München-Sendling und sinniert darüber, wie sich die Situation im Erdorbit seitdem verändert hat - wo Zehntausende ausrangierter Satelliten und Trümmerteile zunehmend zur Gefahr werden.

Sein Unternehmen High Performance Space Structure Systems (HPS) ist schon lange kein Start-up mehr. Es beschäftigt sich aber erst seit einigen Jahren mit einem Geschäftsfeld, das sich nach Überzeugung Pfeiffers zum Zukunftsmarkt entwickeln wird. Salopp gesagt, geht es um eine Art Müllabfuhr im All. Im Dezember hat die Weltraumagentur Esa eine Mission angekündigt, bei der eine Sonde die Komponente einer alten Trägerrakete einsammelt und zum Verglühen bringen soll. Um eine solche Entsorgungsoption von Weltraumschrott geht es Pfeiffer aber nicht.

"Wir lassen es gar nicht so weit kommen, sondern montieren ein Segel auf einen neuen Satelliten, das sich per Signal entfaltet", sagt er. Dies passiert, sobald der Satellit unbrauchbar geworden ist oder zum Beispiel einen Monat lang kein Signal mehr gesendet hat. Das Segel bewirkt, dass die Restatmosphäre den ausgedienten Satelliten abbremst, bis er verglüht - was fünf bis zehn Jahre dauern kann.

Einen ersten erfolgreichen Einsatz gab es bereits - nur keine Bilder davon

Für einen Satelliten mit bis zu einer Tonne Gewicht hat HPS mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt ein Segel namens Adeo entwickelt, das 20 bis 40 Quadratmeter groß ist, sobald es sich entfaltet hat. Ein Testflug auf einem europäischen Satelliten soll Ende 2021 starten, dafür entsteht gerade ein 25 Quadratmeter großes Segel. Pfeiffer zufolge ist Adeo optimal in bis zu 700 Kilometern Höhe, "das ist etwa für Erdbeobachtungsprogramme, ausgebrannte Raketenstufen oder unzählige Kleinstsatelliten interessant".

Den ersten gelungenen Einsatz eines kleineren 2,5-Quadratmeter-Segels, etwa für Cubesats, hat Pfeiffer bereits Ende 2018 mit der neuseeländischen Kleinrakete Electron geflogen. Der Freistaat Bayern hat den Test gefördert, nur: Die Kamera der Raketenplattform hat nicht funktioniert. "Um das Segel weltweit verkaufen zu können, brauche ich aber so ein Video", sagt er. Deswegen peilt er demnächst einen weiteren Flug mit der Electron an. Für den Videobeweis sozusagen. Ein kleines Segel kostet einen mittleren fünfstelligen Betrag. "Wenn ich 100 baue, dann kommen wir an die Grenze zum vierstelligen Bereich." Und bei einem 25-Quadratmeter-Segel kommt noch eine Null dran.

Pfeiffer sieht angesichts des boomenden Space-Marktes das Potenzial, in den nächsten Jahren Hunderte davon verkaufen zu können. Was ihm helfen könnte: Er hofft, dass die staatlichen Aufsichtsbehörden Startlizenzen künftig nur noch dann vergeben, wenn der jeweilige Satellit mit einem Entsorgungssystem ausgestattet wird. HPS sei dann "zur richtigen Zeit am Markt".

Der 55-Jährige muss das natürlich sagen, zumal er gerade Investoren sucht. Andererseits gibt es Branchenanalysten, die Pfeiffers Hoffnung mit ihren Zahlen stützen. Nach Angaben der Plattform Nanosats.eu beispielsweise soll die Zahl der Starts von Kleinsatelliten bis 2023 weltweit von etwa 190 auf knapp 550 pro Jahr steigen. Die Bank Morgan Stanley schätzt, dass sich das Marktvolumen im Satellitenbereich bis Mitte der Zwanzigerjahre verdreifachen wird. Viele potenzielle Kunden also für das Münchner Unternehmen. Vorher muss Pfeiffer das Segel noch serienreif machen und vermarkten, "dazu brauchen wir zwei bis drei Millionen Euro".

Für HPS ist es eine Kehrtwende um 180 Grad. Die Firma war Anfang des Jahrtausends angetreten, ein Solar Sail zu bauen, "mit dem man mithilfe des Photonen-Sonnendrucks zu anderen Planeten fliegen kann", wie Pfeiffer erzählt. "Nun nutzen wir dieses Konzept für das Reinsegeln zur Erde." Nachdem Solar Sail damals nicht geklappt hatte, verlegte sich HPS auf den Bau von ein bis zwei Meter großen Reflektorantennen, mit denen das Unternehmen vor allem sein Geld verdient. Vor zehn Jahren begann Pfeiffer, mit der TU München entfaltbare Antennen mit bis zu 20 Metern Durchmesser zu entwickeln, 2017 erhielt er von der EU-Kommission einen Zuschlag für die Large European Antenna (Lea). "Jetzt sind wir als Hauptauftragnehmer die einzigen in Europa, die so etwas machen" - zusammen mit der Firma LSS.

Zurzeit verdient HPS das Geld mit dem Bau von Antennen

Spektakulär wäre eine Lea-Radarantenne für das EU/Esa-Erdbeobachtungsprogramm Copernicus, die 2027 starten soll: Drehbar, mit einem Reflektor von acht Metern Durchmesser an einem neun Meter langen Mast. Damit ließen sich die Polkappen der Erde in extremer Genauigkeit untersuchen, Teil der Arktisstrategie der EU. HPS hat 2019 von der Esa den Vertrag für die Vorentwicklung gewonnen. Ferner haben die Münchner den deutschen Kommunikationssatelliten Heinrich Hertz mit Antennen ausgestattet, Start demnächst, und das Esa-Teleskop Euclid, Start 2022.

HPS hat sich mit 35 Mitarbeitern zur "größten Münchner Raumfahrtfirma" entwickelt, wie Pfeiffer kokettiert. Das kommt hin, da große Player wie Airbus, OHB oder Ariane südlich der Landeshauptstadt angesiedelt sind. Das Unternehmen hat inklusive einer Filiale in Bukarest 60 Beschäftigte. Pfeiffer plant zudem eine kleine Produktionshalle in München, gleich nebenan.

Er ist aber auch gerne ganz weit weg mit seinen Gedanken, erzählt von seiner Hardware, die seit dem Absturz der Exomars-Sonde 2016 auf dem roten Planeten liegt, oder einem Experiment in den Saturnringen. Die Raumfahrt hat ihn gefangen: "Wenn Sie da mal drin sind, dann sind Sie fasziniert." Womit wir wieder bei dem Weltraumstuhl wären, den der Raumfahrttechniker gemeinsam mit dem Ergonomie-Lehrstuhl von Professor Heinzpeter Rühmann an der TU München entwickelte. "Das ist der Sohn des Schauspielers Heinz Rühmann", sagt Pfeiffer. Cineasten wissen es: Der spielte in seinem Klassiker "Die Feuerzangenbowle" den Oberprimaner Hans Pfeiffer - mit drei "f". "Das passt doch irgendwie alles zusammen", schmunzelt der HPS-Chef.

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