Weibliche Blogger:Frauen klicken anders

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Blogger-Platzhirsche beherrschen das Internet, Frauen spielen dort kaum eine Rolle: Bloggen Frauen über die falschen Themen oder ist das Netz einfach eine Altherrendomäne?

Ron Steinke

Sollte der Kopf des Vordermanns einmal im Weg sein und das Sichtfeld auf eines der Podien im Berliner Friedrichsstadtpalast einschränken, so genügt zur Abhilfe der Blick auf den aufgeklappten Laptop: Alles, was vor einem geschieht, wird live im Internet übertragen. Für Internet-Freaks ist es die große Bühne, die sich den Podiumsgästen der Web-Konferenz "Re-Publica" bietet - und es ist eine Bühne, die bislang fast ausschließlich den Männern gehörte.

Die Konferenz, die gerade zum vierten Mal in Berlin stattfindet, ist das wichtigste Szenetreffen der deutschsprachigen Blogger. In diesem Jahr sind unter den mehr als 200 geladenen Referenten, die über Themen wie die Zukunft politischer Online-Kampagnen oder die Veränderung des klassischen Journalismus durch das Netz diskutieren, etwa 20 Prozent Frauen.

Was man für einen recht bescheidenen Anteil halten könnte, ist bereits das Ergebnis von Protesten im vergangenen Jahr: Auf der pinkfarbenen Internetseite des "Mädchenblogs" war damals von Blogger-"Platzhirschen" zu lesen. Die Online-Journalistin Teresa Bücker fragte in ihrem Blog "Flannel Apparel", das hintergründige Texte über Mode und Politik mischt, ob aus der "schönen neuen Welt des Netzes schon wieder eine Altherrendomäne" geworden sei. 2009 gingen die Einladungen der Konferenz-Veranstalter nur zu 15 Prozent an Referentinnen. Nicht ganz so deutlich, aber dennoch auffällig war der Männerüberschuss im Publikum ausgeprägt.

Man habe die Kritik angenommen, sagt Markus Beckedahl, ein Blogger, der die Konferenz mit organisiert. Zugleich werden die Verhältnisse am Schauplatz des eigentlichen Geschehens, in der Blogosphäre, realistisch gespiegelt.

Unter den Top 100 sind 20 Frauen

Zwar bloggen in Deutschland etwa gleich viele Männer wie Frauen, wie der Medienwissenschaftler Jan-Hinrik Schmidt erklärt. Allerdings: "Breitere Aufmerksamkeit wird fast ausschließlich männlichen Bloggern zuteil." Dies ergebe sich aus Untersuchungen von Klickzahlen und Linkhäufigkeit. Die meistgelesenen unter den deutschsprachigen Blogs kreisen um Medien, Netzpolitik und Technik. "Unter den Top 100 finden sich kaum einmal 20, die von Frauen betrieben werden", sagt Schmidt.

Auch bei populären Gruppenblogs wie netzpolitik.org oder den "Ruhrbaronen", wo mehrere Autoren gemeinsam schreiben, sind Männer fast ganz unter sich. Dabei seien bei netzpolitik.org grundsätzlich auch zwei Frauen als Autorinnen akkreditiert, wendet Markus Beckedahl ein, der Betreiber der Seite. Letztlich sei das Bloggen aber eben ein Hobby - den Frauen fehle dazu leider öfter die Zeit, meint Beckedahl.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was auch ein Grund für das Missverhältnis sein könnte.

Eine anderer Grund für das Missverhältnis könnten die Themen der Autorinnen sein - sie sind vielfältiger, ihre Netzwerke dadurch zersplitterter. Bloggerinnen würden sich im Internet seltener mit politischen oder technischen Themen dem großen Publikum empfehlen, sondern schrieben meist persönlicher, erklärten die Autorinnen des "Mädchenblogs" auf der Konferenz im vergangenen Jahr. "Warum Babykotze genauso relevant ist wie das iPhone", hieß der Diskussionsbeitrag. Die Häme mancher Konferenzteilnehmer, die folgte, mag dazu beigetragen haben, dass die Diskussion in diesem Jahr wiedergekehrt ist.

"Viele in der Internet-Community meinen, Geschlechter seien im Netz einfach nicht mehr existent", beklagt Anna Berg vom Gruppenblog "Mädchenmannschaft". Doch wird mancher altbekannte Mechanismus durch den digitalen Wandel vielleicht erst neu belebt. Das Knüpfen männlicher Seilschaften funktioniere im Netz noch ungestörter als in der herkömmlichen Medienwirtschaft, vermutet eine der wenigen politischen Bloggerinnen des Landes mit größerem Publikum, die Soziologin Anne Roth. Einen Indikator dafür sieht sie in den wöchentlich neu errechneten Blogcharts des Medienjournalisten Jens Schröder. Wer besonders oft durch andere Blogger verlinkt wird, landet hier im Ranking oben - um eine Frau zu entdecken, muss man in dieser Woche bis zum 14. Platz herunterscrollen. Männer verlinkten häufiger auf die Blogs von Männern, bestätigt auch die frühere Grünen-Politikerin Julia Seeliger. Als Frau, deren Politikblog monatlich mehr als 50000 Menschen lesen, zählt auch sie zu den Ausnahmen.

© SZ vom 16.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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